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L6 Land- und ForstwirtschaftNorm
B-VG Art7 Abs1 / VerwaltungsaktLeitsatz
Willkürliche Versagung der grundverkehrsbehördlichen Genehmigung des Rechtserwerbs eines landwirtschaftlichen Grundstücks aufgrund nicht nachvollziehbarer Annahme des Fehlens eines "Betriebes" für die Rinderhaltung infolge Verkennung der Rechtslage und Außer-Acht-Lassen des konkreten SachverhaltesSpruch
Die Beschwerdeführer sind durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Das Land Tirol ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.142,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1.1. Mit Schenkungs- und Übergabsvertrag vom 15.9.2003 schenkte und übergab der Zweitbeschwerdeführer eine näher bezeichnete Liegenschaft in Gaimberg im Ausmaß von 13.425 m² samt darauf errichtetem Wohnhaus an die Erstbeschwerdeführerin, seine Schwiegertochter.
1.2. Mit Bescheid vom 19.1.2004 erteilte die Bezirks-Grundverkehrskommission Gaimberg diesem Rechtserwerb die grundverkehrsbehördliche Genehmigung: Die Geschenknehmerin verfüge über die geforderten fachlichen Kenntnisse und wohne bereits seit geraumer Zeit auf dem ihr übergebenen Hof, der als eigene Wirtschaftseinheit geführt werden könne.
1.3. Der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung des Landesgrundverkehrsreferenten gab die Landes-Grundverkehrskommission mit Bescheid vom 1.12.2004 Folge und versagte die grundverkehrsbehördliche Genehmigung.
Die Behörde geht davon aus, dass der verfahrensgegenständliche Betrieb ein Kleinstbetrieb sei, dessen landwirtschaftliche Nutzflächen als mehrmähdige Wiesen in Bewirtschaftung stehen, und dass dort Zeburinder gehalten werden. Für die Haltung der Rinder fehle es jedoch "an der entsprechenden Ausstattung des Hofes", so insbesondere einem Stall. Das auf der Liegenschaft errichtete Gebäude könne nicht als geeignetes Betriebsgebäude für die landwirtschaftliche Nutzung dieser Liegenschaft angesehen werden, es mangle daher an einer "Betriebsbasis". Somit sei zu prüfen, ob eine Bewirtschaftung der verfahrensgegenständlichen Liegenschaft vom Landwirtschaftsbetrieb in Untertilliach aus erfolgen könne, weil die Erstbeschwerdeführerin "laut Auskunft der Bezirkslandwirtschaftskammer Lienz laut AMA-Mehrfachförderungsantrag" auch bezüglich dieses Betriebes als Bewirtschafterin gemeldet sei. Diese Möglichkeit sei jedoch schon deshalb nicht gegeben, weil die vertragsgegenständliche Liegenschaft vom Betrieb in Untertilliach ca. 40 km entfernt sei. Der zu beurteilende Rechtserwerb widerspreche daher dem öffentlichen Interesse an der Erhaltung eines leistungsfähigen Bauernstandes iSd §6 Abs1 lita Tiroler Grundverkehrsgesetz 1996 (TGVG 1996).
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde gemäß Art144 B-VG, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Unversehrtheit des Eigentums, auf Freiheit des Liegenschaftsverkehrs, auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung (§6 Abs1 lita TGVG 1996) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides, hilfsweise die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt wird.
3. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie den angefochtenen Bescheid verteidigt und die Abweisung der Beschwerde beantragt.
4. Die Beschwerdeführer haben darauf repliziert.
II. Die im vorliegenden Fall maßgebenden Rechtsvorschriften des TGVG 1996, LGBl. 61/1996 idF LGBl. 75/1999, lauten:
"§2
Begriffsbestimmungen
(1) ...
(2) Ein land- oder forstwirtschaftlicher Betrieb (Voll-, Zu- oder Nebenerwerbsbetrieb) ist jede selbständige wirtschaftliche Einheit, die vom Eigentümer, Pächter oder Fruchtnießer selbst oder zusammen mit Familienangehörigen oder mit den darüber hinaus allenfalls erforderlichen land- und forstwirtschaftlichen Dienstnehmern bewirtschaftet wird und die geeignet ist, zum Lebensunterhalt des Bewirtschafters bzw. seiner Familie beizutragen.
(3) ..."
"2. Abschnitt
Rechtserwerbe an land- oder forstwirtschaftlichen Grundstücken
§4
Genehmigungspflicht
(1) Der Genehmigung durch die Grundverkehrsbehörde bedürfen Rechtsgeschäfte, die den Erwerb eines der folgenden Rechte an land- oder forstwirtschaftlichen Grundstücken zum Gegenstand haben:
a) den Erwerb des Eigentums;
b) ..."
"§6
Genehmigungsvoraussetzungen
(1) Die Genehmigung nach §4 darf nur erteilt werden, wenn
a) der Rechtserwerb weder dem öffentlichen Interesse an der Erhaltung oder Stärkung eines leistungsfähigen Bauernstandes noch dem öffentlichen Interesse an der Schaffung oder Erhaltung eines wirtschaftlich gesunden land- oder forstwirtschaftlichen Grundbesitzes widerspricht,
b) gewährleistet ist, daß die erworbenen land- oder forstwirtschaftlichen Grundstücke grundsätzlich vom Erwerber selbst im Rahmen eines land- oder forstwirtschaftlichen Betriebes bewirtschaftet werden,
c) der Erwerber über die für die Selbstbewirtschaftung erforderlichen fachlichen Kenntnisse verfügt und
d) der Erwerber erklärt, dass durch den beabsichtigten Rechtserwerb kein Freizeitwohnsitz geschaffen werden soll.
(2) ..."
III. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Die Beschwerdeführer behaupten die Verfassungswidrigkeit des §6 Abs1 lita TGVG 1996, weil die Begriffe "öffentliches Interesse", "leistungsfähiger Bauernstand" und "wirtschaftlich gesunder land- und forstwirtschaftlicher Besitz" zu unbestimmt seien. Bedenken gegen diese Bestimmung sind beim Verfassungsgerichtshof jedoch nicht entstanden (vgl. bereits VfSlg. 16.699/2002 mwH und VfGH 6.10.2004, B807/04).
2. Angesichts der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsvorschriften und des Umstandes, dass kein Anhaltspunkt dafür besteht, dass die Behörde diesen Vorschriften fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt hat, könnten die Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz nur verletzt worden sein, wenn die Behörde Willkür geübt hätte.
Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 8808/1980 mwN, 14.848/1997, 15.241/1998 mwN, 16.287/2001, 16.640/2002).
3. Ein solcher Fall liegt hier vor:
Es ist im vorliegenden Verfahren unbestritten, dass die Erstbeschwerdeführerin bereits seit mehreren Jahren auf der verfahrensgegenständlichen Liegenschaft ihren Hauptwohnsitz hat und die landwirtschaftlichen Nutzflächen - u.a. durch die Haltung von Zeburindern - selbst bewirtschaftet.
Die Behörde begründet ihre Auffassung, der Rechtserwerb widerspreche dem öffentlichen Interesse an der Erhaltung eines leistungsfähigen Bauernstandes iSd §6 Abs1 lita TGVG 1996 damit, dass in Ermangelung eines Stalles für die auf der Liegenschaft gehaltenen Zeburinder kein "Betrieb" (iSd §6 Abs1 litb iVm §2 Abs2 leg.cit.) vorliege. Diese Ansicht ist jedoch nicht nachvollziehbar: Dass das Vorhandensein eines Betriebsgebäudes - unabhängig von der konkreten Form der Bewirtschaftung - jedenfalls erforderlich sei, um von einem "Betrieb" iSd §2 Abs2 leg.cit. sprechen zu können, lässt sich weder aus dem Gesetzeswortlaut noch aus dem von der Behörde zitierten Erkenntnis VfSlg. 12.250/1990 ableiten. Ob für die Haltung von Zeburindern ein Stall überhaupt benötigt wird oder ob nicht - wie die Beschwerdeführer vorbringen - eine ganzjährige Weidehaltung bzw. Haltung im Freien möglich ist, hat die Behörde jedoch nicht untersucht.
Insgesamt ist der Behörde somit eine Verkennung der Rechtslage in Verbindung mit einem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes vorzuwerfen, wodurch die Beschwerdeführer in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt wurden.
Der Bescheid war daher aufzuheben.
IV. 1. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VfGG. In den - im verzeichneten Ausmaß - zugesprochenen Kosten sind Umsatzsteuer in Höhe von € 327,- sowie der Ersatz der entrichteten Eingabengebühr in Höhe von € 180,- enthalten.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
GrundverkehrsrechtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2005:B60.2005Dokumentnummer
JFT_09949073_05B00060_00