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62 ArbeitsmarktverwaltungNorm
B-VG Art140 Abs1 / AllgLeitsatz
Zurückweisung von Anträgen eines Unabhängigen Verwaltungssenates auf Aufhebung von Strafbestimmungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes; subjektives Recht türkischer Staatsangehöriger und ihrer Arbeitgeber auf Dienstleistungsfreiheit und Freizügigkeit iSd EG-Vertrages aufgrund des Assoziationsratsbeschlusses Nr 1/1980; kein offenkundiger Widerspruch der bekämpften Verwaltungsstrafnorm zu unmittelbar anwendbarem Gemeinschaftsrecht; keine Präjudizialität der angefochtenen Strafbestimmungen mangels Vorliegen des Tatbestandes der "unberechtigten" Beschäftigung infolge der unmittelbaren Anwendbarkeit von Bestimmungen des AssoziationsratsbeschlussesRechtssatz
Es obliegt dem Verfassungsgerichtshof, den Vorrang des unmittelbar anwendbaren Gemeinschaftsrechts vor dem damit konfligierenden innerstaatlichen Recht - Offenkundigkeit vorausgesetzt - in jedem Stadium des Verfahrens wahrzunehmen (vgl. VfSlg. 15.368/1998).
Unmittelbare Wirkung des Art7 des Assoziationsratsbeschlusses Nr 1/1980 (= ARB).
Ist nach dem nationalen Recht vorgesehen, daß für die Beschäftigung eines türkischen Staatsangehörigen ein behördliches Dokument zu erwirken ist, so ist diesem für die Anerkennung der aus dem ARB Nr 1/1980 erfließenden subjektiven Rechte lediglich "deklaratorische Bedeutung und Beweisfunktion" beizumessen.
Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH erfließen aus der Dienstleistungsfreiheit (Art49 ff EG) und aus der Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art39 ff EG) sowohl für den Dienstleistenden (Arbeitnehmer) als auch für den Empfänger der Dienstleistung (Arbeitgeber) subjektive Rechte, die von diesen Personen je und je geltend gemacht werden können.
Personen, die als Arbeitgeber türkische Staatsangehörige beschäftigen, werden daher durch Art7 ARB Nr 1/1980 in jenem Umfang, in dem die begünstigten türkischen Staatsangehörigen daraus für sich subjektive Rechte herleiten können, ebenfalls unmittelbar berechtigt.
Es ist den Mitgliedstaaten nicht verwehrt, für die - an sich erlaubte - Beschäftigung türkischer Staatsangehöriger, die von den Art6 und 7 ARB Nr 1/1980 erfaßt sind, Pflichten zu normieren, die Verwaltungserfordernissen entsprechen. Einem derartigen "Verwaltungserfordernis" entspricht zweifellos auch die - im vorliegenden Fall in Rede stehende - Pflicht des Arbeitgebers, für die Beschäftigung eines begünstigten türkischen Staatsangehörigen eine Beschäftigungsbewilligung bzw. einen Befreiungsschein beizubringen.
Das Gemeinschaftsrecht verbietet es also den Mitgliedstaaten nicht, für die Ausübung der durch den ARB Nr 1/1980 eingeräumten Freizügigkeitsrechte Ordnungsvorschriften zu erlassen und deren Verstoß mit Verwaltungsstrafsanktion zu belegen. Davon, daß die bekämpfte Verwaltungsstrafnorm unmittelbar anwendbarem Gemeinschaftsrecht offenkundig widerspräche und aus diesem Grund nicht als Gegenstand eines Gesetzesprüfungsantrags in Frage käme, kann jedenfalls keine Rede sein. Die Anträge des UVS auf Aufhebung von Teilen des §28 Abs1 Z1 lita AuslBG erweisen sich somit unter diesem Gesichtspunkt als zulässig.
Zurückweisung der Anträge mangels Präjudizialität.
§28 Abs1 Z1 AuslBG normiert ausdrücklich, daß lediglich die unberechtigte Beschäftigung von Ausländern verwaltungsstrafsanktioniert sei. Die Beschäftigung eines türkischen Staatsangehörigen, der alle Erfordernisse des Art6 oder 7 ARB Nr 1/1980 erfüllt, kann keinesfalls als "unberechtigt" oder "illegal" in dem Sinn bezeichnet werden, daß es an einem konstitutiv wirkenden Beschäftigungstitel fehlen würde. Es handelt sich dabei vielmehr um eine gemeinschaftsrechtlich erlaubte Beschäftigung, unabhängig davon, ob das innerstaatliche Recht hiefür - Verwaltungserfordernissen dienende und insofern grundsätzlich unbedenkliche - Ordnungsvorschriften vorsieht.
Die in den Anlaßverfahren vor dem UVS inkriminierten Beschäftigungen türkischer Staatsangehöriger waren ganz offenkundig nicht "unberechtigt" iS des §28 Abs1 Z1 AuslBG. Aus diesem Grund wäre es geradezu denkunmöglich, das den Berufungswerbern zur Last gelegte Verhalten unter diese Strafnorm zu subsumieren. Da §28 Abs1 Z1 AuslBG - dem unzweideutigen Gesetzeswortlaut nach - ausschließlich Fälle einer "unberechtigten" Beschäftigung zu erfassen sucht, ist es auch nicht möglich, diese Bestimmung in Fällen wie den vorliegenden (bloß) als Verwaltungsstrafsanktion für Verstöße gegen eine "Ordnungsvorschrift" - nämlich jene, für die Beschäftigung von gemeinschaftsrechtlich begünstigten türkischen Staatsangehörigen die in §4c AuslBG vorgesehenen Bescheinigungen beizubringen - zu deuten.
Entscheidungstexte
Schlagworte
Arbeitsrecht, Ausländerbeschäftigung, EU-Recht, Rechte subjektive öffentliche, VfGH / Präjudizialität, Anwendbarkeit StaatsvertragEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2001:G24.2001Dokumentnummer
JFR_09988999_01G00024_01