RS Vfgh 2003/3/3 G348/02

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Veröffentlicht am 03.03.2003
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Index

61 Familienförderung, Jugendfürsorge
61/01 Familienlastenausgleich

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
BerufsausbildungsG §9 Abs5
FamilienlastenausgleichsG 1967 §30j
SchulpflichtG 1985 §20

Leitsatz

Keine sachliche Rechtfertigung, auch nicht durch Aspekte der Verwaltungsökonomie, für die Beschränkung der Lehrlingsfreifahrt auf gesetzlich anerkannte Ausbildungsverhältnisse; Vorhersehbarkeit der Anwesenheit des Lehrlings im Betrieb auch bei kollektivvertraglich geregelten Lehrverhältnissen; kein unzumutbarer Aufwand

Rechtssatz

Das Wort "gesetzlich" im ersten Satz des §30j Abs2 FamilienlastenausgleichsG 1967, BGBl 376, idF BGBl 311/1992, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Schüler- und Lehrlingsfreifahrt sind getrennt geregelt. Der Besuch der Berufsschule ist keine Voraussetzung für die Erlangung der Lehrlingsfreifahrt. Die Berufsschulpflicht ist auch keineswegs so ausgestaltet, daß jeder Lehrling während der gesamten Zeit seiner praktischen Ausbildung automatisch und zwingend die Berufsschule besuchen muß.

Bei der Beurteilung der Sachlichkeit einer Regelung können administrative oder verwaltungsökonomische Erwägungen eine Rolle spielen. Die Gewährung einer Förderung nach Art der Lehrlingsfreifahrt verlangt die objektive Feststellbarkeit und Nachvollziehbarkeit eines konkret erforderlichen Bedarfes. Der Gerichtshof vermag aber nicht zu sehen, daß die administrativen Schwierigkeiten einer solchen Kontrolle bei kollektivvertraglich geregelten Lehrverhältnissen um so viel größer sind als bei gesetzlich geregelten, daß im ersteren Fall - trotz vergleichbarer (niedriger) Einkommensverhältnisse - die vollständige Versagung der Freifahrt gerechtfertigt wäre.

Gemäß §20 SchulpflichtG besteht für "alle Lehrlinge im Sinne des Berufsausbildungsgesetzes" Berufsschulpflicht. Der Lehrberechtigte hat dem Lehrling die zum Besuch der Berufsschule erforderliche Zeit freizugeben und ihn zum regelmäßigen Schulbesuch anzuhalten (§9 Abs5 BerufsausbildungsG). Dem steht bei kollektivvertraglich geregelten Lehrverhältnissen eine Pflicht zur theoretischen Ausbildung gegenüber, die ihrerseits im Kollektivvertrag geregelt ist. Es ist nun nicht einsichtig, weshalb es bei kollektivvertraglich geregelten Lehrverhältnissen nicht ebenfalls vorhersehbar ist, zu welchen Zeiten sich der Lehrling im Betrieb aufhalten wird. Daß sich für die Kontrolltätigkeit der Behörde ins Gewicht fallende Unterschiede ergeben, kann der Gerichtshof nicht erkennen, ist doch die gesetzliche Regelung der Berufsschulpflicht für sich allein auch nicht geeignet, der Behörde ein Bild von den konkreten Zeiten der Anwesenheit des Lehrlings im Betrieb zu verschaffen.

Da bei gesetzlich anerkannten Lehrverhältnissen - sofern Berufsschule und Betrieb nicht in derselben Zone liegen - zwei verschiedene Freifahrausweise ausgestellt werden, nämlich einer für die Schülerfreifahrt (für die Tage, die der Lehrling in der Berufsschule verbringt) und einer für die Lehrlingsfreifahrt (für die Tage, die er im Betrieb verbringt), ist kein Grund zu sehen, warum es unmöglich oder mit unzumutbarem Aufwand verbunden wäre, auch bei kollektivvertraglich geregelten Lehrverhältnissen einen Freifahrausweis (lediglich) für jene Tage auszustellen, die der Lehrling - laut Bestätigung des Lehrherrn - in seinem Betrieb zu verbringen hat.

Anlaßfall: E v 12.03.03, B1699/01 - Aufhebung des angefochtenen Bescheides.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Familienlastenausgleich, Gewerberecht, Berufsausbildung, Schulen, Schulpflicht, Rechtspolitik, Verwaltungsökonomie

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2003:G348.2002

Dokumentnummer

JFR_09969697_02G00348_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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