RS Vfgh 2002/10/10 G267/01 ua

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 10.10.2002
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Index

91 Post-und Fernmeldewesen
91/01 Fernmeldewesen

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
StGG Art6 Abs1 / Erwerbsausübung
EMRK Art8
EMRK Art10
E-Commerce-G §20 Abs1
E-Commerce-G §21 Z8
Richtlinie 2000/31/EG über den elektronischen Geschäftsverkehr (E-CommerceRL) Art7
Richtlinie 97/66/EG über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre im Bereich der Telekommunikation (TK-DatenschutzRL) Art12 Abs2
TelekommunikationsG §101
TelekommunikationsG §104 Abs3 Z24
VfGG §19 Abs3 Z3
WertpapieraufsichtsG §12 Abs3

Leitsatz

Keine Verfassungswidrigkeit und keine Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des Verbotes unerbetener Anrufe zu Werbezwecken sowie der korrespondierenden Strafbestimmung des Telekommunikationsgesetzes; Schutzbedürfnis im Hinblick auf Schutz der Privatsphäre gegeben; "Opting-out" hinsichtlich unerbetener Anrufe nicht gleichwertig dem Erfordernis vorhergehender Einwilligung; keine Verletzung der Erwerbsausübungs- und der Meinungsäußerungsfreiheit sowie des Gleichheitsrechts; keine Anwendbarkeit des Herkunftslandprinzips des E-Commerce-Gesetzes im vorliegenden Fall

Rechtssatz

Einstellung des Verfahrens insoweit, als die Aufhebung des §12 Abs3 WertpapieraufsichtsG id Stammfassung BGBl 753/1996 beantragt wurde, infolge Zurückziehung des Antrags.

Zulässigkeit des Individualantrags auf Aufhebung des §101 und §104 Abs3 Z24 TelekommunikationsG.

Wie die antragstellenden Gesellschaften zu Recht ausführen, stehen §101 und §104 Abs3 Z24 TelekommunikationsG in einem untrennbaren normativen Zusammenhang und verbieten ihnen die Vornahme von Werbung für von ihnen im Rahmen ihres jeweiligen Geschäftsbereiches angebotene Leistungen per Telefon, Fernkopierer oder elektronischer Post ohne vorherige Einwilligung des (Anschluss-)Teilnehmers. Dieses Verbot trifft die antragstellenden Gesellschaften unmittelbar und aktuell in ihrer Rechtssphäre. Den Antragstellern steht auch kein anderer zumutbarer Weg zur Verfügung.

Der Antrag ist in Ansehung der erstantragstellenden Gesellschaft auch nicht etwa deshalb unzulässig, weil für sie als im Finanzdienstleistungsbereich tätiges Unternehmen seit Inkrafttreten des §12 Abs3 WertpapieraufsichtsG idF BGBl I 97/2001 dieser und nicht mehr §101 TelekommunikationsG gilt; §12 Abs3 WertpapieraufsichtsG verdrängt §101 TelekommunikationsG nämlich, wenn überhaupt, nur insofern, als es um Anrufe, Fax- und e-mail-Zusendungen zu Werbezwecken für bestimmte Produkte gegenüber "Verbrauchern" geht.

Abweisung des Antrags auf Aufhebung des §101 TelekommunikationsG idF BGBl I 188/1999 und des §104 Abs3 Z24 leg.cit. idF BGBl I 26/2000.

Eine Regelung, die im Sinne eines "Opting-out" unerbetene Anrufe zu Werbezwecken und eben solche elektronische Post zuließe, sofern nicht vom Telekommunikationsteilnehmer ausdrücklich widersprochen wird, kommt unter dem Aspekt des notwendigen Schutzes des Teilnehmers der durch §101 TelekommunikationsG getroffenen Regelung in ihrer Wirksamkeit nicht einmal annähernd gleich.

Da den besonderen, im öffentlichen Interesse gelegenen Schutzinteressen der Telekommunikationsteilnehmer (insbesondere unter den Gesichtspunkten des Eigentumsschutzes und des Art8 EMRK) nur durch das - ohnedies unter Einwilligungsvorbehalt stehende - gesetzliche Verbot unerbetener Anrufe zu Werbezwecken, nicht aber in gleicher Weise durch die von den Antragstellern begehrte Zulässigkeit derartiger Werbemaßnahmen unter Widerspruchsvorbehalt Rechnung getragen wird, treffen die von den antragstellenden Gesellschaften aus dem Grunde des Verstoßes gegen die Erwerbsausübungsfreiheit erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die §§101 und 104 Abs3 Z24 TelekommunikationsG nicht zu.

Die antragstellenden Gesellschaften sind auch nicht im Recht, wenn sie Art12 Abs2 TK-DatenschutzRL 97/66/EG iVm Art7 E-CommerceRL 2000/31/EG dahin deuten, dass diese den angestrebten Schutz der Telekommunikationsteilnehmer gegen das Eindringen in ihre Privatsphäre durch unerbetene Anrufe oder Fernkopieübermittlungen durch verschiedene gleichwertige Maßnahmen verwirklichen lassen, unter denen das "Opting-out" die gelindeste, also am wenigsten eingriffsintensive Maßnahme bedeute. Unter dem Aspekt der jeweiligen nationalen grundrechtlichen Gewährleistungen können die Mitgliedsstaaten im Rahmen des Gemeinschaftsrechts durchaus unterschiedlich strenge Anordnungen zur Verhinderung der bei unerbetenen Anrufen zu Werbezwecken möglichen Missbräuche erlassen (vgl EuGH im "Alpine Investments"-Urteil Rs. C-384/93, Slg. 1995, I-1167, Rz 51).

Keine Verletzung der Meinungsäußerungsfreiheit.

Der vom Gesetzgeber gemäß Art10 Abs2 EMRK angestrebte Schutz der Rechte anderer, d.s. bei der durch Telekommunikation vermittelten Werbung die Adressaten unerbetener Telefonanrufe, Telefaxzusendungen oder e-mails, kann effektiv nur dadurch erreicht werden, dass diese Werbung für den Fall gesetzlich verboten wird, dass ein Teilnehmer vorweg seine Einwilligung erklärt bzw. der Empfänger elektronischer Post seine Zustimmung zum Empfang zu Werbezwecken erklärt.

Kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz.

Der Gesetzgeber ist in sachlicher Weise davon ausgegangen, dass der jeweilige Telekommunikationsteilnehmer Schutz vor unerbetenen Anrufen schlechthin benötigt und dieser durch ein entsprechendes Verbot verwirklichte Schutz nur dort preisgegeben werden kann, wo eine vorhergehende Einwilligung des Werbeadressaten vorliegt. Ein möglicherweise geringeres Schutzbedürfnis juristischer im Vergleich zu natürlichen Personen, von Unternehmen im Vergleich zu Verbrauchern ebenso wie ein differenziertes Schutzbedürfnis nach dem Umfang, dem Zeitpunkt oder dem Gegenstand und Inhalt der Zusendung oder des Anrufs wird sich in der um so leichter zu gewärtigenden Einwilligung des Werbeadressaten zur Benutzung der Telekommunikationsdienste für Werbezwecke niederschlagen.

Dass die Zusendung von Briefen zu Werbezwecken anders als dazu benutzte Telekommunikationsdienste kein gleiches Schutzbedürfnis auslöst, ist offenkundig.

Keine Bevorzugung von Werbemaßnahmen aus anderen Mitgliedstaaten der EU.

Das "Herkunftslandprinzip" (gemäß §20 Abs1 E-Commerce-G - ECG, BGBl I 152/2001), wonach sich "die rechtlichen Anforderungen an einen in einem Mitgliedstaat niedergelassenen Diensteanbieter nach dem Recht dieses Staats" richten, gilt nicht für Werbemaßnahmen der im §101 TelekommunikationsG bezeichneten Art (vgl §21 Z8 ECG).

Entscheidungstexte

  • G 267/01 ua
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 10.10.2002 G 267/01 ua

Schlagworte

Erwerbsausübungsfreiheit, EU-Recht Richtlinie, Fernmelderecht, Meinungsäußerungsfreiheit, Werbung, VfGH / Individualantrag, VfGH / Zurücknahme

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2002:G267.2001

Dokumentnummer

JFR_09978990_01G00267_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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