RS Vfgh 2002/11/28 B1160/00 ua - B1167/01

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 28.11.2002
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Index

97 Vergabewesen
97/01 Vergabewesen

Norm

B-VG Art83 Abs2
BundesvergabeG 1997 §113 Abs2, Abs3
EG Art10
Richtlinie des Rates vom 21.12.89. 89/665/EWG, zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentl Liefer- und Bauaufträge Art1
VfGG §88

Leitsatz

Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Zurückweisung von Anträgen auf Nichtigerklärung des Widerrufs einer Zuschlagserteilung; Verstoß gegen das Gebot gemeinschaftsrechtskonformer Auslegung innerstaatlichen Rechts; Zuständigkeit des Bundesvergabeamtes auch zur Überprüfung des Widerrufs eines Vergabeverfahrens bei richtlinienkonformer Interpretation des Bundesvergabegesetzes

Rechtssatz

Aufgrund des aus Art10 EG abzuleitenden Gebots richtlinienkonformer Interpretation innerstaatlichen Rechts sind alle nationalen Gerichte verhalten, das zur Umsetzung einer Richtlinie erlassene nationale Recht in deren Lichte und Zielsetzung auszulegen.

Diese Verpflichtung trifft auch den Verfassungsgerichtshof, der folglich einen offenkundig gewordenen Widerspruch zum Gemeinschaftsrecht im Sinne der effektiven Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts in jedem Stadium des Verfahrens zu beachten hat, und zwar auch dann, wenn die Nichtanwendbarkeit einer innerstaatlichen Norm erst im Zuge des Verfahrens vor ihm offenkundig wird (vgl VfSlg 15448/1999).

Durch das Urteil des EuGH vom 18.06.02, RS C-92/00, Hospital Ingenieure Krankenhaustechnik Planungsgesellschaft mbH, ist nunmehr klargestellt, dass der Widerruf des Vergabeverfahrens eine Entscheidung des Auftraggebers darstellt, die in einem Nachprüfungsverfahren überprüft und gegebenenfalls aufgehoben werden können muss. Der Annahme einer - dem Rechnung tragenden richtlinienkonformen - Zuständigkeit des Bundesvergabeamtes (BVA) steht vorliegendenfalls nur die Wendung "oder nach Abschluss des Vergabeverfahrens" in §113 Abs3 BundesvergabeG entgegen, die das BVA im Zusammenhalt mit §56 Abs1 BundesvergabeG dahin gedeutet hat, dass es zur Nichtigerklärung des Widerrufs nicht befugt wäre und eine solche Zuständigkeit selbst im Bewusstsein um das Erfordernis einer "richtlinienkonformen Interpretation" nicht begründet werden könnte. Das BVA hätte seine Zuständigkeit ohne weiteres wahrnehmen können, indem es die Wortfolge des §113 Abs3 BundesvergabeG in gemeinschaftsrechtskonformer Interpretation so verstanden hätte, dass der Widerruf nicht als Fall des dort genannten "Abschlu[sses] des Vergabeverfahrens" zu qualifizieren gewesen wäre.

Behauptete Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte zur Nichtigerklärung eines Widerrufs unerheblich angesichts des Erfordernisses eines effektiven Rechtsschutzes durch eine entsprechend eingerichtete Behörde.

Abweisung der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt I. betr Zurückweisung des Antrags auf Zuschlagserteilung.

Keine Bedenken gegen §113 Abs2 BundesvergabeG bei richtlinienkonformer Interpretation des Abs3.

siehe auch B v 11.12.02, B1167/01.

Kostenzuspruch in Höhe des vollen Pauschalkostenersatzes trotz teilweiser Abweisung der Beschwerde.

Bei Zuspruch des vollen Pauschalkostenersatzes ließ sich der Verfassungsgerichtshof von der Erwägung leiten, dass die beschwerdeführenden Gesellschaften zum allergrößten Teil erfolgreich waren.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Auslegung gemeinschaftsrechtskonforme, Bescheid Trennbarkeit, EU-Recht Richtlinie, Rechtsschutz, Vergabewesen, VfGH / Kosten, VfGH / Prüfungsmaßstab

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2002:B1160.2000

Dokumentnummer

JFR_09978872_00B01160_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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