Index
32 SteuerrechtNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Zulässigkeit eines Drittelantrags von Nationalratsabgeordneten trotz zwischenzeitig erfolgter Auflösung des Nationalrats und Durchführung von Neuwahlen; Einbeziehung der Unfallrenten in die Einkommensteuerpflicht grundsätzlich sachlich gerechtfertigt; Verletzung des Vertrauensschutzes jedoch durch Einführung der Steuerpflicht für diese Bezüge aus der gesetzlichen Unfallversorgung ohne jede einschleifende Übergangsbestimmung; kein bloß geringfügiger Eingriff, kein Vorliegen bloß einzelner Härtefälle aufgrund der Anzahl der Betroffenen; Ausdehnung der Anlaßfallwirkung auf die Einkommensteuerbemessung in den Jahren 2001 und 2002 unter Bedachtnahme auf allfällige Abgeltungen nach dem Bundesbehindertengesetz aufgrund der Intensität des EingriffsRechtssatz
Zulässigkeit eines sogenannten "Drittelantrags" von Abgeordneten, eingebracht von mehr als einem Drittel der Mitglieder des Nationalrates, auf Aufhebung der Regelung über die Besteuerung der Unfallrenten.
Wie sich aus dem Erkenntnis VfSlg 8644/1979 (S 109 ff) ergibt, wurde der Antrag auch nicht dadurch unzulässig, daß der Nationalrat nach Einbringung des vorliegenden Antrags seine Auflösung beschlossen hat (BGBl I 154/2002) und mittlerweile - am 24.11.02 - Wahlen zum Nationalrat stattgefunden haben.
Zulässige Abgrenzung des Prüfungsgegenstandes im Antrag.
Angesichts der vom Gesetzgeber gewählten Regelungstechnik ist die (teilweise) Bekämpfung der Ausnahmebestimmung des §3 Abs1 Z4 lit c EStG 1988 erforderlich, um den - bei Zutreffen der vorgetragenen Bedenken - verfassungswidrigen Rechtszustand zu beseitigen.
Keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Behandlung von Versehrtenrenten aus einer gesetzlichen Unfallversorgung als einkommensteuerpflichtige Bezüge.
Dem Gesetzgeber steht es offen, unter Bedachtnahme auf die eigenständige Rechtsnatur der Versehrtenrente auch bloß an die rechtliche Eigenschaft dieser Einkünfte als Teil der Einkünfte aus unselbständiger Erwerbstätigkeit anzuknüpfen und sie in die Einkommensbesteuerung einzubeziehen.
Dabei kann der Gesetzgeber im Interesse einer einfach handhabbaren, ausschließlich an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Beziehers - wie sie in der Rentenhöhe zum Ausdruck kommt - orientierten steuerlichen Regelung auch davon absehen, Versehrtenrenten zumindest zum Teil und insoweit einkommensteuerfrei zu stellen, als sie im Einzelfall oder bei einer Gruppe Betroffener in höherem Maße an die Stelle einer steuerbegünstigten Schadenersatzleistung treten, als dies in anderen Fällen sein mag.
Bemessungsvorschrift des §205 Abs2 ASVG keine Normierung eines "pauschalierten (Einkommensteuer-)Abzugs".
Der Gesetzgeber bedient sich bei der Bemessung von Rentenansprüchen aus versicherungspflichtigen Arbeitsverdiensten üblicherweise bestimmter, von Rechtsgebiet zu Rechtsgebiet meist unterschiedlicher Techniken, denen unterschiedliche rechtspolitische Anliegen bzw. Auffassungen über die anzustrebende Relation zwischen Versicherungsleistung und Bemessungsgrundlage zugrunde liegen.
Ausnahme der Unfallrenten von der Einkommensteuerpflicht auch nicht im Hinblick auf deren schadenersatzrechtliche Funktion geboten.
Wie sich aus §32 Z1 lita EStG 1988 ergibt, zählen ua. "Entschädigungen, die gewährt werden ... als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen einschließlich eines Krankengeldes und vergleichbarer Leistungen", zu den steuerpflichtigen Einkünften iS des §2 Abs3 EStG 1988. Nach §29 Z1 EStG 1988 sind bestimmte "wiederkehrende Bezüge" sowie Renten (zur Qualifikation wiederkehrender Bezüge als eigene - außerbetriebliche [vgl VwSlg 6845 F/1993] - Einkunftsart vgl das Erkenntnis des VwGH vom 26.05.93, Z90/13/0155) als "sonstige Einkünfte" iS des §2 Abs3 Z7 EStG 1988 zu erfassen, sofern nicht eine der in §29 Z1 EStG 1988 angeführten Ausnahmen vorliegt.
Auch unter der Annahme, die Versehrtenrente sei dazu bestimmt, jenen Verdienstentgang auszugleichen, der sich auf Grund eines (aus Fremdverschulden) erlittenen Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit ergibt, entspricht es somit durchaus der Systematik des Einkommensteuerrechts, die Versehrtenrenten aus einer gesetzlichen Unfallversorgung nicht anders als einkommensersetzende Schadensrenten als steuerpflichtige Bezüge zu qualifizieren.
Schließlich vermag auch der Blick auf andere sozialpolitische Funktionen der Versehrtenrente die Bedenken der Antragsteller nicht zu erhärten: Die Versehrtenrente ist eine öffentlich-rechtliche Transferleistung, die ungeachtet dieser Funktionen mit einer nicht wiederkehrenden (und daher nicht unter §29 Z1 EStG 1988 fallenden) einkommensteuerfreien Schadenersatzleistung nicht vergleichbar ist.
Dem Geschädigten wird vielmehr ein Ausgleich für eine Minderung der Erwerbsfähigkeit gewährt, der von einem fiktiven Schadenersatzanspruch vollkommen losgelöst ist.
Unterschiedliche Behandlung der Versehrtenrenten aus einer gesetzlichen Unfallversicherung und der Beschädigtenrenten für Präsenzdiener und Zeitsoldaten nach dem HeeresversorgungsG im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum.
Bei diesen Beschädigtenrenten handelt es sich einerseits nicht um Leistungen im Rahmen eines Versicherungssystems, sondern um staatliche Transferleistungen, die unmittelbar aus dem allgemeinen Bundeshaushalt getragen werden. Andererseits knüpft das HeeresversorgungsG ausdrücklich an die gesetzliche Wehrpflicht (iS des Art9a Abs3 B-VG), dh. an eine besonders intensive Inanspruchnahme der Staatsbürger im Interesse der Sicherheit des Landes (in mehrfacher Hinsicht, so etwa auch im Katastrophenfall - vgl Art79 Abs2 Z2 B-VG), an.
Der Gesetzgeber hat jedoch dadurch, daß er mit dem BudgetbegleitG 2001 die Einkommensteuerpflicht für laufende Bezüge aus einer gesetzlichen Unfallversorgung ohne jede (einschleifende) Übergangsbestimmung und durchaus "überfallsartig" eingeführt hat, gegen den aus dem allgemeinen Gleichheitssatz erfließenden Grundsatz des Vertrauensschutzes verstoßen.
§3 Abs1 Z4 litc EStG 1988 idF des Euro-SteuerumstellungsG BGBl I 59/2001 war daher - soweit durch diese Bestimmung laufende Bezüge aus einer gesetzlichen Unfallversorgung von der Einkommensteuerfreiheit ausgenommen werden - als verfassungswidrig aufzuheben.
Im vorliegenden Fall geht es in erster Linie darum, daß bereits bestehende Einkommen plötzlich dadurch gekürzt wurden, daß ein bisher steuerfrei belassener - vielfach beachtlicher - Teil dieses Einkommens (nämlich die Versehrtenrente) ohne einschleifenden Übergang in die Einkommensteuerpflicht voll einbezogen, dh. der Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer ungekürzt zugeschlagen, worden ist.
Eine Disposition über künftiges Einkommen ist bei vergleichbar stabilen, öffentlichen, dem Unterhalt dienenden Transferleistungen im Regelfall zu erwarten.
Es ist unmittelbar einsichtig, daß sich ein Eingriff wie der hier zu beurteilende, nämlich die Anwendung eines progressiven Einkommensteuertarifs auf einen bisher davon ausgenommenen Einkommensteil bei Personen mit unterschiedlich hohem sonstigen Einkommen ganz unterschiedlich auswirken muß. Eine Maßnahme, durch die das Einkommen von - wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß - Behinderten bereits ab einer Höhe von ca. S 15.000,-- monatlich um mindestens 10 vH netto absinkt, kann aber nicht als geringfügiger Eingriff qualifiziert werden. Angesichts der Anzahl der hievon Betroffenen kann auch nicht davon ausgegangen werden, daß es sich nur um - auf Grund besonderer, vom Gesetzgeber nicht vermeidbarer Umstände - vereinzelte "Härtefälle" handelte.
Der im Rahmen des Bundesbehindertengesetzes vorgesehene "Härteausgleich" muß (ungeachtet seiner Ausgestaltung) schon deshalb ohne Einfluß auf die Frage der Verfassungsmäßigkeit der angefochtenen einkommensteuergesetzlichen Normen bleiben, weil er den plötzlichen und intensiven Eingriff nicht ungeschehen macht, sondern ihn bloß im nachhinein wieder beseitigt. Daran kann auch die Möglichkeit der Gewährung von Vorschüssen (§34 Abs3 BundesbehindertenG) nichts ändern, weil diese Maßnahme frühestens im Jahr 2002 wirksam werden konnte, nicht aber bereits im Jahr 2001, mit dem die Einkommensteuerpflicht für Versehrtenrenten in Kraft gesetzt wurde.
Die in §33 BundesbehindertenG getroffene Beihilfenregelung erfaßt die von der Einkommensteuerpflicht besonders intensiv betroffene Gruppe überhaupt bloß zum Teil.
Da §3 Abs1 Z4 litc EStG 1988 nicht zur Gänze als verfassungswidrig zu erkennen war, ist der mitangefochtene §124b Z48 EStG 1988 idF des Euro-SteuerumstellungsG BGBl I 59/2001 - soweit er sich auf die nunmehr bereinigte Fassung des §3 Abs1 Z4 litc EStG 1988 bezieht - verfassungsrechtlich unbedenklich.
Da die mit dem Budgetbegleitgesetz 2001 eingeführte Einkommensteuerpflicht für Versehrtenrenten nur deshalb als verfassungswidrig zu erkennen war, weil sie ohne Rücksicht auf ihre tatsächlichen Auswirkungen plötzlich (dh. ohne einen der Intensität des damit verbundenen Eingriffs angemessenen Übergangszeitraum bzw. ohne eine solche Legisvakanz) in Wirksamkeit gesetzt worden ist, sieht sich der Verfassungsgerichtshof zum einen veranlaßt, von der ihm in Art140 Abs7 zweiter Satz, zweiter Halbsatz, B-VG eingeräumten Befugnis Gebrauch zu machen und auszusprechen, daß die aufgehobenen Teile des §3 Abs1 Z4 litc EStG 1988 für Einkommensteuerbemessungen betreffend die Jahre 2001 und 2002 - unter Bedachtnahme auf allenfalls mittlerweile durchgeführte Abgeltungen auf Grund der Beihilfenregelung des Bundesbehindertengesetzes - nicht mehr anzuwenden sind.
Zum anderen aber war eine Frist bis 31.12.03 zu setzen, um allfällige legistische Vorkehrungen zu ermöglichen. Dieser Ausspruch stützt sich auf Art140 Abs5 vorletzter und letzter Satz B-VG.
(Quasi-Anlaßfälle: B592/02, B890/02 ua, u.v.m., alle E v 07.12.02, siehe auch B1672/02 ua, B1679/02 ua, u.v.m., alle E v 25.02.03, Aufhebung der angefochtenen Bescheide).
Schlagworte
Behinderte, Einkommensteuer, Einkünfte, Einkunftsarten sonstige, Renten, Übergangsbestimmung, Gesetz, Verhältnis Ausnahmeregelung - Regel, Heeresversorgung, Sozialversicherung, Unfallversicherung, Versehrtenrente, Vertrauensschutz, VfGH / Aufhebung Wirkung, VfGH / Prüfungsumfang, VfGH / Verwerfungsumfang, VfGH / FristsetzungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2002:G85.2002Dokumentnummer
JFR_09978793_02G00085_01