RS Vfgh 2002/5/17 B923/02

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Veröffentlicht am 17.05.2002
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Index

10 Verfassungsrecht
10/07 Verfassungsgerichtshof, Verwaltungsgerichtshof

Norm

EMRK 7. ZP Art2
ARHG §33, §34
VfGG §85 Abs2 / Allg
VfGG §85 Abs2 / Strafrecht

Rechtssatz

Ein Nachteil ist dann unverhältnismäßig, wenn bei einem mittlerweiligen Vollzug des angefochtenen Bescheides (im Sinne einer auf welche Weise immer stattfindenden Umsetzung des angefochtenen Bescheides in die Wirklichkeit) durch die dadurch bewirkte Lage der Tatsachen der beschwerdeführenden Partei ein Nachteil droht, der auch nach Aufhebung des angefochtenen Bescheides im Hauptverfahren nicht wieder gutzumachen und daher geeignet ist, den vom Verfassungsgerichtshof zu gewährenden Rechtsschutz zu beeinträchtigen (vgl VfSlg 15259/1998, mwN).

Von zwingenden öffentlichen Interessen iSd §85 Abs2 VfGG kann nur gesprochen werden, wenn die konkrete Interessenlage öffentliche Rücksichten berührt, die einen umgehenden Vollzug des angefochtenen Bescheides gebieten. Der Umstand, daß öffentliche Interessen am Vollzug einer behördlichen Maßnahme bestehen, berechtigt nicht ohne weiteres zur Annahme, daß eben diese Interessen zwingend auch eine sofortige Verwirklichung der getroffenen Maßnahmen gebieten. Dem Aufschub entgegenstehende zwingende öffentliche Interessen wurden in der Rechtsprechung im wesentlichen stets dann angenommen, wenn mit dem Aufschub eine Gefahr für die Gesundheit und das Leben von Menschen (und zum Teil auch deren Eigentum) verbunden wäre; daneben lassen sich als relevante Gesichtspunkte die Gefährdung der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruches und des Abgabenanspruches als solchen sowie die Gefährdung der Versorgungslage breiterer Bevölkerungsteile (mit Wasser und Energie) erkennen (vgl B v 04.04.01, B2271/00, mwN).

Dem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung wird insoweit Folge gegeben, als der Beschwerdeführer vorerst bis einschließlich 23.05.02 nicht ausgeliefert werden darf; im übrigen wird die Entscheidung über den Antrag auf aufschiebende Wirkung vorbehalten.

In der angefochtenen Erledigung des Bundesministers für Justiz wird die Auslieferung des Beschwerdeführers in die USA zur Vollstreckung einer mit näher bezeichnetem Urteil eines Gerichtes in Florida verhängten Freiheitsstrafe in der Dauer von 845 Jahren bewilligt.

Der OGH hat im Beschluß vom 09.04.02, 14 Os 8/02-12, die Auffassung vertreten, zur Prüfung der Frage, ob die Auslieferung des Beschwerdeführers gegen Art2 des 7. ZP EMRK verstoße, sei nicht das Oberlandesgericht in seiner über die Zulässigkeit der Auslieferung unter (im Wesentlichen) grundrechtlichen Gesichtspunkten zu treffenden Entscheidung nach §33 ARHG zuständig, sondern der Bundesminister für Justiz in seiner (das Auslieferungsverfahren abschließenden) Entscheidung nach §34 ARHG.

Vor dem Hintergrund dieser Rechtsauffassung dürfte der als Bescheid bekämpften Entscheidung des Bundesministers für Justiz die Beurteilung innewohnen, daß die Auslieferung des Beschwerdeführers unter dem Gesichtspunkt des Art2 des 7. ZP EMRK zulässig ist; damit könnte aber der bekämpften Erledigung in der Tat Bescheidqualität zuzumessen sein. Dem Umstand, daß die Erledigung nicht als Bescheid bezeichnet ist, käme angesichts des vorläufig angenommenen normativen Inhaltes der Erledigung keine ausschlaggebende Bedeutung zu.

Die Frage, ob der Bewilligung der aufschiebenden Wirkung zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen, vermag der Verfassungsgerichtshof derzeit nicht abschließend zu beurteilen. Um der belangten Behörde Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, dem Beschwerdeführer zugleich den vom Verfassungsgerichtshof vorerst als erforderlich angesehenen Rechtsschutz zu gewähren, war daher vorerst - in Anwendung des §85 Abs4 VfGG - die aufschiebende Wirkung zu bewilligen, jedoch nur für einen Zeitraum bis 23.05.02. Über den darüber hinausgehenden Teil des Antrages wird der Verfassungsgerichtshof am 23.05.02 unter Berücksichtigung einer von der belangten Behörde noch zu erstattenden Stellungnahme zum Antrag auf aufschiebende Wirkung entscheiden. Insoweit war daher die Entscheidung vorzubehalten.

(Ablehnung der Behandlung der Beschwerde mit B v 23.05.02).

Entscheidungstexte

  • B 923/02
    Entscheidungstext VfGH Beschluss 17.05.2002 B 923/02
  • B 923/02
    Entscheidungstext VfGH Beschluss 23.05.2002 B 923/02

Schlagworte

Bescheidbegriff, Rechtsschutz, Strafrecht, Strafprozeßrecht, VfGH / Wirkung aufschiebende, Auslieferung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2002:B923.2002

Dokumentnummer

JFR_09979483_02B00923_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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