TE Vfgh Erkenntnis 2005/9/26 B1588/04

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Veröffentlicht am 26.09.2005
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Index

80 Land-und Forstwirtschaft
80/01 Organisationsrecht

Norm

B-VG Art12 Abs2
EMRK Art6 Abs1 / civil rights
EMRK Art6 Abs1 / Tribunal
AgrBehG §5 Abs2, §6 Abs2
AVG §52

Leitsatz

Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Tribunal durch die Betrauung eines stimmführenden Mitgliedes des Agrarsenates mit der Erstattung eines Gutachtens in einem - zivilrechtliche Ansprüche betreffenden - Sonderteilungsverfahren bezüglich Ausscheidung eines Gutes aus einer Agrargemeinschaft; Erweckung von Zweifeln an Unbefangenheit und Neutralität der Mitglieder der belangten Behörde

Spruch

Die Beschwerdeführer sind durch den angefochtenen Bescheid in ihrem durch Art6 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Tribunal verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Das Land Steiermark ist verpflichtet, den Beschwerdeführern zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit € 2.556,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu erstatten.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Mit Antrag vom 28. November 1988 begehrten die nunmehrigen Beschwerdeführer die Ausscheidung aus der Agrargemeinschaft Eisenerzer Waldgenossenschaft im Wege einer Singularteilung; durch Devolution ging die Zuständigkeit auf den Landesagrarsenat beim Amt der Steiermärkischen Landesregierung über, der den Antrag mit Erkenntnis vom 24. September 2003 abwies. Die dagegen erhobene Berufung an den Obersten Agrarsenat wurde als unzulässig zurückgewiesen; der hierauf an den Verfassungsgerichtshof gestellte Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Erhebung der Beschwerde gegen den Bescheid des Landesagrarsenates wurde mit Beschluss vom 28. Februar 2005 bewilligt.

In der gegen das Erkenntnis des Landesagrarsenates erhobenen Beschwerde wird die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf ein faires Verfahren nach Art6 EMRK, auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz behauptet. Zwei sachkundige Mitglieder des Landesagrarsenates seien im Verfahren sowohl als Stimmführer wie auch als Gutachter aufgetreten.

Die belangte Behörde tritt der Beschwerde entgegen und beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

II. Die Beschwerde ist begründet.

1. Das Verfahren über die Ausscheidung aus einer Agrargemeinschaft im Wege einer Singularteilung betrifft civil rights im Sinne des Art6 EMRK. Diese Bestimmung verlangt, dass in Angelegenheiten, die als civil rights zu qualifizieren sind, ein unabhängiges und unparteiisches Tribunal tätig wird. Wie der Verfassungsgerichtshof schon mehrfach ausgesprochen hat, muss ein Tribunal derart zusammengesetzt sein, dass keine berechtigten Zweifel an der Unabhängigkeit seiner Mitglieder entstehen; bei dieser Beurteilung ist auch der äußere Anschein von Bedeutung (vgl. etwa VfSlg. 15.507/1999, 15.668/1999, beide mwH).

Der Umstand, dass sachkundige stimmführende Mitglieder des Landesagrarsenates im Verfahren Gutachten in ihrer Eigenschaft als Sachverständige (im Sinne des AVG) erstattet haben, ist jedenfalls geeignet, einerseits an der Neutralität dieser Mitglieder als Sachverständige (vgl. VfSlg. 10.701/1985, 16.029/2000), andererseits an ihrer Unbefangenheit als Entscheidungsträger - zu dessen Aufgaben es unter anderem gehört, die Schlüssigkeit der eingeholten Sachverständigengutachten zu beurteilen - Zweifel aufkommen zu lassen, aber auch an der Unbefangenheit der übrigen Mitglieder des Landesagrarsenates, die ihre Entscheidung auf das Gutachten der Mitglieder ihres Senates gestützt haben (VfSlg. 16.827/2003, VfGH 11.10.2003, B279/03).

2. Wie sich aus den Verwaltungsakten ergibt, hat der Vorsitzende des Landesagrarsenates fachkundige Mitglieder des Senates ausdrücklich beauftragt, als Amtssachverständige Gutachten iSd §52 AVG zu den Auswirkungen der angestrebten Singularteilung aus landwirtschaftlicher sowie aus jagd- und forstwirtschaftlicher Sicht zu erstellen, insbesondere auch zur Frage, ob die Teilung nach §11 Abs3 des Steiermärkischen Agrargemeinschaftengesetzes überhaupt zulässig ist (weil pflegliche Behandlung und zweckmäßige Bewirtschaftung der einzelnen Teile nicht gefährdet wird) und nicht allgemein volkswirtschaftlichen Interessen oder besonderen Interessen der Landeskultur abträglich. Auf diese Gutachten, die sich auch selbst so bezeichnen und im angefochtenen Bescheid ausdrücklich als solche bezogen werden, stützt sich die abweisende Entscheidung (S. 42). Es handelt sich also um Gutachten im technischen Sinn und nicht nur um fachkundige, schriftlich niedergelegte Meinungen (vgl. VfSlg. 16.827/2003).

Angesichts dessen konnten zumindest dem äußeren Anschein nach Zweifel an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Landesagrarsenates als Tribunal im Sinne des Art6 EMRK entstehen. Bereits der äußere Anschein reicht aus, um eine Verletzung des Art6 EMRK zu bewirken.

Die Beschwerdeführer wurden somit durch den angefochtenen Bescheid in ihrem aus Art6 EMRK abzuleitenden Recht auf ein faires Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Tribunal verletzt. Der Bescheid ist - ohne auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen - aufzuheben (§19 Abs4 erster Satz und Z2 VfGG).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten sind Umsatzsteuer in der Höhe von € 396,--, Streitgenossenzuschlag in der Höhe von € 180,-- sowie die Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 180,-- enthalten.

Schlagworte

Agrarbehörden, Agrarverfahren, Landesagrarsenat, Kollegialbehörde, Verwaltungsverfahren, Sachverständige, Amtspartei

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2005:B1588.2004

Dokumentnummer

JFT_09949074_04B01588_2_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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