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92 LuftverkehrNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Präjudizialität von Bestimmungen des Luftverkehrsgesetzes über die Haftung für nicht in einem Luftfahrzeug beförderte Personen und Sachen; denkmögliche Annahme der Anwendung der angefochtenen Bestimmungen durch das antragstellende Gericht auch unter europarechtlichen Gesichtspunkten; teilweise Zurückweisung des Antrags als überschießend; keine unsachliche Differenzierung zwischen der Haftung aus einem Beförderungsvertrag und allen sonstigen Haftungsfällen; sachliche Rechtfertigung der Beschränkung der Haftung aus einem Beförderungsvertrag für Fälle leichter Fahrlässigkeit durch Festlegung eines Höchstbetrages und den Ausschluss von SchmerzengeldRechtssatz
Teilweise Zulässigkeit der Gerichtsanträge auf Aufhebung der Haftungsbestimmungen in §29c und §29e LuftverkehrsG (außer Kraft getreten mit Inkrafttreten des LuftFG, mit Ausnahme bestimmter Abschnitte).
Präjudizialität aufgrund der Übergangsbestimmung des §174 LuftFG.
Da sich der den Gegenstand des Rechtsstreits vor dem OLG Innsbruck bildende Unfall am 03.05.97 ereignete (und ein Fall der Haftung aus dem Beförderungsvertrag vorliegt), ist dem antragstellenden Gericht nicht entgegenzutreten, wenn es davon ausgeht, dass die Anwendbarkeit von einschlägigen Haftungsregelungen des LuftverkehrsG (zweiter Unterabschnitt des zweiten Abschnitts) zu bejahen ist (Geltungsgrund für diese Anwendbarkeit sind der §173 Abs5 und §174 Abs2 LuftFG idF BGBl 102/1997).
Ebensowenig ist die (implizite) Annahme des antragstellenden Gerichtes zu beanstanden, dass in Zusammenhang mit seinen Bedenken gegen Haftungsbeschränkungen des LuftverkehrsG nicht etwa das Wort "zweiten" (Unterabschnitts des zweiten Abschnitts) in §174 Abs1 lita LuftFG (allenfalls in Verbindung mit dem Wort "zweite" [Unterabschnitt] in §174 Abs2 leg.cit.) anzufechten war. Die allfällige Aufhebung dieses Wortes würde nämlich einen größeren Eingriff in den Rechtsbestand darstellen, als zur Herstellung einer verfassungskonformen Rechtslage erforderlich wäre: Der gesamte zweite Unterabschnitt des zweiten Abschnitts wäre damit nicht mehr vom Außerkrafttreten des LuftverkehrsG ausgenommen.
Kein Anwendungsvorrang europarechtlicher Vorschriften, hier der Verordnung (EG) Nr 2027/97 des Rates vom 09.10.97 über die Haftung von Luftfahrtunternehmen bei Unfällen; Kundmachung erst nach dem streitgegenständlichen Unfall; denkmögliche Anwendung der Bestimmungen des LuftverkehrsG.
Denkmögliche Annahme einer möglichen Anwendung der Haftungsbegrenzung des §29c Abs1 LuftverkehrsG.
Es ist jedenfalls denkbar, dass in Zusammenhang mit einem allfälligen künftigen, in Form von Spätfolgen aus dem Unfall resultierenden Schaden der Gesamtbetrag des Schadens die Haftungshöchstgrenze erreichen bzw. überschreiten könnte und daher das antragstellende Gericht diese Höchstgrenze berücksichtigen muss.
Da es jedoch - unter Bedachtnahme auf den Sachverhalt des Anlassfalles - ausreichen würde, im Fall einer konstatierten Verfassungswidrigkeit in §29c Abs1 LuftverkehrsG die Wortfolge "oder der Verletzung" aus dem Rechtsbestand auszuscheiden, ist der Antrag auf Aufhebung des §29c Abs1 LuftverkehrsG hinsichtlich der Wortfolge "oder der Verletzung" zulässig, im übrigen jedoch als überschießend zurückzuweisen.
Zurückweisung des Antrags hinsichtlich der Verweisung "bis 22" in §29d LuftverkehrsG als überschießend (keine Haftung für immaterielle Schäden aus einem Beförderungsvertrag, Einschränkung greift nur bei leichter Fahrlässigkeit).
Durch die im Antrag begehrte Aufhebung des Wortteils "grob" im Wort "grobfahrlässig" in §29e Abs1 LuftverkehrsG würde hinsichtlich der Haftung aus dem Beförderungsvertrag bei sämtlichen Schuldformen (Vorsatz, grobe und leichte Fahrlässigkeit) die Haftung nach den allgemeinen gesetzlichen Vorschriften unberührt bleiben; somit verbliebe für die Haftungsbeschränkungen des Luftverkehrsgesetzes (auch) hinsichtlich leichter Fahrlässigkeit ohnehin kein Anwendungsbereich.
Denkmögliche Annahme der Anwendung der Haftungsbeschränkung bei leichter Fahrlässigkeit auf einen Höchstbetrag sowie des Ausschlusses immaterieller Schäden.
Aufgrund der rechtstechnischen Ausgestaltung der Regelungen über die Haftung aus dem Beförderungsvertrag wäre diese Beschränkung - sollte sie sich als verfassungswidrig erweisen - dadurch zu beseitigen, dass die Wortfolge "oder der Verletzung" in §29c Abs1 LuftverkehrsG sowie der Wortteil "grob" des Wortes "grobfahrlässig" in §29e Abs1 LuftverkehrsG aufgehoben werden.
Der Antrag auf Aufhebung der Wortfolge "oder der Verletzung" in §29c Abs1 LuftverkehrsG idF der Bekanntmachung vom 21.08.36, Deutsches
Reichsgesetzblatt I Seite 653, der Gesetze vom 27.09.38, Deutsches
Reichsgesetzblatt I Seite 1246, vom 26.01.43, Deutsches Reichsgesetzblatt I Seite 69, und der Bundesgesetze BGBl 200/1963 und 236/1971, sowie des Wortteils "grob" des Wortes "grobfahrlässig" in §29e Abs1 leg.cit. wird abgewiesen.
Das LuftverkehrsG trennt die Haftung für Personen und Sachen, die nicht im Luftfahrzeug befördert werden (1. Unterabschnitt des zweiten Abschnitts), und die Haftung aus dem Beförderungsvertrag (2. Unterabschnitt des zweiten Abschnitts) grundsätzlich voneinander. Bei Eintritt eines Unfalles mit schuldhafter Herbeiführung eines Schadens - auch aufgrund leichter Fahrlässigkeit - kann es also zwei Gruppen von Geschädigten geben: einerseits solche, die einen Beförderungsvertrag (sei es entgeltlich oder unentgeltlich) abgeschlossen haben, und andererseits alle übrigen Geschädigten.
Die beiden durch diese Unterabschnitte erfassten Personengruppen sind nicht vergleichbar: Während der erste Unterabschnitt die Haftung gegenüber Personen regelt, die gleichsam als "unbeteiligte Dritte" - etwa durch zu Boden fallende Flugzeugteile - Schaden erleiden, betrifft der zweite Unterabschnitt Personen, die einen Beförderungsvertrag abgeschlossen haben, die sich also auf die Benützung eines Luftfahrzeuges freiwillig eingelassen haben und sich der damit verbundenen Gefahren bewusst waren bzw. bewusst sein hätten können. Es ist daher grundsätzlich zulässig, für diesen Personenkreis die Haftungsregelungen anders - auch weniger günstig - zu gestalten als für die erstgenannte Gruppe von Geschädigten.
Die Beurteilung der Sachlichkeit von Haftungsregelungen ist vorrangig im Lichte der konkreten Materie vorzunehmen, für die sie erlassen wurden. Einem Vergleich der haftungsrechtlichen Bestimmungen des LuftverkehrsG und des EKHG kommt daher für sich allein keine tragende Bedeutung zu.
Der Verfassungsgerichtshof hält es nicht für unsachlich, dass der Gesetzgeber im Rahmen des LuftverkehrsG die Haftung aus einem Beförderungsvertrag für Fälle leichter Fahrlässigkeit einerseits durch Festlegung eines Höchstbetrages und andererseits durch (impliziten) Ausschluss der Zuerkennung von Schmerzengeld beschränkt.
Die Neugestaltung der einschlägigen Haftungsbestimmungen spricht nicht für die Unsachlichkeit der angefochtenen, im konkreten Verfahren (noch) anzuwendenden Regelungen.
Schlagworte
EU-Recht, Anwendbarkeit, Übergangsbestimmung, Luftfahrt, VfGH / Präjudizialität, VfGH / Prüfungsumfang, Zivilrecht, HaftungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2003:G174.2001Dokumentnummer
JFR_09969699_01G00174_01