Index
66 SozialversicherungNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Abweisung der Anträge des OGH auf Aufhebung von Bestimmungen des Sozialversicherungs-ÄnderungsG 2000 betreffend die vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit; keine Verletzung des Vertrauensschutzes trotz erheblichen Eingriffs in das Pensionsrecht durch Erhöhung des Anfallsalters und Verschärfung der Anspruchsvoraussetzungen; keine Erwartungshaltung der Betroffenen im Hinblick auf die Unvorhersehbarkeit des Zeitpunktes des Eintritts einer geminderten Erwerbsfähigkeit; gerechtfertigtes Interesse an leicht handhabbarer Regelung; Erfordernis einer unverzüglichen Gleichstellung der Geschlechter im Sinne eines EuGH-Urteils; Orientierung an oberer Altersgrenze aufgrund budgetärer Auswirkungen gerechtfertigt; Übergangsbestimmung nicht erforderlichRechtssatz
Die Anfechtung all jener Novellenbestimmungen des Sozialversicherungs-ÄnderungsG 2000, mit denen die vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit (§253d ASVG) aufgehoben wurde, - anstelle der Anfechtung der entsprechenden novellierten Bestimmungen des ASVG in der Fassung des Sozialversicherungs-ÄnderungsG 2000 - ist hier zulässig: Wird eine Bestimmung durch eine Gesetzesnovelle aufgehoben und bestehen gegen diese Aufhebung - wie der OGH ausführt - verfassungsrechtliche Bedenken wegen ihrer Plötzlichkeit, dann muß sich eine solche, sich der Sache nach auf das Fehlen von Ausnahmen oder Übergangsbestimmungen stützende Anfechtung notwendigerweise gegen jene Novellenbestimmungen richten, welche die Aufhebung bewirken. Aus diesem Grund ist die Anfechtung nur der Novelle zulässig.
Abweisung der Anträge des OGH auf (teilweise) Aufhebung des ArtI Z1, Z3, Z4, Z5, Z6, Z9 und Z28 des Sozialversicherungs-ÄnderungsG 2000, BGBl I 43/2000.
Im System der gesetzlichen Pensionsversicherung werden mit den Beiträgen jeweils die laufenden Pensionen der Leistungsbezieher (dh. eines von den Beitragszahlern grundsätzlich verschiedenen Personenkreises) finanziert, nicht aber Ansprüche der Beitragszahler "angespart". Es gelten daher im allgemeinen auch nicht versicherungs-mathematische Grundsätze, sondern es herrscht das Prinzip des sozialen Ausgleichs. Die Verpflichtung zur Beitragszahlung (welche an sich einen Eingriff in das Grundrecht auf Unversehrtheit des Eigentumsrecht darstellt) ist im Rahmen dieses sog. "Generationenvertrages" unter dem Gesichtspunkt sachlich zu rechtfertigen, daß ein der Versicherungsgemeinschaft angehörender Beitragszahler im Versicherungsfall auch selbst durch dieses System jedenfalls so weit geschützt wird, daß er in Abhängigkeit vom Ausmaß seiner Beitragszahlungen grundsätzlich eine nicht außer Verhältnis zu seinem früheren Erwerbseinkommen stehende Versorgung für eben dieselben Versicherungsfälle erwarten kann (also für den Fall des Alters, der Invalidität und für Angehörige im Falle des Todes).
Während das im Gesetz vorgesehene Mindestalter für eine Alterspensionsleistung im besonderen Maße zu "Vorwirkungen" im Sinne des Phänomens führt, daß sich die Versicherten in ihrer Lebensplanung zunehmend darauf einstellen, ab einem bestimmten Alter aus dem Erwerbsleben auszuscheiden und dann ein Einkommen in einer bestimmten Relation zu jenem während des Erwerbslebens erwarten zu können, trifft dies auf den Versicherungsfall der geminderten Erwerbsfähigkeit wegen der Unvorhersehbarkeit des Zeitpunktes des Eintritts der damit verbundenen Leidenszustände so nicht zu.
Im Falle einer Verletzung eines gemeinschaftsrechtlichen Diskriminierungsverbotes ist der Gesetzgeber ganz allgemein nicht gehalten, die erforderliche Korrektur der Rechtslage nach der für die Versicherten günstigeren Variante auszurichten. Angesichts der durch das EuGH-Urteil "Buchner", Rs. C-104/98, vom 23.05.00 erforderlichen Herstellung einer gemeinschaftsrechtskonformen Rechtslage war eine möglichst rasch wirksame Gesetzesänderung zur Beseitigung der Gemeinschaftsrechtswidrigkeit erforderlich. Dem Gesetzgeber kann hier angesichts der von der Bundesregierung dargelegten, ansonsten drohenden budgetären Auswirkungen für die Finanzierung der Pensionen (welche gerade durch die mit dem StrukturanpassungsG 1996 erfolgte Hinaufsetzung des Anfallsalters für männliche Versicherte auf das 57. Lebensjahr gesteuert werden sollten) daher nicht entgegengetreten werden, wenn er die gemeinschaftsrechtlich gebotene Gleichsetzung (erstens) rasch und (zweitens) an der oberen und nicht an der unteren Altersgrenze vorgenommen hat.
Der Gesetzgeber läßt wegen der Schwierigkeit, den genauen Zeitpunkt des gesundheitsbedingten Absinkens der Arbeitsfähigkeit unter das für den Leistungsanspruch entscheidende Maß für die Vergangenheit feststellen zu können, im Dauerrecht den Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit im Zweifel mit dem Antrag eintreten (§223 Abs1 Z2 lita ASVG). Er darf insoweit auch im Übergang zu einer für die Versicherten nachteiligen Gesetzesänderung um leicht handhabbare Vorschriften bemüht sein (vgl dazu etwa VfSlg 9645/1983) und mußte daher in diesem Belang keine Sonderregelung für jene Fälle vorsehen, bei denen eine entsprechende Minderung der Erwerbsfähigkeit schon vor der Kundmachung des Sozialversicherungs-ÄnderungsG 2000 eingetreten ist. Dies gilt daher auch für Personen, die alle Anspruchsvoraussetzungen der aufgehobenen Bestimmung schon vor dem 01.08.00 erfüllt haben.
Eine Übergangsbestimmung hätte - selbst wenn man sie für gemeinschaftsrechtlich zulässig hielte - den von der gesetzgeberischen Maßnahme unverhältnismäßig hart betroffenen Personenkreis zwar verändern, den Eintritt eines krankheitsbedingten plötzlichen Ausscheidens aus dem Erwerbsleben ohne Pensionsanspruch aber im Ergebnis nicht vermeiden können.
Der Gesetzgeber hat zwar durch die vom OGH bekämpfte Maßnahme einen nicht unerheblichen Eingriff in das Pensionsrecht - bezogen auf den Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit für Arbeitnehmer, die das 57. Lebensjahr noch nicht vollendet haben -, durch die Erhöhung des Anfallsalters aber auch durch eine Verschärfung der Anspruchsvoraussetzungen vorgenommen. Diese Maßnahmen führen allerdings in diesem Segment des Pensionsrechts nach dem ASVG nicht zur Gänze hinter jenen Rechtszustand zurück, der erstmals mit der 35. Novelle zum ASVG (§255 Abs4 ASVG in dieser Fassung) geschaffen wurde und seither insgesamt mannigfachen Änderungen (auch Verschärfungen) unterworfen war. Insgesamt (dh. unter Einbeziehung des sich aus dem Gemeinschaftsrecht ergebenden Erfordernisses einer unverzüglichen Gleichstellung der Geschlechter bei dieser Pensionsart und den sich daraus ergebenden budgetären Konsequenzen, sowie unter Bedachtnahme auf die Besonderheiten, die sich aus der Anspruchsvoraussetzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit ergeben) hat der Gesetzgeber mit der Aufhebung des §253d ASVG und mit der Hinaufsetzung des Anfallsalters für eine vergleichbare Pensionsart (Invaliditätspension) in §255 Abs4 ASVG um zwei Jahre, soweit diese für den Zeitraum ab Kundmachung des Gesetzes Wirkungen entfaltet (und nur um diese Wirkungen geht es im vorliegenden Gesetzesprüfungsverfahren angesichts der vom OGH schon aus gemeinschaftsrechtlichen Gründen verneinten Wirkungen auf Leistungen mit Stichtagen vor der Kundmachung), die ihm bei einem Eingriff in Pensionsanwartschaften verfassungsgesetzlich gesetzten Grenzen noch nicht verletzt.
Entscheidungstexte
Schlagworte
EU-Recht, Übergangsbestimmung, Novellierung, geschlechtsspezifische Differenzierungen, Sozialversicherung, Pensionsversicherung, Arbeitsfähigkeit geminderte, Invalidität, Vertrauensschutz, VfGH / Prüfungsumfang, VfGH / Prüfungsgegenstand, Gleichheit Frau-MannEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2002:G186.2002Dokumentnummer
JFR_09978789_02G00186_01