RS Vfgh 2002/6/20 G110/02 ua

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Veröffentlicht am 20.06.2002
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Index

32 Steuerrecht
32/02 Steuern vom Einkommen und Ertrag

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art18 Abs1
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsgegenstand
KommunalsteuerG 1993 §15 idF vor AbgÄG 2001, BGBl I 144/2001

Leitsatz

Zulässigkeit der Verfahren zur Prüfung einer Strafbestimmung im Kommunalsteuergesetz; untrennbare Einheit der maßgeblichen Absätze dieser Bestimmung; Zulässigkeit von Anträgen auch auf Prüfung einer bereits außer Kraft getretenen Bestimmung; keine sachliche Rechtfertigung des Eintritts der Strafbarkeit bereits bei bloßem Zahlungsverzug auch ohne Verletzung von Erklärungs- oder Aufzeichnungspflichten bzw bei rechtzeitiger Bekanntgabe der Nichtentrichtung der Abgabe

Rechtssatz

Zulässigkeit des von Amts wegen eingeleiteten Verfahrens zur Prüfung des §15 KommunalsteuerG 1993; untrennbarer Zusammenhang zwischen Absatz 1 und Absatz 2.

Der Versuch der Bundesregierung, im Interpretationsweg den Tatbestand des Abs1 (Erfolgsdelikt der Abgabenverkürzung durch Handlungen bzw Unterlassungen) um zusätzliche, ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzungen anzureichern, scheitert nicht nur an dessen klarem Wortlaut, sondern kann auch deswegen nicht zum Erfolg führen, weil bei der Annahme solcher ungeschriebener Tatbestandselemente der Straftatbestand unter dem Blickwinkel des Art18 B-VG Bedenken erwecken müßte. Wenn daher Abs2 des §15 KommunalsteuerG 1993 die Nichtentrichtung der Kommunalsteuer bis zum Fälligkeitstag als Verwaltungsübertretung qualifiziert, so wird damit in Form eines Unterlassungsdeliktes letztlich dasselbe Verhalten wie in Abs1 unter Strafdrohung gestellt: Es ist praktisch kaum vorstellbar, daß ein Sachverhalt den Tatbestand nach Abs2 erster Fall, nicht aber den Verkürzungstatbestand iSd Abs1 verwirklicht. Die fraglichen Vorschriften lassen gar nicht klar erkennen, welche von ihnen im konkreten Fall zur Anwendung zu kommen hat.

Zulässigkeit der Anträge des UVS auf Aufhebung des §15 KommunalsteuerG 1993 in der Stammfassung BGBl 819.

Der Umstand, daß eine Gesetzesstelle bereits außer Kraft getreten ist, schließt die Zulässigkeit eines Antrages eines Gerichtes oder eines Unabhängigen Verwaltungssenates nicht aus, wenn in ihm begehrt wird, die betreffende Gesetzesstelle als verfassungswidrig aufzuheben (vgl. hiezu das E v 14.12.01, G181/01 ua).

Feststellung der Verfassungswidrigkeit des §15 KommunalsteuerG 1993 idF vor AbgabenänderungsG 2001, BGBl I 144/2001.

Im Hinblick auf Art18 B-VG können in §15 Abs1 KommunalsteuerG 1993 nicht weitere (ungeschriebene) Tatbestandsmerkmale hineingelesen werden. Es ist daher die bloße Versäumung eines Zahlungstermines für sich allein (das heißt auch ohne Verletzung einer Erklärungs- oder Aufzeichnungspflicht) strafbar. Diese Strafbarkeit kann auch nicht dadurch vermieden werden, daß der Abgabenbehörde bis zum Fälligkeitszeitpunkt die Höhe des geschuldeten Betrages bekanntgegeben wird. Damit stellt sich die strafrechtliche Situation im Bereich der Kommunalsteuer vollkommen anders dar als bei den dem FinStrG unterliegenden Abgaben.

Der Gerichtshof kann für diese "außerordentliche Härte" bei bloßem Zahlungsverzug im Bereich der Kommunalsteuer keine sachliche Rechtfertigung erkennen. Er bezweifelt dabei nicht, daß ein legitimes Interesse der Länder (Gemeinden) besteht, bei Zuwiderhandlungen gegen die von ihnen erhobenen Abgaben, und daher auch bei der Kommunalsteuer, auch die Verwaltungsstrafverfahren durchführen zu wollen. Er hält es auch nicht für verfassungsrechtlich geboten, die Kommunalsteuer in den Geltungsbereich des FinStrG einzubeziehen. Er vermag aber nicht zu sehen, was es rechtfertigen könnte, die bloße Versäumung von Zahlungsterminen im Bereich der Kommunalsteuer - selbst wenn es nicht zur Verletzung von Erklärungs- oder Aufzeichnungspflichten gekommen ist bzw. wenn die Nichtentrichtung der Abgabe der Behörde rechtzeitig bekanntgegeben wurde - unter Strafsanktion zu stellen. Daran ändert der Umstand nichts, daß es im Einzelfall möglich ist, die Strafe niedrig festzusetzen oder von ihrer Verhängung überhaupt abzusehen. Uneinheitliche Systematik des landesgesetzlichen Abgabenstrafrechts und vergleichbarer Regelungen auch im Bereich anderer Landes- oder Gemeindeabgaben kein Argument für die Sachlichkeit der Regelung.

siehe auch E v 09.10.02, G136/02 ua - Aufhebung des § 15 KommunalsteuerG 1993 idF AbgÄG 2001, BGBl I 144/2001.

Anlaßfall: E v 12.10.02, B1358/00 ua - Aufhebung der angefochtenen Bescheide; Quasi-Anlaßfälle: E v 12.10.02, B755/00 ua, B709/02.

Entscheidungstexte

  • G 110/02 ua
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 20.06.2002 G 110/02 ua

Schlagworte

Finanzstrafrecht, Geltungsbereich (zeitlicher) eines Gesetzes, Kommunalsteuer, VfGH / Prüfungsgegenstand, VfGH / Prüfungsumfang, Determinierungsgebot, Legalitätsprinzip

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2002:G110.2002

Dokumentnummer

JFR_09979380_02G00110_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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