RS Vfgh 2002/3/4 B30/01

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 04.03.2002
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Index

16 Medienrecht
16/02 Rundfunk

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art133 Z4
B-VG Art144 Abs1 / Instanzenzugserschöpfung
B-VG Art144 Abs1 / Legitimation
StGG Art13
EMRK Art10
BVG-Rundfunk ArtI Abs2
RundfunkG §2, §2a
RundfunkG §29 Abs5

Leitsatz

Keine Verletzung des Gleichheitsrechtes und der Meinungsäußerungsfreiheit durch die Feststellung der Rundfunkkommission hinsichtlich einer Verletzung des Objektivitätsgebotes durch ein Fernsehinterview mit einem Bürgermeister betreffend den Vorwurf sexueller Belästigung

Rechtssatz

Die Kommission ist eine nach Art133 Z4 B-VG eingerichtete Verwaltungsbehörde. Ihre Entscheidungen unterliegen nach §29 Abs5 RundfunkG nicht der Aufhebung oder Abänderung im Verwaltungsweg. Der administrative Instanzenzug ist also ausgeschöpft (vgl. zB VfSlg. 12.086/1989 mwH).

Den Umständen nach besteht die - für die Beschwerdeberechtigung vor dem Verfassungsgerichtshof essentielle - Möglichkeit, dass der beschwerdeführende ORF durch den angefochtenen Bescheid - dessen Adressat er ist - in einem subjektiven Recht verletzt wurde (s. gleichfalls VfSlg. 12.086/1989 mwH).

(ebenso: B54/01 und B764/01 vom selben Tag).

Träger des Grundrechts auf Meinungsäußerungsfreiheit ist im vorliegenden Fall der ORF selbst, weil der angefochtene Hoheitsakt (auch) die Rechtssphäre dieses Unternehmens betrifft und Art10 Abs2 EMRK verfassungsrechtliche Schranken für die gesetzliche Begrenzung der Ausübung der Rechte nach Art10 Abs1 EMRK enthält.

Auch die Sendeart der Fernsehinterviews, obgleich sie in §2 Abs1 Z1 RundfunkG nicht expressis verbis geregelt ist, ist dem grundlegenden Gebot der Objektivität, Unparteilichkeit, Pluralität und Ausgewogenheit unterworfen. Auch für die durch §2a Abs1 RundfunkG gebotene Achtung der Menschenwürde und der Grundrechte anderer trifft dies zu.

Seit Art10 EMRK im Verfassungsrang steht, darf die Freiheit der Meinungsäußerung nur aus den dort angeführten Gründen (Eingriffstatbeständen) beschränkt werden (VfSlg. 10.700/1985, 11.651/1988).

Insgesamt ist in der Festlegung des Gebotes der Objektivität, Unparteilichkeit, Pluralität und Ausgewogenheit sowohl im BVG-Rundfunk als auch im RundfunkG sowie in der durch §2a RundfunkG gebotenen Achtung der Menschenwürde und der Grundrechte anderer eine Begrenzung der Freiheit der Meinungsäußerung für den ORF bei seiner medialen Berichterstattung (im weitesten Sinn - also einschließlich der Ausstrahlung von Interviews) zu erblicken: Eine solche Freiheitsbegrenzung kann gemäß Art10 Abs1 letzter Satz EMRK für "Rundfunk- oder Fernsehunternehmen" im Zug der staatlichen Genehmigung (zu Folge VfSlg. 9909/1983 auch in Gestalt eines Gesetzes wie des RundfunkG) festgelegt werden; ferner gemäß Art10 Abs2 EMRK durch Gesetz, soweit diese Freiheitsbegrenzung im Interesse der dort umschriebenen Ziele, insbesondere auch im Interesse des Schutzes "der Rechte anderer", unentbehrlich (notwendig) ist (vgl. VfSlg. 11.062/1986, 12.086/1989).

Zur Beurteilung einer allfälligen Verletzung der bundes(verfassungs)gesetzlich statuierten Grundsätze der Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung ist eine Gesamtbetrachtung der jeweiligen Sendung anzustellen, so dass einzelne Darstellungen, die für sich genommen unsachlich sind, durch andere Inhalte ausgeglichen werden können; ferner ist bei der Prüfung dieser Grundsätze der Eindruck des Durchschnittskonsumenten im Gesamtkontext des Gebotenen maßgebend, wobei vom Wissens- und Bildungsstand des Durchschnittskonsumenten auszugehen ist.

(siehe auch B764/01 vom selben Tag).

Der Verfassungsgerichtshof hält im vorliegenden Fall die Auffassung der Kommission, dass allein wegen des Inhalts der Texteinblendungen der gesamte in Rede stehende Sendungsbeitrag die Grundsätze der Objektivität und Pluralität gemäß ArtI Abs2 BVG-Rundfunk und §2 Abs1 Z1 lita und b sowie Abs2 RundfunkG verletzt habe, im Lichte des Art10 EMRK für vertretbar. Die meisten dieser - nachträglich eingefügten - Texteinblendungen konterkarieren die jeweiligen Aussagen des Interviewpartners inhaltlich geradezu, ohne dass dieser - da ihm der Text dieser Einblendungen bei der Aufnahme der Sendung unbestrittener Maßen nicht bekannt war - Gelegenheit gehabt hätte, dazu Stellung zu nehmen. Dazu kommt noch, dass diese visuell erfassbaren Texteinblendungen die verbalen Ausführungen des Interviewpartners in ihrer medialen Wirkung (auf den Konsumenten des Sendungsbeitrages) deutlich übertreffen. Dadurch wird aber der Eindruck, den der Durchschnittskonsument im Gesamtkontext des Gebotenen gewinnt, einseitig zu Ungunsten des Interviewpartners verzerrt.

Ausgehend davon liegt es aber auch auf der Hand, dass der in Rede stehende Sendungsbeitrag, soferne er überhaupt als Darbietung von Unterhaltung im Sinne des §2 Abs1 Z4 RundfunkG zu qualifizieren ist, jedenfalls nicht als "einwandfrei" bewertet werden kann.

Weiters ist darauf hinzuweisen, dass der Kommission deshalb, weil sie ihre Ermittlungstätigkeit in diesem Punkt auf die Einsichtnahme in die Videoaufzeichnung der in Rede stehenden Sendung beschränkte, - anders als der beschwerdeführende ORF meint - auch keine willkürliche, den Gleichheitsgrundsatz verletzende Anwendung des RundfunkG vorgeworfen werden kann.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Meinungsäußerungsfreiheit, Rundfunk, Rechte subjektive öffentliche, Beschwerdeverfahren, Rundfunkkommission, Objektivitätsgebot, VfGH / Instanzenzugserschöpfung, VfGH / Legitimation

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2002:B30.2001

Dokumentnummer

JFR_09979696_01B00030_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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