RS Vfgh 2002/6/12 G322/01 ua

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Veröffentlicht am 12.06.2002
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Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8200 Bauordnung

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs7 zweiter Satz
Nö BauO 1996 §62 Abs2
Richtlinie des Rates 91/271/EWG

Leitsatz

Unsachlichkeit der Regelungen über den ausnahmslosen Anschlußzwang an den öffentlichen Kanal in der Nö BauO 1996; Unverhältnismäßigkeit des Ausschlusses von Ausnahmen im Einzelfall; kein Entscheidungsspielraum für die Behörden; kein Vorliegen eines Härtefalles; Regelung nicht durch EU-Richtlinie erzwungen

Rechtssatz

Feststellung der Verfassungswidrigkeit bzw Aufhebung des §62 Abs2 erster und zweiter Satz der Nö BauO 1996 idF LGBl 8200-0 (Stammfassung) bzw LGBl 8200-3.

Die grundsätzliche Möglichkeit, daß private Kleinkläranlagen kommunalen Anlagen in technischer, ökologischer und wirtschaftlicher Hinsicht gleichwertig oder überlegen sein können, hat die Landesregierung nicht in Zweifel gezogen. Das Gesetz aber verwehrt es der Behörde, welche die BauO zu vollziehen hat, in dieser Hinsicht überhaupt einen Vergleich anzustellen.

Der Verfassungsgerichtshof hat grundsätzlich keine Bedenken dagegen, wenn ein Anschlußzwang im Interesse der wirtschaftlichen Führung einer kommunalen Kanalisationsanlage verfügt wird. Ob eine Ausnahme vom Anschlußzwang dieses Interesse gefährden würde, wäre im Einzelfall zu prüfen; das Gesetz erlaubt aber eine solche von der Behörde vorzunehmende Prüfung nicht.

Kein Vorliegen eines Härtefalles.

Der absolute Anschlußzwang, wie ihn §62 Abs2 Nö BauO 1996 vorsieht, wird auch nicht durch die Richtlinie des Rates 91/271/EWG, ABl. 1991 L 135/40, erzwungen.

Nicht jede Regelung, die einfach und leicht handhabbar ist, ist damit schon vor dem Gleichheitssatz gerechtfertigt.

Der Verfassungsgerichtshof kann der Landesregierung nicht folgen, wenn sie meint, die Errichtung einer kommunalen Kanalisationsanlage im verbauten Gebiet würde durch die vom Verfassungsgerichtshof vermißte Ausnahmebestimmung "praktisch unmöglich". Eine solche Ausnahmebestimmung müßte nämlich nicht jede Kleinkläranlage - oder gar auch Senkgruben - erfassen, sondern nur solche Abwasserreinigungsanlagen, die dem Stand der Technik entsprechen und der kommunalen Anlage gleichwertig oder überlegen sind. Eine Ausnahme für solche Anlagen ist von Verfassungs wegen auch nur dann geboten, wenn sie bereits bestehen, bevor die kommunale Anlage gebaut wird, und wenn ihre Errichtung für die nunmehr Anschlußpflichtigen mit spürbaren Aufwendungen verbunden war, die nun frustriert erschienen.

Es gibt keinen Grund, eine Anlage, die den Anliegen des Umweltschutzes ebenso gerecht wird wie eine kommunale Anlage, gerade aus Gründen des Umweltschutzes funktionslos zu machen.

Ausdehnung der Anlaßfallwirkung auf die zu B623/98, B831/00 und B1344/01 anhängigen Beschwerdeverfahren, in denen §62 Abs2 erster und zweiter Satz Nö BauO 1996 in der Stammfassung angewandt worden war, um zu verhindern, daß im fortgesetzten Verfahren der - gleichfalls als verfassungswidrig erkannte - §62 Abs2 erster und zweiter Satz idF der 1. Novelle angewandt werden.

(Anlaßfälle: B623/98, E v 18.06.02, B1259/01 ua, E v 19.06.02, Aufhebung der angefochtenen Bescheide; Quasianlaßfälle: B831/00, B2112/00, B1344/01, B1537/01, B1550/01, B1577/01 und B207/02, alle E v 26.06.02).

Entscheidungstexte

  • G 322/01 ua
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 12.06.2002 G 322/01 ua

Schlagworte

Baurecht, EU-Recht Richtlinie, Kanalisation, VfGH / Anlaßfall, VfGH / Anlaßverfahren, Novellierung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2002:G322.2001

Dokumentnummer

JFR_09979388_01G00322_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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