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27 RechtspflegeNorm
B-VG Art7 Abs1 / VerwaltungsaktLeitsatz
Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Verhängung einer Disziplinarstrafe über einen Rechtsanwalt wegen schwerwiegender Vorwürfe gegen einen gegnerischen Rechtsanwalt in Zusammenhang mit einer Berufungsbeantwortung in einem Unterhaltsverfahren von dessen Mandantin gegen den beschwerdeführenden Rechtsanwalt in eigener Sache; keine Bedenken gegen die Regelung auch außerberuflichen Verhaltens eines Rechtsanwaltes im Disziplinarrecht; keine Verletzung der Meinungsäußerungsfreiheit, keine Willkür, keine Verletzung im Recht auf ein faires Verfahren sowie der UnschuldsvermutungRechtssatz
Die RL-BA 1977 werden nicht nur durch §37 RAO gesetzlich determiniert, sondern inhaltlich insbesondere auch durch die Bestimmungen des II. Abschnittes der RAO ("Rechte und Pflichten der Rechtsanwälte") sowie auch durch §1 Abs1 DSt 1990. Daß die Standesrichtlinien - insbesondere auch die hier präjudiziellen Bestimmungen der §§2 und 18 RL-BA 1977 - grundsätzlich auch außerberufliches Verhalten eines Rechtsanwaltes regeln dürfen, ergibt sich aus dem verfassungsrechtlich unbedenklichen §1 Abs1 DSt 1990.
Der belangten Behörde kann - in Ansehung des Inhaltes der in Rede stehenden Berufungsbeantwortung - aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht entgegengetreten werden, wenn sie das Verhalten des Beschwerdeführers (Strafanzeige, ua. betr. Täuschung von Richtern, Antrag auf Untersuchungshaft sowie Hausdurchsuchung und Aktenbeschlagnahme in der gegnerischen Kanzlei) als sachlich nicht gerechtfertigte Druckausübung dem §2 RL-BA 1977 unterstellt sowie als persönlichen Angriff des gegnerischen Rechtsanwaltes bzw. als unnötiges in Streit ziehen dieses Anwaltes iS des §18 RL-BA 1977 wertet und damit eine nicht unverhältnismäßige Einschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit im Dienste des Ansehens und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung vornimmt.
Der Verfassungsgerichtshof kann nicht finden, daß durch die Inanspruchnahme des auf §152 Abs1 Z4 StPO (Zeugnisbefreiung für Verteidiger, Rechtsanwälte, Notare und Wirtschaftstreuhänder) gestützten Zeugnisentschlagungsrechts durch Rechtsanwalt Dr. Jürgen N das Verfahren vor den Disziplinarbehörden nicht insgesamt fair abgelaufen sei. Hätte Rechtsanwalt Dr. Jürgen N darüber Auskunft geben müssen, ob seine in der Berufungsbeantwortung vorgenommene Argumentation wissentlich auf unrichtige Tatsachen gestützt war, hätte er zwangsläufig auch Informationen seiner Mandantin aus dem Unterhaltsverfahren preisgeben müssen (ein Umstand, der eine Anwendung des §152 Abs1 Z4 StPO iVm. §77 Abs3 DSt 1990 durch den Disziplinarrat rechtfertigte). Eine Verpflichtung des Dr. Jürgen N zur Aussage bzw. eine Beschlagnahme der Akten seiner Mandantin in seinen Kanzleiräumlichkeiten oder in seiner Wohnung stünde auch im Widerspruch zu dem aus Art6 Abs1 EMRK abzuleitenden Anspruch seiner Mandantin auf eine "effektive Vertretung" im Unterhaltsprozeß vor den Zivilgerichten (vgl. dazu VfSlg. 10291/1984).
Schlagworte
Meinungsäußerungsfreiheit, Rechtsanwälte, Disziplinarrecht, fair trial, StrafprozeßrechtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2001:B436.1999Dokumentnummer
JFR_09989075_99B00436_01