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16 MedienrechtNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Zulässigkeit des nach Kundmachung des Gesetzes eingelangten Antrags der Wiener Landesregierung auf Aufhebung von Bestimmungen des ORF-Gesetzes; keine Zulässigkeit des Antrags auf Aufhebung von Bestimmungen betreffend den Stiftungsrat wegen unzulässiger Abgrenzung des Prüfungsgegenstandes; keine Verletzung der Meinungsäußerungsfreiheit, des Gleichheitsrechtes und des Determinierungsgebotes durch den Programmauftrag hinsichtlich anspruchsvoller Sendungen sowie durch die Werbebeschränkung für Printmedien; keine Verfassungswidrigkeit der Regelung der Vertretungsbefugnisse von Direktoren und leitenden Angestellten sowie des Beschwerdeverfahrens bei behaupteter Gesetzesverletzung durch FernsehprogrammeRechtssatz
Zulässigkeit des nach Kundmachung des Gesetzes im Bundesgesetzblatt, aber noch vor Inkrafttreten eingebrachten Antrags der Wiener Landesregierung auf Aufhebung von Bestimmungen des ORF-G.
Zurückweisung des Antrags auf Aufhebung der Z1, Z2, Z3 und Z4 des §20a Abs1 ORF-G [der gemäß §49 Abs3 mit Wirkung vom 01.01.02 an mit "§20" zu bezeichnen ist] betreffend die Zusammensetzung des Stiftungsrates wegen unzulässigen Anfechtungsumfangs.
Die zur Frage des Umfanges der Aufhebung entwickelte Judikatur hat auch Rückwirkungen auf die Zulässigkeit von Anträgen auf Aufhebung von gesetzlichen Bestimmungen, sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren; wenn bei Aufhebung bloß eines Teiles einer Norm der Sinn der verbleibenden Bestimmung nicht mehr dem erkennbaren gesetzgeberischen Willen entspricht, ist nur der Antrag auf Aufhebung der gesamten Regelung zulässig.
Eine dem Anfechtungsumfang im Gesetzesprüfungsantrag entsprechende Gesetzesaufhebung gäbe dem verbleibenden Teil des §20a [20] ORF-G einen gänzlich veränderten, dem Gesetzgeber nicht mehr zusinnbaren Inhalt, bestünde doch dann der Stiftungsrat gemäß der - verbleibenden - Ziffer 5 des §20 Abs1 ORF-G nur noch aus fünf Mitgliedern, die "unter Anwendung des Arbeitsverfassungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1974, vom Zentralbetriebsrat" zu bestellen wären. Zwischen den Ziffern 1, 2, 3, 4 und der (nicht angefochtenen) Ziffer 5 des §20 Abs1 ORF-G besteht insofern ein untrennbarer Zusammenhang, weswegen die Ziffer 5 mit anzufechten gewesen wäre.
Untrennbarer Zusammenhang auch im Hinblick auf §20 Abs4 und Abs7
ORF-G.
Keine Verfassungswidrigkeit des Programmauftrags an den ORF hinsichtlich anspruchsvoller Sendungen im Hauptabendprogramm in §4 Abs3 zweiter Satz ORF-G.
Gestaltungsspielraum des ORF bei Umsetzung des Programmauftrags, finale Determinierung durch Zielbestimmungen.
Der Wortlaut des §4 Abs3 zweiter Satz ORF-G verbietet es nicht, die angefochtene Bestimmung als ein dem ORF vorgegebenes Programmziel anzusehen. Es ist ihr keinesfalls die Verpflichtung des ORF zu entnehmen, dieses Ziel dadurch zu erreichen, daß täglich in zumindest einem seiner Fernsehhauptabendprogramme (zwischen 20.00 bis 22.00 Uhr, während der sog prime time) eine Sendung zur Wahl gestellt werden muß, die - isoliert betrachtet - dem Kriterium "anspruchsvoll" genügt. Gerade die Wendung "in der Regel" legt ein Verständnis der genannten Bestimmung als Zielbestimmung nahe. Ziel der Programmgestaltung durch den ORF soll danach sein, die Jahres- und Monatsprogrammschemata des Fernsehens so zu erstellen, daß jedenfalls in den Hauptabendprogrammen des ORF in der Regel anspruchsvolle Sendungen zur Wahl stehen. Daß dabei - über einen längeren Zeitraum - von einer Durchschnittsbetrachtung auszugehen ist, die es mit sich bringt, daß auch Abweichungen denkbar sind, solange der Durchschnitt "anspruchsvoll" ist, geht auch aus den Gesetzesmaterialien hervor (vgl RV 634 BlgNR, 21. GP).
Die Wendung "in der Regel" soll klar stellen, daß keineswegs jede Sendung isoliert zu beurteilen ist, sondern daß das Kriterium "anspruchsvoll" stets mit Rücksicht auf einen größeren zeitlichen Rahmen heranzuziehen ist. Die Begriffe "Jahres- und Monatsschemata des Fernsehens" machen deutlich, daß hier von einer auf einen längeren Zeitraum bezogenen Durchschnittsbetrachtung auszugehen ist.
Von diesem Normverständnis sowie einer längerfristigen Durchschnittsbetrachtung hat auch der Bundeskommunikationssenat bei Anwendung dieser Gesetzesbestimmung auszugehen (daher kein "staatliches Qualitätsrichtertum" wie behauptet). Daß eine gesetzliche Regelung, die wie die vorliegende "von einer konditionalen Bestimmung der Inhalte von Sendungen des ORF Abstand nimmt und damit die Umsetzung des Programmauftrages in den einzelnen Sendungen in die Gestaltungsbefugnis des ORF stellt, gleichzeitig aber diese Gestaltungsbefugnis final durch Zielbestimmungen determiniert", den Anforderungen des Art10 EMRK entspricht, hat die Wiener Landesregierung selbst dargetan.
Keine Gleichheitswidrigkeit; keine Systemabweichung.
Wenn der Gesetzgeber - neben dem "Gesamtprogramm" (§4 Abs3 erster Satz ORF-G) - gerade für die Zeit von 20.00 bis 22.00 Uhr (prime time) den Spielraum des ORF bei seiner Programmgestaltung näherhin festlegt und an erhöhte Qualitätsansprüche bindet, so liegt dies innerhalb jenes Gestaltungsspielraums, der dem Gesetzgeber in einem dualen Rundfunksystem für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zukommt.
Die Wortfolge "anspruchsvolle Sendungen" in §4 ORF-G widerspricht auch nicht dem aus Art18 B-VG abzuleitenden Bestimmtheitsgebot. Der Begriff "anspruchsvoll" findet sich im ORF-G nicht allein stehend, sondern in einem systematischen Zusammenhang. Die in Rede stehende Bestimmung ist einer Auslegung auch anhand des allgemeinen Sprachgebrauchs zugänglich.
Keine Verfassungswidrigkeit der Werbebeschränkung für Printmedien in §13 Abs8 ORF-G.
Der Verfassungsgerichtshof erachtet Maßnahmen zur Ermöglichung von Pluralismus sowohl bei den Rundfunkmedien als auch bei den Printmedien (dazu: VfSlg 13725/1994) grundsätzlich als legitimes Ziel, welches den Gesetzgeber zu Eingriffen in das gemäß Art10 EMRK gewährleistete Recht legitimiert.
Aus der Sicht der in Art10 EMRK gewährleisteten Meinungsfreiheit und mit Rücksicht auf den ihm zukommenden rechtspolitischen Gestaltungsspielraum kann dem Gesetzgeber daher nicht entgegengetreten werden, wenn er die hier angefochtene Werbebeschränkung in zeitlicher und inhaltlicher Hinsicht als notwendig und geeignet zur Verfolgung der - im Lichte von Art10 EMRK vertretbaren - Ziele (Schutz der "Rechte anderer") erachtet.
Keine Beurteilung der Zweckmäßigkeit.
Der Verfassungsgerichtshof geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, daß auch die sogenannte kommerzielle Werbung vom Schutzbereich des Art10 EMRK umfaßt ist. Ist der Gegenstand einer Regelung kommerzielle Werbung, so räumt Art10 EMRK dem Gesetzgeber aber einen größeren Gestaltungsspielraum ein, als etwa bei Eingriffen in die Freiheit der Äußerung politischer Ideen.
§13 Abs8 ORF-G beschränkt den ORF - als derzeit dominierenden Teilnehmer am österreichischen Fernsehmarkt - in seinen Möglichkeiten, aus Werbung Einnahmen zu lukrieren, zielt sohin darauf ab, private Fernsehbetreiber insofern zu begünstigen und ihnen Marktchancen zu eröffnen, was als legitim im Lichte von Art10 Abs1 und Abs2 EMRK anzusehen ist. Dem Gesetzgeber kann aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht entgegengetreten werden, wenn er von der Annahme ausgeht, daß mit der angefochtenen Regelung das Werbegeschäft mit Printmedien im Fernsehen insgesamt beschränkt wird, und daß damit die (wirtschaftliche) Unabhängigkeit des Fernsehens von anderen Medien bewirkt wird. Ebensowenig kann dem Gesetzgeber entgegengetreten werden, wenn er davon ausgeht, daß mit der Beschränkung des Inhalts der Werbungen für Printmedien auf "Titel und Blattlinie" zudem eine mit dem Ziel der - verfassungsgesetzlich in ArtI Abs2 des Bundesverfassungsgesetzes über die Sicherung der Unabhängigkeit des Rundfunks festgelegten - Objektivität und Unabhängigkeit des ORF korrespondierende Regelung getroffen wurde.
Zulässigkeit eines Bestandsschutzes für kleinere Medienunternehmen (VfSlg 13725/1994).
Die angefochtenen Beschränkungen setzen die Werbepräsenz marktmächtiger Printmedien sowohl zeitlich als auch in ihrer Intensität herab und wirken sich damit im Wettbewerb zugunsten finanzschwächerer Printmedien selbst dann (oder gerade deswegen) aus, wenn diese selbst nicht in der Lage sind, eigene Werbung im Fernsehen zu finanzieren.
Keine Gleichheitsbedenken.
Für den ORF zutreffende Überlegungen können keinesfalls auf den Privatfernsehbereich übertragen werden.
(siehe auch Zurückweisung eines Individualantrags auf Aufhebung derselben Bestimmung mit B v 25.06.03, G19/02).
Keine Verfassungswidrigkeit des §21 Abs2 Z16 und des §23 Abs2 Z4
ORF-G.
Aus der Systematik des ORF-G kann nicht die Schlußfolgerung gezogen werden, daß den Landesdirektoren keine Prokura oder Handlungsvollmacht erteilt werden könne: Während das Gesetz überall dort, wo es die "Direktoren" ausdrücklich in einem Zusammenhang mit den "Landesdirektoren" oder mit dem "Generaldirektor" nennt, eine begriffliche Unterscheidung zwischen verschiedenen Arten von Direktoren vornimmt, ist - im Gegensatz dazu - der Begriff "Direktoren" in §21 Abs2 Z16 und §23 Abs2 Z4 ORF-G als Oberbegriff zu verstehen, der sowohl die "Direktoren" im engeren Sinn als auch die "Landesdirektoren" mit einschließt.
Die im Antrag der Wiener Landesregierung vertretene (gegenteilige) Auslegung würde auch einen Wertungswiderspruch im Hinblick auf die den Landesdirektoren zugewiesenen Aufgaben bedeuten (§25 ORF-G), deren Wahrnehmung ohne die Möglichkeit der Erteilung einer Prokura oder Handlungsvollmacht in einer Weise erschwert wäre, die dem Willen des Gesetzgebers nicht ernsthaft unterstellt werden kann.
Keine Verfassungswidrigkeit des §36 Abs1 Z1 litc und Abs6 Z1 litc ORF-G betreffend das Beschwerdeverfahren bei behaupteter Gesetzesverletzung durch Fernsehprogramme.
Zulässige Differenzierung zwischen Radio und Fernsehen (siehe VfSlg 15212/1998 zu §27 Abs1 Z1 litb RundfunkG) auf Grund einer möglichen intensiveren Beeinträchtigung von Rechtsgütern im Fernsehen durch das Zusammenwirken von Bild und Ton; rechtspolitischer Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers.
Auch wenn es sich bei dem in §36 Abs1 Z1 litc und Abs6 Z1 litc ORF-G geregelten Verfahren um kein Rechtsschutzverfahren zur Durchsetzung subjektiver Rechte handelt, sondern um ein - gemeinschaftsrechtlich vorgesehenes - Verfahren zur Wahrung der Interessen betroffener Menschen, kommt dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der erwähnte Gestaltungsspielraum zu.
Schlagworte
Auslegung systematische, Geltungsbereich (zeitlicher) eines Gesetzes, Meinungsäußerungsfreiheit, Rundfunk, Rechtsbegriffe unbestimmte, Beschwerdeverfahren, Objektivitätsgebot, Determinierungsgebot, VfGH / Prüfungsgegenstand, VfGH / Prüfungsumfang, Werbung, EU-RechtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2003:G304.2001Dokumentnummer
JFR_09969375_01G00304_01