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80 Land-und ForstwirtschaftNorm
B-VG Art12 Abs2Leitsatz
Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Tribunal durch die Betrauung eines stimmführenden Mitgliedes des Agrarsenates mit der Erstattung eines Gutachtens in einem - zivilrechtliche Ansprüche betreffenden - Sonderteilungsverfahren bezüglich Ausscheidung eines Gutes aus einer Agrargemeinschaft; Erweckung von Zweifeln an Unbefangenheit und Neutralität der Mitglieder der belangten BehördeSpruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid in seinem durch Art6 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Tribunal verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Das Land Vorarlberg ist verpflichtet, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit 2.340 € bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu erstatten.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. Am 9.12.1997 beantragte der Beschwerdeführer bei der Agrarbezirksbehörde Bregenz das auf seinen (näher bezeichneten) Liegenschaften zugunsten der Seilweggenossenschaft A.-G. eingeräumte Bringungsrecht aufzuheben, weil die Seilbahn für die land- und forstwirtschaftliche Nutzung des berechtigten Anwesens infolge der ganzjährig zur Verfügung stehenden Straßenverbindung auf Dauer nicht mehr notwendig sei.
1. Der nach Devolution zuständig gewordene Landesagrarsenat beim Amt der Vorarlberger Landesregierung wies den Antrag ab; der dagegen erhobenen Berufung gab der Oberste Agrarsenat (kurz: OAS) keine Folge.
2. Das Erkenntnis des OAS wurde vom Verfassungsgerichtshof am 11. Oktober 2003 zu B279/03 mit folgender Begründung aufgehoben:
"Wie sich aus den Verwaltungsakten ergibt, hat das in agrartechnischen Angelegenheiten erfahrene Mitglied des Obersten Agrarsenats eine schriftliche 'Technische Stellungnahme' erstattet, die in den Akten des Obersten Agrarsenats als 'Stellungnahme des agrartechnischen Amtssachverständigen' bezeichnet wird. Hiebei handelt es sich um ein Gutachten im technischen Sinn und nicht nur um eine fachkundige, schriftlich niedergelegte Meinung. In dieser 'Stellungnahme' wird auf Basis der Aktenlage und eines Lokalaugenscheins die Frage geklärt, ob der Bedarf für das verfahrensgegenständliche Bringungsrecht in agrartechnischer Hinsicht dauernd weggefallen ist. Der angefochtene Bescheid stützt sich in seiner Begründung auch auf die im Gutachten getroffenen Feststellungen.
...
Der Umstand, dass ein sachkundiges stimmführendes Mitglied des Agrarsenats im Verfahren ein Gutachten in seiner Eigenschaft als Sachverständiger (im Sinne des AVG) erstattet hat, ist jedenfalls geeignet, einerseits an der Neutralität dieses Mitglieds als Sachverständiger (vgl. VfSlg. 10.701/1985, 16.029/2000), andererseits an seiner Unbefangenheit als Entscheidungsträger - zu dessen Aufgaben es unter anderem gehört, die Schlüssigkeit der eingeholten Sachverständigengutachten zu beurteilen - Zweifel aufkommen zu lassen, aber auch an der Unbefangenheit der übrigen Mitglieder des Obersten Agrarsenats, die ihre Entscheidung auf das Gutachten eines Mitglieds ihres Senats gestützt haben (s. VfGH 12. März 2003, B482/01).
Angesichts dessen konnten zumindest dem äußeren Anschein nach Zweifel an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Obersten Agrarsenats als Tribunal im Sinne des Art6 EMRK entstehen. Bereits der äußere Anschein reicht aus, um eine Verletzung des Art6 EMRK zu bewirken.
Der Beschwerdeführer wurde somit durch den angefochtenen Bescheid in seinem aus Art6 EMRK abzuleitenden Recht auf ein faires Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Tribunal verletzt. Der Bescheid war daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war."
3. Im fortgesetzten Verfahren beauftragte der Vorsitzende zwei dem erkennenden Senat des OAS nicht angehörende Amtssachverständige mit der Erstellung von Gutachten aus den Fachbereichen Landwirtschaft und Wegebau. Mit dem nun angefochtenen Erkenntnis wies der Senat in unveränderter Zusammensetzung die Berufung neuerlich als unbegründet ab, weil der Bedarf nicht auf Dauer entfallen sei.
II. Gegen diesen Ersatzbescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte sowie allenfalls die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes gerügt werden. Das Mitglied des OAS, dessen Mitwirkung als Gutachter im ersten Rechtsgang Anlass für die Aufhebung des Bescheides wegen Befangenheit gewesen sei, habe neuerlich an der Entscheidung mitgewirkt. Die Zweifel an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des OAS als Tribunal iSd Art6 EMRK bestünden daher weiterhin. Das Gesetz müsse ferner verfassungskonform iSd §9 Vlbg. Güter- und SeilwegeG dahin ausgelegt werden, dass bei dauerndem Wegfall des Bedarfs ein Anspruch auf Aufhebung des Bringungsrechts bestehe.
Die belangte Behörde tritt diesem Vorwurf mit dem Hinweis entgegen, seit der aufgehobenen Entscheidung habe sich der maßgebende Sachverhalt geändert. Vergleiche man den der seinerzeitigen Stellungnahme des Senatsmitgliedes und der aufgehobenen Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt mit jenem, der im fortgesetzten Verfahren den Gutachten zweier (neu bestellter) Amtssachverständiger zugrunde liege, so zeige sich, dass eine Kehre des bestehenden Güterweges neu ausgebaut und damit sicherheitstechnisch saniert worden sei (weshalb die Milch bei der nächstgelegenen Hofstelle mit Tankwagen abgeholt werde) und in den Sommermonaten keine Milchlieferung erfolge, nunmehr aber wöchentlich zwei Mal Speiseeis ausgeliefert werde. Ein neuer Antrag dürfte daher nicht wegen entschiedener Sache zurückgewiesen werden und wäre Anlass für die Einleitung eines neuen Verfahrens. Die seinerzeit abgegebene Stellungnahme des als befangen angesehenen Senatsmitgliedes sei also nunmehr bedeutungslos.
Die beteiligte Seilwegegenossenschaft gab eine Stellungnahme ab, in der sie die Abweisung der Beschwerde anregte.
III. Die Beschwerde ist begründet.
Der im ersten Rechtsgang ergangene Bescheid der belangten Behörde wurde wegen des Anscheins der Befangenheit sowohl jenes Mitgliedes des erkennenden Senates, das in dieser Sache ein Sachverständigengutachten erstattet hat, als auch der übrigen Mitglieder, die ihre Entscheidung auf dieses Gutachten gestützt haben, aufgehoben.
Wieso der OAS meint, diese Befangenheit sei im fortgesetzten Verfahren weggefallen, ist unklar. Einerseits soll die Änderung des Sachverhalts in entscheidungswesentlichen Punkten solches bewirkt haben, andererseits das seinerzeit abgegebene Gutachten für die Entscheidung nicht mehr von Bedeutung sein.
Der für diese Argumentation herangezogene Vergleich der Lage im fortgesetzten Verfahren mit dem (hypothetischen) Verfahren über einen neuen Antrag nach entschiedener Sache ist indessen schon deshalb verfehlt, weil es an einer rechtskräftigen (einwandfreien) Entscheidung als Basis einer Gegenüberstellung zwischen entschiedenem und gegebenem Sachverhalt fehlt und das Ermittlungsverfahren, an dem das wegen gleichzeitigen Einschreitens als Sachverständiger befangene Mitglied teilgenommen hat, von dem der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Verfahren nicht getrennt werden kann.
Der durch das gleichzeitige Einschreiten als Sachverständiger erweckte Anschein der Befangenheit wird nicht dadurch abgestreift, dass der Senat in seiner neuen Entscheidung einen anderen Sachverhalt als gegeben annimmt. An den - möglicherweise durchaus subtilen - Erwägungen über die Irrelevanz seines Gutachtens wirkt ja wieder der Gutachter mit. Hat ein sachverständiger Gutachter an einer Entscheidung mitgewirkt, hat er im fortgesetzten Verfahren auszuscheiden. Erst sein Ausscheiden beseitigt den Anschein der Befangenheit auch der übrigen Mitglieder des Senates.
Der Beschwerdeführer wurde somit durch den angefochtenen Bescheid abermals in seinem aus Art6 EMRK abzuleitenden Recht auf ein faires Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Tribunal verletzt.
Der Bescheid ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen eingegangen werden muss (§19 Abs4 erster Satz und Z2 VfGG).
Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten sind Umsatzsteuer in der Höhe von 360 € sowie die Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von 180 € enthalten.
Schlagworte
Agrarbehörden, Agrarverfahren, Landesagrarsenat, Kollegialbehörde, Verwaltungsverfahren, Sachverständige, Amtspartei, Ersatzbescheid, BefangenheitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2005:B343.2005Dokumentnummer
JFT_09949070_05B00343_00