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10 VerfassungsrechtNorm
B-VG Art139 Abs1 / PräjudizialitätLeitsatz
Aufhebung der "Ortstafelregelung" im Volksgruppengesetz wegen Widerspruchs der Beschränkung des Anbringens zweisprachiger topographischer Bezeichnungen auf Gebietsteile mit mehr als 25 Prozent nicht deutschsprachigen Volksgruppenangehörigen zum Staatsvertrag von Wien 1955; auch Ortschaften und Gemeindeverwaltungsteile "Verwaltungsbezirke" im Sinne des Staatsvertrages; einheitliches Verständnis des Begriffes der "gemischten Bevölkerung" im Staatsvertrag; Gesetzwidrigkeit der Topographieverordnung im Hinblick auf fehlende zweisprachige Ortstafeln in der Ortschaft St. Kanzian am Klopeiner See angesichts eines - auf Grund der Ergebnisse der Volkszählungen über einen längeren Zeitraum betrachtet - Minderheitenprozentsatzes von mehr als 10 Prozent; in der Folge Aufhebung von Ortsbezeichnungen in einer Verordnung über Straßenverkehrszeichen im Verlauf der St. Kanzianer Straße L 116; Präjudizialität dieser Verordnung sowie der den Ortsnamen regelnden Topographieverordnung und des Volksgruppengesetzes als gesetzlicher Grundlage unabhängig von den Auswirkungen im AnlassfallRechtssatz
Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Bestimmungen des VolksgruppenG und der TopographieV, insoweit sie für die Ortschaft St. Kanzian eine Ortsbezeichnung in slowenischer Sprache ausschließen, sowie der Verordnung der BH Völkermarkt betreffend Straßenverkehrszeichen im Verlauf der St. Kanzianer Straße gegeben.
Es ist evident, dass sich die im Anlassbeschwerdeverfahren belangte Behörde bei Erlassung des bekämpften Bescheides (betreffend Bestrafung wegen Geschwindigkeitsüberschreitung im Ortsgebiet) ausdrücklich auf die in Prüfung gezogene Bestimmung der Verordnung der BH Völkermarkt betreffend Straßenverkehrszeichen im Verlauf der St. Kanzianer Straße L 116 gestützt hat; es weist auch nichts darauf hin, dass dies geradezu denkunmöglich geschehen sei. Schon im Hinblick darauf ist aber diese Verordnungsbestimmung im vorliegenden Zusammenhang präjudiziell. Dies unabhängig davon, ob die allfällige Rechtswidrigkeit dieser Bestimmung im verfassungsgerichtlichen Bescheidprüfungsverfahren überhaupt zum Tragen kommt. In Wahrnehmung seiner durch Art139 Abs1 erster Satz B-VG auferlegten Rechtsbereinigungsfunktion ist der Verfassungsgerichtshof - bei Vorliegen entsprechender Bedenken - nämlich verpflichtet, jede in einer bei ihm anhängigen Rechtssache anzuwendende Verordnungsbestimmung auf ihre Gesetzmäßigkeit hin zu prüfen.
Bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit dieser Verordnungsbestimmung ist aber auch der Umstand von Bedeutung, dass gemäß §53 Abs1 Z17a StVO 1960 auf den Hinweiszeichen "Ortstafel" und "Ortsende" der "Name des Ortes" anzugeben ist. Insoweit dieser Name durch Rechtsvorschriften näher geregelt ist, sind daher auch diese Rechtsvorschriften bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der das Anbringen der Ortstafel regelnden Verordnung vom Verfassungsgerichtshof "anzuwenden".
Die Wortfolge "wegen der verhältnismäßig beträchtlichen Zahl (ein Viertel) der dort wohnhaften Volksgruppenangehörigen" in §2 Abs1 Z2 VolksgruppenG, BGBl 396/1976, wird als verfassungswidrig aufgehoben.
Die Wortfolge "In der Gemeinde Bleiburg in den Gebieten der ehemaligen Gemeinden Feistritz ob Bleiburg und Moos, in der Gemeinde Eisenkappel-Vellach im Gebiet der ehemaligen Gemeinde Vellach, in der Gemeinde Globasnitz und in der Gemeinde Neuhaus im Gebiet der ehemaligen Gemeinde Schwabegg." in §1 Z2 der Verordnung der Bundesregierung vom 31.5.1977 über die Bestimmung von Gebietsteilen, in denen topographische Bezeichnungen in deutscher und slowenischer Sprache anzubringen sind, BGBl 306, wird als gesetzwidrig aufgehoben.
In §1 Abschnitt B) Punkt 1 der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Völkermarkt vom 17.08.82 betreffend Straßenverkehrszeichen im Verlauf der St. Kanzianer Straße L 116, idF der Verordnung vom 30.09.92, werden die Ortsbezeichnungen: "St. Kanzian" und "St. Kanzian, Klopein" als gesetzwidrig aufgehoben.
Das "Anbringen" der Hinweiszeichen "Ortstafel" und "Ortsende" iSd §53 Abs1 Z17a und 17b StVO 1960, die der Kundmachung straßenverkehrspolizeilicher Verordnungen dienen (vgl. §43 Abs1 StVO), unterfällt geradezu typischer Weise dem Tatbestand des Verfassens von "Bezeichnungen und Aufschriften ... topographischer Natur" iSd Art7 Z3 zweiter Satz StV Wien 1955.
Bei einer an "Ziel und Zweck" des Art7 Z3 zweiter Satz StV Wien 1955 orientierten Auslegung ist davon auszugehen, dass "Bezeichnungen und Aufschriften topographischer Natur (in slowenischer oder kroatischer Sprache) nach dem Sinn und Zweck dieser (Staatsvertrags-)Norm ... der Allgemeinheit Kenntnis geben sollen, dass hier eine ins Auge springende - verhältnismäßig größere - Zahl von Minderheitsangehörigen lebt". Im vorliegenden Fall geht es dabei allein um topographische (Orts-)Bezeichnungen in Hinweiszeichen gemäß §53 Abs1 Z17a und 17b StVO 1960 ("Ortstafel", "Ortsende"), somit um die Bezeichnung des "Ortsgebietes" iSd. §2 Abs1 Z15 StVO 1960, nicht aber um andere Bezeichnungen und Aufschriften topographischer Natur iSd Art7 Z3 StV Wien 1955.
Dem Begriff "Verwaltungsbezirk" gemäß Art7 Z3 zweiter Satz StV Wien 1955 ist, insoweit es um das Verfassen von "Bezeichnungen und Aufschriften ... topographischer Natur" in Form der in Rede stehenden straßenverkehrsrechtlichen Hinweiszeichen geht, ein Verständnis beizulegen, das sich an den tatsächlichen, dh. - gegebenenfalls - ortschaftsbezogenen, Siedlungsschwerpunkten der betreffenden Volksgruppe orientiert. Demgemäß sind unter dem Begriff "Verwaltungsbezirk" in diesem normativen Zusammenhang auch "Ortschaften" oder "Gemeindeverwaltungsteile" im mehrfach erwähnten gemeinderechtlichen Sinn zu verstehen.
Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. dazu zuletzt VfGH 04.10.00 V91/99) ist unter dem Begriff (des Verwaltungsbezirkes mit) "gemischte(r) Bevölkerung" iSd Art7 Z3 StV Wien 1955 ein Gebiet zu verstehen, in dem "eine größere Zahl der dort wohnenden Personen zur Minderheit gehören müsse" bzw. für das ein "nicht ganz unbedeutender (Minderheiten)Prozentsatz" vorliege, wobei den diesbezüglichen Feststellungen "bloß eine vergröberte statistische Erfassung zugrundezulegen" sei, wie sie sich va. aus den einschlägigen statistischen Erhebungen im Rahmen der Volkszählungen ergebe.
Dem Begriff (des Verwaltungsbezirkes mit) "gemischte(r) Bevölkerung" in Art7 Z3 zweiter Satz StV Wien 1955 kommt keine andere Bedeutung zu als im ersten Satz dieser Bestimmung.
In der internationalen Praxis hat sich - was für die völkerrechtskonforme Auslegung der im Verfassungsrang stehenden Bestimmung des Art7 Z3 StV Wien 1955 von besonderer Bedeutung ist - für die Einräumung von Minderheitenrechten ein relevanter Prozentsatz von 5 bis 25%, äußerstenfalls von 30% herausgebildet. Ausgehend davon ist es aber angesichts der Zwecksetzung und der Entstehungsgeschichte der in Rede stehenden staatsvertraglichen Regelung, die nicht nur eine völkerrechtliche Verpflichtung Österreichs konstituiert, sondern auch einen Maßstab des Verfassungsrechtes bildet, ausgeschlossen, diese Vorschrift im Sinne des Erfordernisses eines Minderheitenprozentsatzes von wenigstens 25% - somit im obersten Bereich des erwähnten Rahmens - zu deuten.
Es geht in beiden Bestimmungen nicht (nur) darum, einzelnen Minderheitsangehörigen Erleichterungen zu bringen, sondern - in Bezug auf den zweiten Satz - der Allgemeinheit Kenntnis zu geben, dass hier eine größere Zahl von Minderheitsangehörigen lebt bzw. - in Bezug auf den ersten Satz - einer solchen Gruppe von Minderheitsangehörigen die Bewahrung und Pflege der eigenen (Minderheiten-)Sprache zu ermöglichen.
Kein Abgehen von der ständigen Rechtsprechung, der zu Folge bei Beurteilung der Frage, ob in einem bestimmten Gebiet eine größere Anzahl der dort wohnenden Personen zur Minderheit gehört, va. von einschlägigen statistischen Erhebungen auszugehen sei, die sich im Rahmen der Volkszählungen ergeben.
Im Hinblick auf diese Erwägungen erweist sich §2 Abs1 Z2 VolksgruppenG, insoweit danach das Anbringen zweisprachiger topographischer Bezeichnungen auf Gebiet(steil)e beschränkt wird, in denen eine verhältnismäßig beträchtliche Zahl, nämlich ein Viertel, von nicht deutschsprachigen - hier also slowenischsprachigen - Volksgruppenangehörigen wohnhaft ist, als dem Art7 Z3 zweiter Satz StV Wien 1955, der für österreichische Staatsangehörige u.a. der slowenischen Minderheit in Kärnten besondere Rechte statuiert, widersprechend und somit verfassungswidrig.
Gemessen an der im Hinblick auf die Aufhebung der Wortfolge in §2 Abs1 Z2 VolksgruppenG bestehenden Gesetzeslage verstößt die in Prüfung gezogene Bestimmung der Topographierverordnung, BGBl. 1977/306 aus den selben Erwägungen gegen §2 Abs2 VolksgruppenG wie dies für die mit dem E v 04.10.00, V91/99, aufgehobene Bestimmung in §2 Abs2 Z3 der Verordnung BGBl. 1977/307 zutraf.
Auch eine Ortschaft, die wie die Ortschaft St. Kanzian am Klopeiner See in der gleichnamigen Gemeinde, (auf Grund der Ergebnisse der Volkszählungen) über einen längeren Zeitraum betrachtet, einen Minderheitenprozentsatz von mehr als 10% aufweist, ist noch als Verwaltungsbezirk mit gemischter Bevölkerung iSd Art7 Z3 zweiter Satz StV Wien 1955 zu qualifizieren.
Auf Grund der selben Erwägungen erweist sich schließlich auch die in Prüfung gezogene Bestimmung der Verordnung der BH Völkermarkt betreffend Straßenverkehrszeichen im Verlauf der St. Kanzianer Straße als dem Art7 Z3 zweiter Satz StV Wien 1955 widersprechend. Zur Beseitigung dieser Rechtswidrigkeit reicht es jedoch aus, in dieser Bestimmung bloß die Anordnung der - allein deutschsprachigen - Ortsbezeichnungen: "St. Kanzian" und "St. Kanzian, Klopein" aufzuheben, nicht aber auch den sonstigen Regelungsgehalt der in Prüfung gezogenen Verordnungsbestimmung.
Entscheidungstexte
Schlagworte
Auslegung Verfassungs-, Straßenpolizei, Straßenverkehrszeichen, VfGH / Präjudizialität, Volksgruppen, MinderheitenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2001:G213.2001Dokumentnummer
JFR_09988787_01G00213_01