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27 RechtspflegeNorm
B-VG Art7 Abs1 / VerwaltungsaktLeitsatz
Verletzung im Gleichheitsrecht durch neuerliche Verhängung einer Disziplinarstrafe über einen Rechtsanwalt wegen verbotener Werbung nach Aufhebung des ersten Disziplinarerkenntnisses durch den Verfassungsgerichtshof wegen unzulässiger Behördenzusammensetzung; rechtswidrige Verneinung der Anwendung des Günstigkeitsprinzips; Verletzung der Meinungsäußerungsfreiheit durch zu weit gefasste Auslegung der Verpflichtung zur Unterbindung standeswidriger Werbung durch DritteRechtssatz
Verletzung im Gleichheitsrecht durch neuerliche Verhängung einer Disziplinarstrafe über einen Rechtsanwalt wegen Werbung für (seine) Immobilien GmbH durch Bezugnahme auf eigene Anwaltskanzlei; rechtswidrige Verneinung der Anwendung des Günstigkeitsprinzips hinsichtlich der Neufassung des §45 RL-BA 1977.
Im Unterschied zum gerichtlichen Strafrecht (§61 StGB) fehlt im DSt 1990 eine ausdrückliche Regelung zur Frage, welche Fassung einer Vorschrift bei Beurteilung einer Tat anzuwenden ist, wenn die einschlägigen Tatbestände seit Begehung der Tat novelliert wurden.
Es würde zu einer sachlich nicht zu rechtfertigenden unterschiedlichen Behandlung (und damit zu einem im Lichte des Gleichheitssatzes verfassungswidrigen Ergebnis) führen, wenn das in §61 StGB (letztlich als Ausgestaltung des in Art7 EMRK normierten Grundgedankens) zum Ausdruck kommende Günstigkeitsprinzip im Disziplinarrecht der Rechtsanwälte keine Anwendung fände.
Ein konkretes disziplinarrechtliches Tatbild ergibt sich erst im Wege der Auslegung, unter Zuhilfenahme der Richtlinien, der verfestigten Standesauffassungen oder anderer gesetzlicher Vorschriften. Schon aus diesem Grund können inhaltliche Änderungen der einzelnen Bestimmungen in den RL-BA 1977, entgegen der dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegenden Auffassung, nicht als für die Anwendung des §61 StGB irrelevante - bloße "Änderungen von blankettausfüllenden Normen" verstanden werden.
Im Fall des Beschwerdeführers wird ein "Günstigkeitsvergleich" im Sinne von §61 StGB insbesondere deshalb von Bedeutung sein, weil die ursprüngliche Fassung dem Rechtsanwalt die "Selbstanpreisung durch reklamehaftes Herausstellen seiner Person oder seiner Leistungen" untersagte, die neue Fassung hingegen in diesem Zusammenhang von einem Verbot der "Selbstanpreisung durch marktschreierische Werbung" spricht, wovon im konkreten Fall keine Rede sein kann.
Verletzung der Meinungsäußerungsfreiheit durch zu weit gefasste Auslegung der Verpflichtung zur Unterbindung standeswidriger Werbung durch Dritte in §46 RL-BA 1977 bei Verhängung einer Disziplinarstrafe über einen Rechtsanwalt.
Der Inhalt der novellierten Fassung des Verbots der Verhinderung von Werbung durch Dritte (diese ist neu formuliert: "Der Rechtsanwalt hat in zumutbarer Weise dafür zu sorgen, daß standeswidrige Werbung für ihn durch Dritte ... unterbleibt"; §46 RL-BA 1977) ist verfassungskonform im Sinne des Erkenntnisses VfSlg 12467/1990 darauf zu beschränken, daß der Rechtsanwalt nicht bereits für die bloße Unterlassung der Verhinderung von Werbung Dritter mit seiner Person verantwortlich ist, sondern erst dann ein Disziplinarvergehen zu vertreten hat, wenn er "das Benehmen anderer selbst veranlaßt oder gefördert" hat.
Aus den Feststellungen der OBDK geht hervor, daß der Beschwerdeführer, der "indirekt Hälfteeigentümer" der F Immobilien GesmbH sei, als ihm der Inhalt der Werbeinserate zum ersten Mal vorgehalten wurde, sogleich auf deren Urheber dahingehend eingewirkt habe, daß derartiges in Zukunft vermieden werde. Die Disziplinarbehörden haben den Beschwerdeführer für seine Unterlassung haftbar gemacht, obwohl sie ausdrücklich festgestellt haben, daß der Beschwerdeführer selbst aktiv geworden ist, um die Werbemaßnahmen Dritter zu verhindern. Sie haben dadurch §46 RL-BA 1977 gerade jenen Inhalt unterstellt, den der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg 12467/1990 als nicht von §2 DSt 1872 (heute §1 DSt 1990) - verfassungskonform ausgelegt - gesetzlich gedeckt angesehen hat.
Schlagworte
Auslegung verfassungskonforme, Meinungsäußerungsfreiheit, Disziplinarrecht, Rechtsanwälte, Strafrecht, Werbung, WerbeverbotEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2002:B1059.2001Dokumentnummer
JFR_09979389_01B01059_01