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90 Straßenverkehrsrecht, KraftfahrrechtNorm
B-VG Art7 Abs1 / VerordnungLeitsatz
Keine Gesetzwidrigkeit eines Fahrverbots am Paß Thurn für schwere Lastkraftfahrzeuge; keine Verletzung von Anhörungsrechten bei der Verordnungserlassung angesichts der Notwendigkeit einer raschen Reaktion auf den Unfall im Tauerntunnel; Erforderlichkeit des Fahrverbots angesichts der Baustellen-Situation und des steigenden LKW-Verkehrs; keine sachliche Rechtfertigung zweier Ausnahmebestimmungen zugunsten von Fahrzeugen mit Standort Kitzbühel und Lienz; Aufhebung lediglich der Ausnahmebestimmungen und nicht des ebenfalls präjudiziellen GrundtatbestandesRechtssatz
Keine Gesetzwidrigkeit der FahrverbotsV der Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel vom 10.06.99 für die B 161 Paß Thurn Bundesstraße für Lastkraftwagen über 7,5 t höchstzulässigem Gesamtgewicht.
Der Verfassungsgerichtshof erblickt unter den Begleitumständen - ergab sich doch aus dem Unfall im Tauerntunnel die Notwendigkeit, binnen kurzer Zeit auf eine plötzliche und unvorhergesehene Änderung der Verkehrsverhältnisse zu reagieren - in der Vorgangsweise der Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel keinen Verstoß gegen die Anhörungsvorschrift des §94f StVO 1960, zumal die verordnungserlassende Behörde nach dieser Bestimmung bei Gefahr im Verzuge von einem Anhörungsverfahren ganz absehen kann.
Das bis zur Verordnungserlassung (unter anderem) am Paß Thurn bestehende LKW-Fahrverbot wurde von der Bezirkshauptmannschaft Zell am See aufgehoben. Das im Verfahren vorgelegte Zahlenmaterial belegt zudem einen Anstieg des (LKW-)Verkehrsaufkommens auf der B 161. Dies - in Kombination mit der aufgrund der Baustellen im Bereich der B 161 bestehenden besonderen Verkehrssituation - läßt die in Prüfung gezogene Beschränkung des LKW-Verkehrs über den Paß Thurn als erforderlich im Sinne des §43 Abs1 StVO 1960 erscheinen.
Gesetzwidrigkeit der §2 lite und §2 litf der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel vom 10.06.99.
Es ist keine sachliche Rechtfertigung dafür erkennbar, zusätzlich zur Ausnahme für das Be- und Entladen von Fahrzeugen in bestimmten - vom Fahrverbot betroffenen - Gebieten von der Geltung der Fahrverbotsverordnung auch jene Fahrzeuge auszunehmen, die ihren Standort in bestimmten Gebieten, nämlich in den Bezirken Kitzbühel und Lienz, haben (§2 lite der Verordnung). Dies läuft nämlich darauf hinaus, daß jene Fahrzeuge die betroffene Strecke für den Transitverkehr benützen dürfen, der Lastkraftwagen mit einem anderen Standort (zB Mittersill) verwehrt ist (vgl VfSlg 13482/1993).
Es ist - insbesondere bei der gebotenen "Bedachtnahme auf die Verkehrsbeziehungen" (§43 Abs2 letzer Satz StVO 1960) - keine sachliche Rechtfertigung dafür ersichtlich, daß mit den Ausnahmebestimmungen in lite der Verordnung die Fahrten von LKW im politischen Bezirk Kitzbühel - der dem Fahrverbot geographisch am nächsten liegt - begünstigt werden, sowie zusätzlich auch jene aus dem (entfernter gelegenen) Bezirk Lienz, wohingegen jene aus dem Bezirk Zell am See, - obwohl dieser dem Fahrverbotsbereich näher liegt als das Gebiet des Bezirks Lienz, davon nicht begünstigt werden.
Auch der bloße Umstand, daß bestimmte Fahrzeuge ihren dauernden Standort außerhalb des Bundeslandes Tirol haben, bietet per se keine sachliche Rechtfertigung dafür, Fahrten mit diesen Fahrzeugen nicht in gleicher Weise vom Anwendungsbereich des Fahrverbotes auszunehmen, wie Fahrten mit Fahrzeugen mit Standort in Tirol (hier: im Gebiet der Bezirke Lienz und Kitzbühel).
Die aufgezeigte Gleichheitswidrigkeit ist aber auch auf die Ausnahme in §2 litf sinngemäß übertragbar. Aufgrund der in litf enthaltenen Verweisung auf lite wird nämlich auch das Be- und Entladen im Bezirk Zell am See gegenüber dem Be- und Entladen im Bezirk Lienz unsachlich benachteiligt. Zugleich ist damit eine unsachliche Differenzierung zwischen dem Be- und Entladen im Bezirk Zell am See und im Bezirk Kitzbühel gegeben, weil diese beiden Bezirke von einem LKW-Fahrverbot am Paß Thurn in gleichem Maße betroffen sind, zumal die betroffene Straßenstrecke (als Verbindungsstraße) an der Grenze zwischen diesen zwei Bezirken liegt.
Der Verfassungsgerichtshof geht bei Bestimmung des Umfangs einer als verfassungswidrig (gesetzwidrig) aufzuhebenden Rechtsvorschrift stets vom Grundgedanken aus, daß ein Normprüfungsverfahren dazu führen soll, eine festgestellte Verfassungswidrigkeit (Gesetzwidrigkeit) zu beseitigen, daß aber der nach Aufhebung verbleibende Teil des Gesetzes (der Verordnung) möglichst nicht mehr verändert werden soll, als zur Bereinigung der Rechtslage unbedingt notwendig ist, daß also keine oder möglichst wenige Regelungen aufgehoben werden sollen, gegen die sich die Bedenken nicht richten (VfSlg 8461/1978 mwH).
Die Vorschriften der litf und lite des §2 FahrverbotsV stehen in einem untrennbaren Zusammenhang (litf erhält erst aufgrund der Verweisung auf lite einen Sinn). Der Sitz der Gesetzwidrigkeit ist daher in den beiden Ausnahmebestimmungen der lite und litf zu erblicken, nicht aber im - ebenfalls präjudiziellen - Grundtatbestand, weil die Beseitigung der Ausnahmebestimmungen, verglichen mit einer Beseitigung des Grundtatbestandes, den zur Herbeiführung eines gesetzmäßigen Zustandes verhältnismäßig geringeren - zur Rechtsbereinigung notwendigen - Eingriff in die vom Verordnungsgeber geschaffene Rechtslage darstellt.
(Anlaßfälle: E v 15.03.02, B699/00, B1689/00 - Abweisung der Beschwerden aufgrund der bereinigten Rechtslage).
Entscheidungstexte
Schlagworte
Verordnung, Ausnahmeregelung - Regel, Straßenpolizei, Fahrverbot, Verordnungserlassung, Anhörungsrecht, VfGH / Präjudizialität, VfGH / Prüfungsgegenstand, VfGH / Prüfungsumfang, VfGH / VerwerfungsumfangEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2002:V69.2001Dokumentnummer
JFR_09979698_01V00069_01