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66 SozialversicherungNorm
B-VG Art10 Abs1 Z11Leitsatz
Aufhebung von Bestimmungen des ASVG betreffend pauschalierte Dienstgeberbeiträge für geringfügig Beschäftigte in der Kranken- und Pensionsversicherung als kompetenzwidrig; keine Zuordnung zum Kompetenztatbestand "Sozialversicherungswesen" bzw "Abgabenwesen" infolge Unabhängigkeit der Beitragspflicht von einem Versicherungsverhältnis bzw mangels Qualifikation der Dienstgeberbeiträge als öffentliche Abgaben iSd F-VG 1948; keine Aufhebung der Regelung über die Ausnahme geringfügig Beschäftigter von der Vollversicherungspflicht bzw die Möglichkeit einer Selbstversicherung; Einstellung des Verfahrens hinsichtlich von Bestimmungen über die Beitragspflicht vollversicherter geringfügig Beschäftigter sowie über Unfallversicherungsbeiträge der Dienstgeber mangels PräjudizialitätRechtssatz
Zulässigkeit des Prüfungsverfahrens hinsichtlich §5 Abs1 Z2 und §19a ASVG idF des Arbeits- und Sozialrechts-ÄnderungsG 1997 - ASRÄG 1997 (betr Ausnahme geringfügig Beschäftigter von der Vollversicherungspflicht bzw Möglichkeit der Selbstversicherung) infolge eines untrennbaren Zusammenhanges.
Beim sozialversicherungsrechtlichen Pflichtversicherungsverhältnis handelt es sich um eine dem Regel-Ausnahme-Verhältnis insoweit vergleichbare Konstellation, als (nicht anders als im Vertragsversicherungsrecht) ein untrennbarer Zusammenhang zwischen der Beitragspflicht und dem - zumindest potentiell gegebenen - Leistungsanspruch besteht vgl. E v 19.06.01, G115/00 ua).
Im vorliegenden Fall ist ebenfalls von einem derartigen - untrennbaren - Zusammenhang auszugehen: §53a ASVG trifft Regelungen über die Beitragspflicht für geringfügige Beschäftigungsverhältnisse schlechthin, dh. auch für jene geringfügig Beschäftigten, für die §19a ASVG eine Selbstversicherung in der Kranken- und Pensionsversicherung vorsieht, die ihrerseits an die Ausnahme von der Vollversicherungspflicht in §5 Abs1 Z2 ASVG anknüpft.
Einstellung des Verfahrens hinsichtlich §53a Abs3, Abs4, teilweise Abs5 sowie von Teilen des Abs1 (betr die Beitragspflicht vollversicherter geringfügig Beschäftigter bzw Unfallversicherungsbeiträge der Dienstgeber) mangels Präjudizialität.
Im vorliegenden Verfahren, in dem es um die Beitragspflicht des Dienstgebers für geringfügige Beschäftigungsverhältnisse geht, kommt jenen Gesetzesstellen, die ausschließlich die Beitragspflicht vollversicherter geringfügig Beschäftigter betreffen, keine Präjudizialität zu.
Die Verpflichtung zur Entrichtung von Unfallversicherungsbeiträgen war nicht Gegenstand des Verfahrens vor der belangten Behörde und des von dieser erlassenen Bescheides.
Aufhebung von Teilen des §53a Abs1 Z1, des §53a Abs1 Z2, §53a Abs2 sowie der Wendung "gemäß Abs1 Z2 und" in §53a Abs5 ASVG idF der 55. Novelle, BGBl I 138/1998.
Die in §53a ASVG getroffene Regelung ist - soweit den dort normierten Pauschalbeiträgen der Dienstgeber geringfügig Beschäftigter nicht deren Versicherungspflicht gegenübersteht - vom Kompetenztatbestand "Sozialversicherungswesen" iS des Art10 Abs1 Z11 B-VG nicht umfaßt.
Die Normierung einer Beitragspflicht des Dienstgebers ohne gleichzeitiges Entstehen eines Sozialversicherungsverhältnisses, di. das Versicherthalten des Dienstnehmers gegen den Eintritt bestimmter Versicherungsfälle, kann nicht als (intrasystematische) Fortentwicklung des Rechts innerhalb des Begriffsinhaltes des Kompetenztatbestandes "Sozialversicherungswesen" verstanden werden.
§53a Abs1 und Abs2 ASVG vermag sich nicht auf den Kompetenztatbestand "Abgabenwesen" iS des Art13 Abs1 B-VG bzw. iS des F-VG 1948 zu stützen:
Die den Dienstgebern von geringfügig Beschäftigten auferlegten Beiträge fließen nämlich nicht einer Gebietskörperschaft - wie es für eine "öffentliche Abgabe" iS des F-VG 1948 begriffswesentlich ist -, sondern den Sozialversicherungsträgern zu.
Die Dienstgeberbeiträge gem. §53a Abs1 Z2 ASVG entziehen sich daher - jedenfalls in ihrer derzeitigen Ausgestaltung - einer Qualifikation als öffentliche Abgaben iS des F-VG 1948.
Von einer Aufhebung des §5 Abs1 Z2 (sowie des damit allenfalls obsolet werdenden §19a ASVG) war deshalb abzusehen, weil die Beitragspflicht für Dienstgeber gem. §53a Abs1 Z2 ASVG je erst ab einer gewissen Mindestbeschäftigung geringfügig Beschäftigter eintritt und der Verfassungsgerichtshof im Falle einer Aufhebung der Ausnahme der geringfügig Beschäftigten von der Versicherungspflicht auch diese mit der Versicherungspflicht aller geringfügig Beschäftigten nicht zu vereinbarende Beschränkung beseitigen müßte; damit würde der Gerichtshof jedoch letztlich eine - wenn auch in die Aufhebung gesetzlicher Bestimmungen gekleidete - Maßnahme setzen, die das vom Gesetzgeber ersichtlich angestrebte System des Zusammenspiels freiwilliger Versicherung und Pflichtversicherung bei geringfügig Beschäftigten zugunsten eines ganz anderen Systems verändern würde. Dazu erachtet sich der Verfassungsgerichtshof jedoch nicht für berechtigt.
Zur Herstellung einer verfassungskonformen Rechtslage war es nicht erforderlich, das an sich unbedenkliche gesetzgeberische Konzept der Einbeziehung geringfügig Beschäftigter in die Pflichtversicherung durch die Aufhebung der gesamten Neuregelung zu beseitigen.
(Anlaßfall: B1271/99, E v 08.03.02 - Aufhebung des angefochtenen Bescheides; Quasianlaßfälle: B1409/99 ua, B1077/00, B1346/00, alle E v 13.03.02, u.v.m.).
Schlagworte
Abgabenbegriff, Finanzverfassung, Abgabenwesen, Gesetz, Ausnahmeregelung - Regel, Kompetenz Bund - Länder, Versteinerungstheorie, Kompetenz Bund - Länder Sozialversicherung, Sozialversicherung, Beitragspflicht, Pflichtversicherung, VfGH / Präjudizialität, VfGH / Prüfungsumfang, VfGH / VerwerfungsumfangEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2002:G219.2001Dokumentnummer
JFR_09979693_01G00219_01