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61 Familienförderung, JugendfürsorgeNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Keine Zulässigkeit der Gerichtsanträge auf Aufhebung der Einstufung der Familienbeihilfe nicht als Unterhalt des Kindes mangels Präjudizialität in den Anlaßverfahren zur Herabsetzung des Kindesunterhalts; kein untrennbarer Zusammenhang mit dem zweiten Halbsatz der zur Aufhebung beantragten Bestimmung des Familienlastenausgleichsgesetzes hinsichtlich der Nichtanrechenbarkeit der Familienbeihilfe auf den Unterhaltsanspruch; keine sachliche Rechtfertigung der dadurch verhinderten Abgeltung steuerlicher Mehrbelastungen von Unterhaltspflichtigen; keine Fristsetzung zur Vermeidung der Verlängerung der Judikaturdivergenzen bei den ZivilgerichtenRechtssatz
Zulässigkeit der Gerichtsanträge auf Aufhebung des zweiten Halbsatzes des §12a FamilienlastenausgleichsG 1967 (keine Minderung des Unterhaltsanspruchs des Kindes durch Familienbeihilfe).
Der OGH und die anderen antragstellenden Gerichte haben die von ihnen angefochtene Bestimmung des §12a FamilienlastenausgleichsG 1967 bei ihrer Entscheidung über den Revisionsrekurs bzw. Rekurs insoweit anzuwenden, als sie eine Anrechnung der Familienbeihilfe auf den Unterhalt verhindert. Der Verfassungsgerichtshof muß dabei nicht im einzelnen untersuchen, ob die hinreichende steuerliche Entlastung in den zugrundeliegenden Fällen durch eine Anrechnung bloß des Kinderabsetzbetrages erreicht werden könnte.
Zurückweisung der Anträge hinsichtlich des ersten Halbsatzes ("Die Familienbeihilfe gilt nicht als eigenes Einkommen des Kindes") mangels Präjudizialität, Aufhebung zur Bereinigung der Rechtslage nicht erforderlich, keine untrennbare Einheit der beiden Satzteile.
Mit der Anordnung des ersten Satzteiles des §12a FamilienlastenausgleichsG 1967 soll lediglich erreicht werden, daß für jene Fälle, in denen an die Höhe des Kindeseinkommens etwa zivilrechtliche, sozialrechtliche oder steuerrechtliche Konsequenzen geknüpft sind, klargestellt wird, daß eine Einbeziehung der Familienbeihilfe bei der Ermittlung des maßgebenden Einkommensbetrages jedenfalls zu unterbleiben hat. Entfiele dieser Satzteil, so wäre diese eindeutige Aussage nicht mehr gegeben. Sollte man dabei etwa im Hinblick auf §140 Abs3 ABGB zu dem Ergebnis kommen, daß die Familienbeihilfe als eigenes Einkommen des Kindes anzusehen ist, das den Anspruch auf Unterhalt mindert, so hätte die Aufhebung des fraglichen Satzteiles zur Konsequenz, daß der Unterhaltsanspruch um den vollen Betrag der Familienbeihilfe zu kürzen wäre. Dieses Ergebnis würde den von den antragstellenden Gerichten vorgetragenen Bedenken keineswegs entsprechen. Es würde damit auch wesentlich mehr aus dem Rechtsbestand ausgeschieden werden, als aus der Sicht des Anlaßfalles erforderlich ist.
Kein Vorliegen des Prozeßhindernisses der entschiedenen Sache.
Der VfGH hat in E v 27.06.01, B1285/00, - worauf die antragstellenden Gerichte zu Recht hinweisen - nicht über die nunmehr von ihnen vorgetragenen Bedenken abgesprochen, weil die fragliche Bestimmung im damaligen Verfahren nicht präjudiziell war und von ihm gar nicht in Prüfung gezogen werden konnte.
In §12a FamilienlastenausgleichsG 1967, BGBl 376, idF BGBl 646/1977, wird die Wortfolge "und mindert nicht dessen Unterhaltsanspruch" als verfassungswidrig aufgehoben.
Hinweis auf E v 27.06.01, B1285/00.
Die Mehrbelastung des alleinerziehenden Elternteiles kann nicht rechtfertigen, die durch die Geldunterhaltsleistung bedingte Minderung der Leistungsfähigkeit des getrennt lebenden Elternteiles nur in unzureichender Weise, nämlich durch den Unterhaltsabsetzbetrag, zu berücksichtigen.
Der Gerichtshof kann auch nicht nachvollziehen, daß die steuerliche Entlastung von besser verdienenden geldunterhaltsverpflichteten Elternteilen bereits - wie die Bundesregierung meint - durch die zivilgerichtliche Unterhaltsjudikatur "in einer gewissen Weise verwirklicht ist". Es mag sein, daß im Fall aufrechter Haushaltsgemeinschaft die tatsächlich dem Kind zugute kommenden Haushaltsausgaben den zivilrechtlich geschuldeten Unterhalt im Durchschnitt der Fälle übersteigen und sich daher Kinder, die auf Geldunterhalt angewiesen sind, demgegenüber in einer ungünstigeren Position befinden. Was daraus für die Frage der einkommensteuerlichen Berücksichtigung des gesetzlich geschuldeten Unterhaltes folgen soll, vermag der Gerichtshof nicht zu sehen.
Der Gesetzgeber hat spätestens mit dem BudgetbegleitG 1998, BGBl I 79/1998, in Kauf genommen, daß ein Teil der Transferleistungen in bestimmten Situationen und in unterschiedlicher Höhe nunmehr nicht für die Kinder bestimmt ist, sondern der steuerlichen Entlastung der Unterhaltsverpflichteten dient. Der Gerichtshof kann daher auch nicht die Auffassung teilen, daß die steuerliche Entlastung auf Kosten der Kinder erfolgt.
Der Gesetzgeber hat sich dafür entschieden, die Familienbeihilfe sowohl zur Familienförderung als auch - und dies in einem auf dem Prinzip der Individualbesteuerung beruhenden Einkommensteuersystem - als Instrument steuerlicher Entlastung einzusetzen.
Keine teleologische Reduktion des Wortlautes des §12a FamilienlastenausgleichsG 1967.
Die (verdeckte) Lücke besteht im vorliegenden Fall im Fehlen einer nach der ratio legis notwendigen Ausnahmeregel. Wenn nämlich §12a FamilienlastenausgleichsG 1967 eine Anrechnung der Familienbeihilfe auf den Unterhalt seinem Wortlaut nach generell ausschließt (obwohl eine teilweise Anrechnung verfassungsrechtlich geboten wäre), so ist der Gesetzeswortlaut überschießend; es fehlt gerade die nach der ratio legis des Einkommensteuergesetzes - die Familienbeihilfe soll nach der Absicht des Gesetzgebers grundsätzlich auch die Funktion der steuerlichen Entlastung der Unterhaltspflichtigen übernehmen - notwendige Ausnahmevorschrift. Jene Personengruppe, für die die Anrechnung gelten sollte (das sind die geldunterhaltspflichtigen Personen), unterscheidet sich nach den Grundwertungen des Gesetzes von jener Gruppe, für die eine Anrechnung nicht erforderlich ist (weil sie keine Geldunterhaltslasten zu tragen haben).
Der Anwendungsbereich des §12a FamilienlastenausgleichsG 1967 wird durch die vom Verfassungsgerichtshof in B1285/00 vorgenommene Auslegung nur in Fällen höherer Einkommen und höherer Unterhaltsleistungen eingeschränkt, wobei sich im übrigen aus den dort angestellten Überlegungen ergibt, daß die Minderung des Unterhaltsanspruches durch die Anrechnung auch bei hohen Einkommen deutlich unter 20 vH liegt.
Der Geldunterhaltspflichtige wird sowohl gegenüber Personen mit gleichem Einkommen aber ohne Geldunterhaltspflichten als auch gegenüber Unterhaltspflichtigen, deren Haushalt der Unterhaltsberechtigte angehört, schlechter gestellt, weil die teilweise zur Abgeltung steuerlicher Mehrbelastungen gedachte Familienbeihilfe ihm auch nicht in diesem Ausmaß auf seine Unterhaltsverpflichtung angerechnet wird.
Wenn aber das vom Verfassungsgerichtshof angestrebte Ziel der Herstellung eines verfassungsmäßigen Zustandes mit Hilfe der teleologischen Reduktion des §12a FamilienlastenausgleichsG 1967 angesichts der bei den Zivilgerichten entstandenen Judikaturdivergenz nicht erreicht werden kann, hält es der Verfassungsgerichtshof in Wahrnehmung seiner Rechtsbereinigungsfunktion für geboten, den verfassungsmäßigen Zustand durch Aufhebung der Norm selbst herzustellen.
Der Verfassungsgerichtshof geht dabei davon aus, daß die Aufhebung dieser Wortfolge keineswegs zur Folge hat, daß nunmehr die Familienbeihilfe stets zur Gänze dem geldunterhaltspflichtigen Elternteil zugute kommt, also zur Gänze auf dessen Unterhaltsverpflichtung anzurechnen ist.
Mit der Aufhebung des zweiten Halbsatzes in §12a FamilienlastenausgleichsG 1967 besteht für die Zivilgerichte kein Hindernis mehr, im Fall entsprechend begründeter Herabsetzungsanträge die Familienbeihilfe im verfassungsrechtlich gebotenen Ausmaß auf die Unterhaltsverpflichtung des Geldunterhaltsverpflichteten anzurechnen. Eine Aufhebung unter Fristsetzung hätte das unbefriedigende Ergebnis zur Folge, daß jene Gerichte, die sich der Auffassung des Verfassungsgerichtshofs zu B1285/00 angeschlossen haben bzw. anzuschließen bereit sind, bereits auf der Basis dieser Entscheidung eine teilweise Anrechnung der Familienbeihilfe auf die Unterhaltsverpflichtung vornehmen (können), während jene, die eine verfassungskonforme Interpretation des §12a FamilienlastenausgleichsG 1967 im Sinne dieses Erkenntnisses ablehnen, bis zum Ablauf der gesetzten Frist bzw. bis zu einer gesetzlichen Neuregelung eine solche Anrechnung unterlassen müßten. Da die Fristsetzung somit voraussichtlich die Judikaturdivergenz innerhalb der Zivilgerichte verlängern würde und die Grundsätze der gebotenen Anrechnung im Erkenntnis zu B1285/00 vorgezeichnet sind, besteht für eine Fristsetzung kein Anlaß.
Entscheidungstexte
Schlagworte
Auslegung teleologische, Einkommensteuer, Kinder, Familienlastenausgleich, VfGH / Bedenken, VfGH / Präjudizialität, VfGH / Prüfungsgegenstand, VfGH / Prüfungsumfang , Zivilrecht, Kindschaftsrecht, Unterhalt, RechtskraftEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2002:G7.2002Dokumentnummer
JFR_09979381_02G00007_2_01