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50 GewerberechtNorm
B-VG Art18 Abs2Leitsatz
Feststellung der Gesetzwidrigkeit einer Wortfolge in der Baugewerbe- Befähigungsnachweisverordnung betreffend die Beschränkung der erforderlichen fachlichen Tätigkeit auf die Tätigkeit als Bauleiter oder Polier bei einem gewerblichen Bauunternehmen als Voraussetzung für die Ausübung des Baumeistergewerbes; Verletzung der Erwerbsausübungs- und Berufsausbildungsfreiheit durch den Ausschluss vergleichbarer Tätigkeiten bei anderen Unternehmen oder öffentlichen Verwaltungen als befähigungsbegründendRechtssatz
Der Gesetz- bzw. der Verordnungsgeber darf auf Grund des Gesetzesvorbehaltes des Art6 StGG zweifelsohne Regelungen treffen, mit denen der Erwerbsantritt von der Absolvierung bestimmter Berufsausbildungsgänge einschließlich entsprechender fachlicher Tätigkeiten abhängig gemacht wird; also von fachlichen Tätigkeiten, die geeignet sind, die Erfahrungen und Kenntnisse zu vermitteln, die für einen bestimmten Beruf erforderlich sind, und die daher im öffentlichen Interesse gelegen, zu dessen Verwirklichung geeignet, adäquat und auch sonst sachlich gerechtfertigt sind. Er ist jedoch kraft Art18 StGG verhalten, dabei die Absolvierung ihrer Art nach gleichwertiger Ausbildungsgänge zuzulassen und insbesondere auch gleichwertige Tätigkeiten zum Zwecke der Berufsausbildung gleich zu behandeln.
Das von der GewO 1994 (idF vor der Novelle BGBl I 111/2002) normativ verwirklichte System zur Erreichung eines bestimmten Standards gewerblicher Leistungen, der durch eine entsprechende Befähigung der Gewerbeberechtigten sichergestellt werden soll, ist im öffentlichen Interesse gelegen und es bestehen daher gegen das normative Erfordernis einer fundierten Berufsvorbildung sowie einer ausreichenden praktischen Tätigkeit prinzipiell keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Dies muss umso mehr für die mit besonderen Anforderungen verbundenen Gewerbeberechtigungen wie für jene des Baumeistergewerbes gelten, bei denen den besonderen Gefahren für Leben und Gesundheit, die mit der Ausübung der betreffenden gewerblichen Tätigkeit, wie etwa mit einer nicht sachgerechten Planung und Errichtung von Bauwerken verbunden sind, nur durch eine entsprechende Berufsvorbildung einschließlich einer vorangehenden gehörigen fachlichen Tätigkeit begegnet werden kann.
Wenn §22 Abs2 GewO 1994 davon ausgeht, dass der Nachweis einer fachlichen Tätigkeit als Teil des Befähigungsnachweises jede Tätigkeit umfasst, "die geeignet ist, die Erfahrungen und Kenntnisse zu vermitteln, die zur selbständigen Ausübung des betreffenden Gewerbes erforderlich sind", so rechnet §22 Abs1 Z2 leg.cit. - dem verfassungsrechtlichen Gebot des Art18 StGG zur Anerkennung sachlich gleichwertiger Ausbildungsalternativen folgend - nicht nur mit fachlichen Tätigkeiten, die in dem betreffenden Gewerbe selbst als Ausbildungsvoraussetzung absolviert werden, sondern auch mit fachlichen Tätigkeiten, die gemäß §22 Abs1 Z2 litb GewO 1994 "in einem dem Gewerbe fachlich nahestehenden Berufszweig" erbracht wurden.
Durch die in Prüfung gezogene, nunmehr teilweise als gesetzwidrig erachtete Wortfolge des §1 Abs2 der Baugewerbe-BefähigungsnachweisV hat der Verordnungsgeber in gesetzwidriger Weise lediglich die fachliche Tätigkeit "im Rahmen" der Gewerbeberechtigung eines Baumeisters gemäß §202 GewO 1994 als befähigungsbegründend angesehen. Er hat damit ausgeschlossen, dass eine die gleiche fachliche Befähigung vermittelnde zweijährige fachliche Tätigkeit in leitender Stellung als Bauleiter oder Polier, die nicht bei einem gewerblichen Bauunternehmen absolviert wird, sondern im Rahmen der eigenen baulichen Tätigkeit gewerblicher Unternehmungen oder öffentlicher Verwaltungen geleistet wird, für den Nachweis der Befähigung herangezogen werden kann.
Die in Prüfung gezogene Wortfolge des §1 Abs2 Baugewerbe-BefähigungsnachweisV, BGBl 294/1996, verstieß sohin insoweit gegen die in Übereinstimmung mit Art6 und Art18 StGG ausgelegten Vorschriften des §22 Abs1 Z2 litb, Abs2 und Abs3 GewO 1994, als durch die Wort- und Zahlenfolge "gemäß §202 Abs1 Z3 GewO 1994" nur die Tätigkeit als Bauleiter oder Polier bei einem gewerblichen Baumeister für die Befähigung maßgeblich ist.
Da die ebenfalls in Prüfung gezogene Wortfolge "im Rahmen einer ausführenden Baumeistertätigkeit" sowie das Wort "zurückgelegte" in §1 Abs2 der zitierten Verordnung für sich allein dem §22 Abs1 Z2 litb GewO 1994 nicht länger widerspricht, war auszusprechen, dass jene Wortfolgen nicht gesetzwidrig waren.
Dass diese fachliche Tätigkeit in leitender Stellung ausschließlich "im Rahmen einer ausführenden Baumeistertätigkeit gemäß §202 Abs1 Z3 GewO 1994" zurückzulegen ist, wie §1 Abs2 jener Verordnung verlangt, steht im Widerspruch zur gesetzlichen Verordnungsermächtigung des §22 Abs1 Z2 litb iVm §22 Abs3 GewO 1994, wird diese Vorschrift verfassungskonform in Übereinstimmung mit den grundrechtlichen Wertungen der Art6 und Art18 StGG ausgelegt.
Eine gehörige fachliche Befähigung für das Baumeistergewerbe kann nicht ausschließlich durch eine fachliche Tätigkeit in leitender Stellung "als Bauleiter oder Polier" bei einem mit der Berechtigung nach §202 Abs1 GewO 1994 ausgestatteten Baumeister erworben werden. Vielmehr können auch die mit der Bauleitung betrauten Bediensteten der Bauabteilungen großer Unternehmungen oder öffentlicher Verwaltungen, bei denen Bauwerke in Eigenregie geplant, kalkuliert und errichtet werden, eine gleich verantwortungsvolle Tätigkeit auszuüben haben wie die bei einem gewerblichen Baumeister angestellten Bauleiter oder Poliere.
(Anlassfall: E v 27.11.02, B697/00, Aufhebung des angefochtenen Bescheides).
Schlagworte
Erwerbsausübungsfreiheit, Gewerberecht, Gewerbeberechtigung, Baugewerbe, VfGH / Verwerfungsumfang, VfGH / Sachentscheidung Wirkung, Auslegung verfassungskonformeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2002:V27.2002Dokumentnummer
JFR_09978873_02V00027_01