TE Vfgh Erkenntnis 2005/9/27 B421/05

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Veröffentlicht am 27.09.2005
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Index

L9 Sozial- und Gesundheitsrecht
L9210 Behindertenhilfe, Pflegegeld, Rehabilitation

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
StGB §51 Abs2
StVG §179a Abs2
Tir RehabilitationsG §3 Abs1 lite, §7

Leitsatz

Verletzung im Gleichheitsrecht durch Zurückweisung des Antrags auf Gewährung einer Beschäftigungstherapie durch Unterbringung in einem Wohnheim nach dem Tiroler Rehabilitationsgesetz wegen grober Verkennung der Rechtslage in Folge Annahme einer Verpflichtung zur Kostentragung durch den Bund angesichts einer gerichtlichen Weisung nach bedingter Entlassung aus dem Maßnahmenvollzug

Spruch

Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Das Land Tirol ist schuldig, der Beschwerdeführerin zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit EUR 2340,-- bestimmten Prozesskosten binnen vierzehn Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit Beschluss des Landesgerichtes Innsbruck vom 18. Mai 2001 wurde die Beschwerdeführerin aus dem mit Urteil dieses Gerichtes vom 17. April 2000 angeordneten Maßnahmenvollzug nach §21 Abs1 StGB gemäß §47 StGB am 18. Mai 2001 bedingt entlassen. Mit demselben Beschluss erteilte dieses Gericht der Beschwerdeführerin "gemäß §50 Abs1 iVm §51 Abs3 StGB" folgende Weisungen:

"1. sich wöchentlich einer ambulanten Kontrolle im PKH Hall i. T. zu unterziehen,

2. regelmäßig die verordneten Medikamente einzunehmen und monatlich Serumspiegelkontrollen durchführen zu lassen,

3. im Verein W.I.R. zu wohnen."

Mit Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 4. Dezember 2001 wurde dem Antrag der Beschwerdeführerin auf Übernahme der Kosten der "Beschäftigungs- und Arbeitstherapie" iS des §7 des Tiroler Rehabilitationsgesetzes im Verein W.I.R. stattgegeben, und zwar für den Zeitraum 18. Mai 2001 bis 31. Juli 2004.

2. Mit einem beim Amt der Tiroler Landesregierung am 3. August 2004 eingelangten Schriftsatz stellte die Beschwerdeführerin - vertreten durch ihren Sachwalter - den Antrag, ihr weiterhin gemäß §7 des Tiroler Rehabilitationsgesetzes Beschäftigungstherapie zu gewähren, uzw. durch Unterbringung ("24-Stunden-Betreuung") in einem vom Verein W.I.R. betriebenen Wohnheim.

Diesen Antrag wies die Tiroler Landesregierung mit Bescheid vom 17. Februar 2005 zurück. Begründend heißt es dazu, Rehabilitationsmaßnahmen nach dem Tiroler Rehabilitationsgesetz könnten nur dann gewährt werden, wenn keine Möglichkeit bestehe, nach anderen Rechtsvorschriften gleichartige oder ähnliche Leistungen zu erhalten. Die Kosten der Unterbringung der Beschwerdeführerin im Verein W.I.R. seien jedoch auf Grund der vom Landesgericht Innsbruck erteilten Weisung vom Bund zu tragen, wie sich aus §179a Abs2 des Strafvollzugsgesetzes ergebe. Die bisherige Kostenübernahme sei in der "Unkenntnis" des Beschlusses des Landesgerichtes Innsbruck vom 18. Mai 2001 begründet gewesen.

3. Gegen diesen - keinem weiteren Rechtszug unterliegenden - Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde. Darin behauptet die Beschwerdeführerin, in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt zu sein, und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof.

Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift; darin verteidigt sie den angefochtenen Bescheid und beantragt die Abweisung der Beschwerde. Die Beschwerdeführerin replizierte.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1.1. Die §§50 und 51 des Strafgesetzbuches (StGB) lauten - soweit hier relevant - samt Überschriften wie folgt:

"Erteilung von Weisungen und Anordnung der Bewährungshilfe

§50. (1) Wird einem Rechtsbrecher die Strafe oder die mit Freiheitsentziehung verbundene vorbeugende Maßnahme bedingt nachgesehen oder wird er aus einer Freiheitsstrafe oder einer mit Freiheitsentziehung verbundenen vorbeugenden Maßnahme bedingt entlassen, so hat das Gericht ihm Weisungen zu erteilen oder die Bewährungshilfe anzuordnen, soweit das notwendig oder zweckmäßig ist, um den Rechtsbrecher von weiteren mit Strafe bedrohten Handlungen abzuhalten. ...

Weisungen

§51. (1) Als Weisungen kommen Gebote und Verbote in Betracht, deren Beachtung geeignet scheint, den Rechtsbrecher von weiteren mit Strafe bedrohten Handlungen abzuhalten. Weisungen, die einen unzumutbaren Eingriff in die Persönlichkeitsrechte oder in die Lebensführung des Rechtsbrechers darstellen würden, sind unzulässig.

(2) Dem Rechtsbrecher kann insbesondere aufgetragen werden, an einem bestimmten Ort, bei einer bestimmten Familie oder in einem bestimmten Heim zu wohnen, eine bestimmte Wohnung, bestimmte Orte oder einen bestimmten Umgang zu meiden, sich alkoholischer Getränke zu enthalten, einen geeigneten, seinen Kenntnissen, Fähigkeiten und Neigungen tunlichst entsprechenden Beruf zu erlernen oder auszuüben, jeden Wechsel seines Aufenthaltsortes oder Arbeitsplatzes anzuzeigen und sich in bestimmten Zeitabständen bei Gericht oder einer anderen Stelle zu melden. Den aus seiner Tat entstandenen Schaden nach Kräften gutzumachen, kann dem Rechtsbrecher auch dann aufgetragen werden, wenn das von Einfluß darauf ist, ob es der Vollstreckung der Strafe bedarf, um der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken.

(3) Mit seiner Zustimmung kann dem Rechtsbrecher unter den Voraussetzungen des Abs1 auch die Weisung erteilt werden, sich einer Entwöhnungsbehandlung, einer psychotherapeutischen oder einer

medizinischen Behandlung zu unterziehen. Die Weisung, sich einer

medizinischen Behandlung zu unterziehen, die einen operativen Eingriff umfaßt, darf jedoch auch mit Zustimmung des Rechtsbrechers nicht erteilt werden.

(4) Das Gericht hat während der Probezeit Weisungen auch nachträglich zu erteilen oder erteilte Weisungen zu ändern oder aufzuheben, soweit dies nach §50 geboten scheint."

1.2. §179a des Strafvollzugsgesetzes (StVG) hat samt Überschrift folgenden Wortlaut:

"Ärztliche Nachbetreuung

§179a. (1) Einem Rechtsbrecher, der bedingt entlassen wird, kann die Weisung, sich weiterhin einer Entwöhnungsbehandlung, einer psychotherapeutischen oder sonst einer medizinischen Behandlung zu unterziehen (§51 Abs3 des Strafgesetzbuches), auch mit der Maßgabe erteilt werden, daß die Behandlung für den Verurteilten unentgeltlich durch einen Arzt durchgeführt wird, der sich zur Durchführung solcher Behandlungen dem Bundesministerium für Justiz gegenüber verpflichtet hat. Die Durchführung einer solchen Betreuung schließt erforderlichenfalls unbeschadet des §2 des Ärztegesetzes 1984, BGBl. Nr. 373, ihre Unterstützung durch andere hiefür geeignete Personen ein, die sich hiezu in gleicher Weise verpflichtet haben.

(2) Ist einem bedingt Entlassenen sonst die Weisung erteilt worden, sich einer Entwöhnungsbehandlung, einer psychotherapeutischen oder einer anderen medizinischen Behandlung zu unterziehen, hat der Verurteilte nicht Anspruch auf entsprechende Leistungen aus einer Krankenversicherung und würde durch die Verpflichtung zur Zahlung der Behandlungskosten sein Fortkommen erschwert, so hat die Kosten der Behandlung ganz oder teilweise der Bund zu übernehmen, jedoch nur bis zu dem Ausmaß, in dem die Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter für die Kosten aufkommen könnte, wenn der Entlassene in der Krankenversicherung öffentlich Bediensteter versichert wäre; einen Behandlungsbeitrag (§63 Abs4 des Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetzes, BGBl. Nr. 200/1967) hat der Entlassene nicht zu erbringen. Die Entscheidung über die Übernahme der Kosten steht dem für die Erteilung der Weisung zuständigen Gericht zu.

(3) Der Bundesminister für Justiz kann mit gemeinnützigen therapeutischen Einrichtungen oder Vereinigungen über die Höhe der nach Abs2 vom Bund zu übernehmenden Kosten Verträge nach bürgerlichem Recht abschließen. Die Vereinbarung von verbindlichen Pauschalbeträgen ist zulässig. Der Bundesminister für Justiz kann die Grundsätze der Pauschalierung mit Verordnung festlegen. Dabei ist insbesondere das Betreuungsangebot der gemeinnützigen therapeutischen Einrichtung oder Vereinigung zu berücksichtigen."

1.3. Gemäß §3 des Gesetzes über die Rehabilitation Behinderter (Tiroler Rehabilitationsgesetz) sind Rehabilitationsmaßnahmen (dazu gehört auch die im vorliegenden Fall in Rede stehende Beschäftigungstherapie) - neben weiteren, hier nicht relevanten Voraussetzungen - nur zu gewähren, wenn der Behinderte "keine Möglichkeit hat, nach anderen Rechtsvorschriften gleichartige oder ähnliche Leistungen zu erhalten" (§3 Abs1 lite).

2. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10.413/1985, 14.842/1997, 15.326/1998 und 16.488/2002) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift irrig einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 8808/1980 mwN, 14.848/1997, 15.241/1998 mwN, 16.287/2001 16.640/2002).

Ein solcher Fehler ist der Behörde in der Tat anzulasten:

Der Beschwerdeführerin ist zwar mit Beschluss des Landesgerichtes Innsbruck vom 18. Mai 2001 aufgetragen worden, "im Verein W.I.R. zu wohnen", doch folgt daraus nicht, dass die Kosten dieses Aufenthaltes vom Bund zu tragen wären (und die Beschwerdeführerin gemäß §3 Abs1 lite des Tiroler Rehabilitationsgesetzes insoweit keinen Anspruch auf Leistungen nach diesem Gesetz hätte):

Wie sich nämlich aus §179a Abs2 StVG (idF des ArtIII des Strafrechtsänderungsgesetzes 1987, BGBl. Nr. 605) ergibt, sind vom Bund lediglich die Kosten "einer Entwöhnungsbehandlung, einer psychotherapeutischen oder einer anderen medizinischen Behandlung", die dem bedingt Entlassenen aufgetragen worden ist, zu übernehmen. Der Bund wäre somit nur dann zur Kostenübernahme verpflichtet, wenn das Gericht der Beschwerdeführerin die Weisung erteilt hätte, im Verein W.I.R. nicht nur zu wohnen, sondern sich dort auch einer psychotherapeutischen Behandlung zu unterziehen. Nach dem klaren Wortlaut des oben wiedergegebenen (hinsichtlich der dritten Weisung offenbar auf §51 Abs2 StGB gestützten) Gerichtsbeschlusses vom 18. Mai 2001 ist dies aber nicht der Fall (siehe dazu den mittlerweile ergangenen Beschluss des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 31. Mai 2005, 7 Bs 201/05z).

Eine grobe Verkennung der Rechtslage ist der Behörde aber auch insofern zum Vorwurf zu machen, als sie - in der (unrichtigen) Annahme, der Beschwerdeführerin sei aufgetragen worden, sich im Wohnheim des Vereines W.I.R. einer psychotherapeutischen Behandlung zu unterziehen - nicht beachtet hat, dass selbst in diesem Fall die Kosten vom Bund nur bis zu dem Ausmaß zu tragen wären, "in dem die Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter für die Kosten aufkommen könnte, wenn der Entlassene in der Krankenversicherung öffentlich Bediensteter versichert wäre" (§179a Abs2 StVG), sodass - im Ausmaß des vom Bund nicht übernommenen Anteiles an den Kosten - durchaus Raum für einen Anspruch auf Leistungen nach dem Tiroler Rehabilitationsgesetz bliebe. Diese Frage wurde im angefochtenen Bescheid aber nicht einmal ansatzweise geprüft.

Die belangte Behörde hat somit bei Erlassung des angefochtenen Bescheides Willkür geübt und die Beschwerdeführerin deshalb in ihrem Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz verletzt.

Der Bescheid war daher aufzuheben.

3. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VfGG. Der zugesprochene Betrag enthält Umsatzsteuer in Höhe von EUR 360,-- sowie den Ersatz der entrichteten Eingabengebühr (§17a VfGG) in Höhe von EUR 180,--.

4. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Rehabilitation, Strafrecht, Strafvollzug, ärztliche Betreuung, Entlassung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2005:B421.2005

Dokumentnummer

JFT_09949073_05B00421_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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