RS Vfgh 2003/9/27 G222/01

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Veröffentlicht am 27.09.2003
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Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8200 Bauordnung

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsumfang
ABGB §364a Abs2
AVG §8
Bgld BauG 1997 §21

Leitsatz

Unsachlichkeit der im Bgld Baugesetz 1997 normierten Einschränkung der Parteistellung von Nachbarn auf Eigentümer unmittelbar angrenzender Grundstücke; Aufhebung sämtlicher Regelungen betreffend Parteien und Anrainerrechte im Sinne des Hauptantrags des Verwaltungsgerichtshofes zur Vermeidung einer Sinnveränderung des - nach Aufhebung der präjudiziellen Bestimmung - verbleibenden Restes bzw wegen eines untrennbaren Zusammenhanges

Rechtssatz

Der Verfassungsgerichtshof findet keine sachliche Rechtfertigung dafür, dass etwa im Fall des Aufeinandertreffens von Bauland-Wohngebiet und Bauland-Industriegebiet nur der unmittelbar angrenzende Grundstückseigentümer die Möglichkeit haben soll, die Überprüfung des Flächenwidmungsplans an die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts heranzutragen, während der nur geringfügig vom Baugrundstück entfernte, aber durch Emissionen gleichermaßen betroffene Grundstückseigentümer die im Sinne des rechtsstaatlichen Prinzips gebotene Beseitigung einer gesetzwidrigen Flächenwidmung aus der Rechtsordnung nicht erreichen kann. Dem Nachbarn steht mangels Anwendbarkeit der raumordnungsrechtlichen Vorschriften im Verfahren nach §364a Abs2 ABGB keine Möglichkeit offen, die allfällige Gesetzwidrigkeit des Flächenwidmungsplans geltend zu machen (vgl VfSlg 15581/1999).

Die im §21 Abs1 Z2 Bgld BauG 1997 vorgenommene Differenzierung zwischen Eigentümern, deren Grundstück an das Baugrundstück angrenzt, und solchen, die zB nur durch einen Grundstücksstreifen vom Baugrundstück getrennt sind, entbehrt daher einer sachlichen Rechtfertigung.

Aufhebung der Abs1 bis Abs5 des §21 Bgld BauG 1997, LGBl 10/1998.

§21 Abs1 Bgld BauG 1997 regelt - als lex specialis zu §8 AVG - erschöpfend die Parteistellung im Bauverfahren und stellt damit eine in sich geschlossene Einheit dar. Eine Aufhebung nur der im verwaltungsgerichtlichen Verfahren präjudiziellen Bestimmung des §21 Abs1 Z2 Bgld BauG 1997 betreffend die Parteistellung der Anrainer im Bauverfahren hätte die vom burgenländischen Landesgesetzgeber jedenfalls nicht beabsichtigte Konsequenz zur Folge, dass im Bgld BauG ausdrücklich nur die Parteistellung des Bauwerbers im Bauverfahren normiert wäre. Die allfällige Parteistellung der Nachbarn würde sich dann aus den gemäß §8 AVG aus dem Bgld BauG zu erschließenden Rechtsansprüchen und rechtlichen Interessen der Nachbarn ergeben. Der verbleibende Teil des §21 Abs1 leg cit erhielte somit einen gänzlich sinnveränderten Inhalt.

Zum anderen räumen §21 Abs2 und Abs4 Bgld BauG 1997 dem - iSd §21 Abs1 Z2 leg cit definierten - Anrainer bestimmte Rechte ein. Im Hinblick darauf, dass der Begriff des Anrainers (im engeren Sinn verstanden) das Vorhandensein eines gemeinsamen Rains zwischen dem Baugrundstück und dem benachbarten Grundstück erfordert, erweist sich die Regelung auch bei Wegfall des §21 Abs1 Z2 als unsachlich. Würde man hingegen den Begriff des Anrainers (im weiteren Sinn) als Grundeigentümer, die von den Auswirkungen des Bauvorhabens in ihren subjektiven öffentlichen Rechten betroffen sein können, verstehen, so hätte eine solche Auslegung ebenfalls eine vom burgenländischen Landesgesetzgeber nicht intendierte und verfassungsrechtlich auch nicht gebotene Ausweitung der Parteistellung zur Folge. Abs3 und Abs5 stehen mit den Regelungen der Abs1, Abs2 und Abs4 in einem untrennbaren Zusammenhang.

(Quasianlassfälle: B1187/01, B1188/01, beide E v 08.10.03, Aufhebung der angefochtenen Bescheide).

Entscheidungstexte

Schlagworte

Baurecht, Baubewilligung, Nachbarrechte, Rechtsstaatsprinzip, Verwaltungsverfahren, Parteistellung, VfGH / Präjudizialität, VfGH / Prüfungsumfang, VfGH / Verwerfungsumfang

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2003:G222.2001

Dokumentnummer

JFR_09969073_01G00222_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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