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10 VerfassungsrechtNorm
B-VG Art138 Abs1 litbLeitsatz
Zulässigkeit des - auf Grund der Anzeige eines positiven Kompetenzkonfliktes zwischen dem Verwaltungsgerichtshof und einem Oberlandesgericht iSd Art138 Abs1 litb B-VG - von Amts wegen eingeleiteten Verfahrens zur Prüfung des §43 VfGG zur Gänze; keine Verfassungswidrigkeit dieser Bestimmung über das Verfahren bei Kompetenzkonflikten bei verfassungskonformer Interpretation; keine übermäßige oder unsachliche Einschränkung der Kompetenz des Verfassungsgerichtshofes zur Entscheidung von positiven Kompetenzkonflikten zwischen Gerichten durch das Erfordernis der Anzeige noch vor einer rechtskräftigen Entscheidung auf Grund der Verpflichtung der Gerichte zur Anzeige und des subsidiären Anzeigerechts der ParteienRechtssatz
Die Frage der Zulässigkeit einer (meritorischen) Entscheidung hat der Verfassungsgerichtshof aufgrund des §43 VfGG zu lösen, der ein ineinander verzahntes System der Behandlung von Anzeigen/Anträgen und von Amts wegen einzuleitenden Verfahren schafft. Voraussetzung für die Zulässigkeit der Fällung eines Erkenntnisses durch den Verfassungsgerichtshof ist dabei, dass ein rechtskräftiger Spruch eines Gerichts noch nicht vorliegt.
Da im vorliegenden Fall eine rechtskräftige Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vorliegt, hat der Verfassungsgerichtshof diese einfachgesetzliche Vorschrift bei der Prüfung der Zulässigkeit der Einleitung eines Verfahrens zur Lösung des angezeigten Kompetenzkonflikts anzuwenden.
Die in Prüfung genommene Bestimmung ist daher präjudiziell, auch wenn die Ansicht der Bundesregierung zutreffen sollte, dass das Landesgericht Innsbruck und der Verwaltungsgerichtshof nicht über dieselbe Sache entschieden haben.
Zulässige Abgrenzung des Prüfungsgegenstandes.
Die Aufhebung bloß der Wortfolge "der Verwaltungsgerichtshof und ein anderes Gericht oder" in §43 VfGG würde die angenommene Verfassungswidrigkeit noch verstärken: Die Bedenken des Verfassungsgerichtshofs gingen nämlich (ua) dahin, dass die ihm durch Art138 Abs1 litb B-VG eingeräumte Kompetenz durch §43 VfGG unzulässig eingeschränkt werde. Folgte man der Auffassung der Bundesregierung, führte das aber zu keiner Bereinigung der Rechtslage, denn die verbleibende Regelung schlösse die Kompetenz des Verfassungsgerichtshofes zur Entscheidung bejahender Kompetenzkonflikte zwischen dem Verwaltungsgerichtshof und anderen Gerichten zur Gänze aus.
Keine Verfassungswidrigkeit des §43 VfGG bei verfassungskonformer Interpretation.
Aus der Entstehungsgeschichte des Art138 B-VG (siehe hiezu VfSlg 1341/1930 sowie die Materialien zur B-VG-Novelle 1925) im Zusammenhalt mit dem hg. Erkenntnis VfSlg 257/1924 lässt sich ableiten, dass es zwar zum vorgeprägten Verständnis des Kompetenzkonfliktsbegriffes iSd B-VG gehört, dass es sich um einen Streit zweier Behörden über ihre Zuständigkeit handeln müsse, dieser Behördenstreit sich auf dieselbe Sache beziehen müsse und - je nachdem ob ein positiver oder ein negativer Kompetenzkonflikt vorliegt - eine der in Streit verfangenen Behörden zu Unrecht ihre Entscheidung bejaht bzw. verneint haben müsse. Die Frage aber, ob und bejahendenfalls welche weiteren Voraussetzungen für die Behandlung eines so bestimmten Kompetenzkonfliktes durch den Verfassungsgerichtshof erfüllt sein müssen, hat der historische Verfassungsgesetzgeber dem einfachen Gesetzgeber zur Regelung überlassen. Eine derartige Ausgestaltung kann bis zu einem gewissen Grad auch einschränkend wirken.
§43 VfGG schränkt die durch Art138 Abs1 litb B-VG dem Verfassungsgerichtshof zugewiesene Aufgabe zur Entscheidung über Kompetenzkonflikte zwischen dem Verwaltungsgerichtshof und allen anderen Gerichten nicht übermäßig ein: Zum einen werden nämlich die Gerichtsbehörden verpflichtet, dem Verfassungsgerichtshof einen Kompetenzkonflikt anzuzeigen, wenn sie davon Kenntnis haben (§43 Abs4), zum anderen wird auch den an der Sache beteiligten Behörden oder Parteien die Möglichkeit eingeräumt, solange ein rechtskräftiger Spruch nicht vorliegt, jederzeit eine derartige Anzeige zu erstatten (§43 Abs3). Der Verfassungsgerichtshof geht dabei davon aus, dass die Parteien, sofern sie in derselben Sache mehrere Gerichte anrufen und ihnen davon Mitteilung machen, zur Realisierung ihrer Rechte nach §43 Abs3 VfGG einen Anspruch darauf haben zu erfahren, ob das Gericht beabsichtigt, seine Entscheidung in Anspruch zu nehmen, was auch formlos, etwa durch Einleitung eines Vorverfahrens, durch Ausschreibung einer Verhandlung oder in ähnlicher Weise geschehen kann. Hinzu tritt für die an der Sache beteiligten Parteien bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen ein subsidiäres Antragsrecht gemäß §48 VfGG, wobei es dahingestellt sein kann, ob im Anwendungsbereich des §43 VfGG ein solches überhaupt in Frage kommt (vgl einerseits VfSlg 1720/1948 und andererseits VfSlg 2956/1956).
Nichts zwingt zum einen zur Interpretation, dass §48 VfGG die Möglichkeit, die §43 Abs3 VfGG den Parteien einräumt, einschränkt; andererseits verhielte sich ein Gericht rechtswidrig, würde es ein von einer Partei gestelltes Begehren nach dem ersten Satz des §48 VfGG zum Anlass nehmen, während der der Partei insgesamt eingeräumten achtwöchigen Frist zur Stellung eines Subsidiarantrags eine nicht weiter anfechtbare Entscheidung zu treffen und auf diese Weise ein den Parteien durch §48 VfGG eingeräumtes Recht unterlaufen.
siehe auch die Entscheidung im Anlaßfall, B v 09.10.02, KI-3/01 - keine Einleitung des Verfahrens zur Entscheidung eines bejahenden Kompetenzkonfliktes aufgrund Vorliegens einer bereits rechtskräftigen Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes.
Entscheidungstexte
Schlagworte
Auslegung verfassungskonforme, VfGH / Kompetenzkonflikt, VfGH / Präjudizialität, VfGH / PrüfungsumfangEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2002:G330.2001Dokumentnummer
JFR_09979073_01G00330_01