RS Vfgh 2001/10/11 G12/00 ua

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 11.10.2001
beobachten
merken

Index

97 Vergabewesen
97/01 Vergabewesen

Norm

B-VG Art19
B-VG Art44 Abs1
B-VG Art44 Abs3
B-VG Art140 Abs1 / Allg
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art140 Abs7 dritter Satz
BundesvergabeG 1997 §99 Abs2
BundesvergabeG 1997 §126a
Sbg LandesvergabeG §1 Abs1 Z1

Leitsatz

Aufhebung einer die umfassende Suspendierung der Bundesverfassung für landesgesetzliche Vorschriften über die Organisation und Zuständigkeit von Vergabekontrolleinrichtungen bewirkenden Verfassungsbestimmung des Bundesvergabegesetzes wegen Widerspruchs zum rechtsstaatlichen und demokratischen Prinzip; Verfassungswidrigkeit der im Sbg Landesvergabegesetz vorgesehenen Kontrolle oberster Organe der Vollziehung durch den Vergabekontrollsenat; Aufhebung dieser Bestimmung im Anlaßverfahren

Rechtssatz

Verfassungswidrigkeit der Wortfolge "das Land," in §1 Abs1 Z1 Sbg LandesvergabeG, LGBl 1/1998.

Der Vergabekontrollsenat des Landes Salzburg ist nicht zur Gewährung oder Versagung einer Genehmigung oder zur Beurteilung der Rechtsfolgen, die mit einem bestimmten Vorgehen der vergebenden Organe verbunden sind, berufen, sondern zur Kontrolle des jeweiligen Aktes selbst, und er hat diesen Akt im Falle seiner Rechtswidrigkeit aufzuheben. Genau das ist aber dann, wenn sich die Aufhebung auf einen Akt eines obersten Organs bezieht, eine verfassungsrechtlich verpönte Kontrolle eines obersten Organs durch ein im B-VG mit einer solchen Kontrollbefugnis nicht ausgestattetes Verwaltungsorgan (vgl VfSlg 13626/1993, 15578/1999).

Der Verfassungsgerichtshof hätte bei der Beurteilung der Frage, ob die als verfassungswidrig erkannte Wortfolge des Sbg LandesvergabeG als verfassungswidrig aufzuheben ist oder ob bloß festzustellen ist, daß sie bis 31.12.00 verfassungswidrig war, §126a BundesvergabeG 1997 anzuwenden; diese Bestimmung erweist sich sohin als präjudiziell.

Es zeigt nicht nur der Wortlaut des §126a BundesvergabeG 1997 für sich, sondern auch sein Vergleich mit der gleichzeitig eingeführten Verfassungsbestimmung des §99 Abs2 BundesvergabeG 1997 (wonach das Bundesvergabeamt seine Befugnisse auch gegenüber den in Art19 B-VG bezeichneten obersten Organen der Vollziehung des Bundes ausübt) und der historische Entstehungszusammenhang, daß sich die Prämisse des Verfassungsgerichtshofes als zutreffend erwiesen hat, die Regelung sollte - wenn auch aus einem konkreten Anlaß heraus - eine umfassende Freizeichnung landesgesetzlicher Vorschriften über die Vergabekontrolle bewirken, sodaß die Bundesverfassung für diesen Teil der Landesrechtsordnungen ihre Funktion als Schranke für den Landesgesetzgeber verlieren sollte. Der Wortlaut, der systematische Zusammenhang, der historisch belegbare Zweck der Regelung und der Kontext der Entstehungsgeschichte geben ein derartig deutliches Bild, daß der Verfassungsgerichtshof es nicht für zulässig ansieht, eine baugesetzkonforme reduzierende Interpretation der Vorschrift vorzunehmen. Vielmehr soll nach der in Prüfung stehenden Verfassungsbestimmung das Bundesverfassungsrecht insgesamt und damit auch das B-VG und dessen leitende Prinzipien einschließlich der Bestimmung des Art44 Abs3 B-VG seine Maßgeblichkeit für einen bestimmten Teilbereich der Rechtsordnung der Länder, nämlich für die landesgesetzlichen Vorschriften über die Zuständigkeit und Organisation der Vergabekontrolleinrichtungen in den Ländern verlieren.

Die Geltung des §126a BundesvergabeG 1997 hätte auch zur Folge, daß Grundrechtsverletzungen, die ihre Ursache in entsprechenden gesetzlichen Regelungen haben, als saniert zu gelten hätten und nicht aufgegriffen werden könnten.

Aufhebung der Verfassungsbestimmung des §126a BundesvergabeG 1997, BGBl I 56.

Es ist dem einfachen Verfassungsgesetzgeber nicht gestattet, die Bundesverfassung auch nur für einen Teilbereich der Rechtsordnung in ihrer Wirkung schlechthin zu suspendieren. Der Verfassungsgerichtshof rechnet es zum Inhalt des qualifizierten Verfassungsrechts, daß es nicht dazu ermächtigt, sich selbst seine Maßgeblichkeit für das unterverfassungsgesetzliche Recht zu nehmen.

Es zählt in der Tat zum Kernbestand des Verfassungsrechts, sicherzustellen, daß der einfache Verfassungsgesetzgeber die Maßgeblichkeit der Verfassung für einen bestimmten Teilbereich der Rechtsordnung nicht beseitigen können soll. Der Verfassungsgerichtshof hat dies ins Zentrum seiner Bedenken gerückt; er hat ausgeführt, daß das Prinzip der Maßgeblichkeit der Verfassung ebenso wie die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes zur Normenkontrolle als zentrales Element des rechtsstaatlichen Baugesetzes der österreichischen Bundesverfassung anzusehen sei. Die Reduktion der Gesetzesprüfungskompetenz nach Art140 Abs1 B-VG ist nur eine zwangsläufige Folge des Verlustes der Maßgeblichkeit der Verfassung.

Der Verlust der Maßstabsfunktion der Verfassung für einen Teilbereich der Rechtsordnung (unabhängig von der Bedeutung dieses Teilbereichs) verletzt das rechtsstaatliche Prinzip; es widerspräche auch dem demokratischen Prinzip, anzunehmen, der einfache Verfassungsgesetzgeber sei legitimiert, die Verfassung als "Zwangsnormerzeugungsregel" in ihrer Wirkung auch nur für einen Teilbereich der unterverfassungsgesetzlichen Rechtsordnung schlechthin zu suspendieren; denn es liefe die Möglichkeit zur Verfassungssuspendierung durch einfaches Verfassungsrecht letztlich darauf hinaus, dem Bundesvolk einen Teil der verfassungsgebenden Gewalt zu nehmen.

Der Verfassungsgerichtshof braucht in diesem Zusammenhang nicht zu untersuchen, ob eine Verfassungssuspendierung in einem Verfahren nach Art44 Abs3 B-VG überhaupt erfolgen könnte.

Eine Fristsetzung für das Inkrafttreten der Aufhebung des §126a BundesvergabeG 1997 kommt schon allein deshalb nicht in Betracht, weil dadurch die Maßgeblichkeit der Verfassung weiterhin eingeschränkt bliebe und die Verletzung des demokratischen und des rechtsstaatlichen Prinzips perpetuiert würde. Vielmehr war vor diesem Hintergrund auszusprechen, daß die Bestimmung nicht mehr anzuwenden ist, sodaß die umfassende Immunisierungswirkung der Verfassungsbestimmung in allen Fragen der Organisation und Zuständigkeit von Landeskontrolleinrichtungen betreffenden verfassungsgerichtlichen Verfahren wegfällt.

Aufgrund der Aufhebung des §126a BundesvergabeG 1997 im Verfahren G132-136/01 war in den Verfahren G12/00 und G48/00 bis G51/00 auszusprechen, daß die Wortfolge "das Land," in §1 Abs1 Z1 Sbg LandesvergabeG als verfassungswidrig aufzuheben ist.

Bei der Festsetzung der Frist für das Inkrafttreten der Aufhebung der Wortfolge "das Land," in §1 Abs1 Z1 Sbg LandesvergabeG (30.09.2002) hat der Verfassungsgerichtshof den von der Landesregierung hervorgehobenen Umstand berücksichtigt, daß im Falle der Aufhebung der geprüften Wortfolge zur Schaffung einer gemeinschaftsrechtlich gebotenen und zugleich den verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprechenden Kontrolle der Vergaben des Landes umfassende legistische Vorbereitungsarbeiten geleistet werden müßten.

(Anlaßfall: B2214/98, E v 11.10.01 - Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter).

Entscheidungstexte

  • G 12/00 ua
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 11.10.2001 G 12/00 ua

Schlagworte

Auslegung Verfassungs-, Bundesverfassung, Gesamtänderung, Grundprinzipien der Verfassung, demokratisches Grundprinzip, rechtsstaatliches Grundprinzip, Oberste Organe der Vollziehung, Rechtsstaatsprinzip, Vergabewesen, VfGH / Anlaßverfahren, VfGH / Aufhebung Wirkung, VfGH / Fristsetzung, VfGH / Präjudizialität

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2001:G12.2000

Dokumentnummer

JFR_09988989_00G00012_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten