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27 RechtspflegeNorm
B-VG Art83 Abs2Leitsatz
Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Unterlassung der Vorlage einer Rechtsfrage an den EuGH durch die als Gericht im Sinne des EG-Vertrages anzusehende OBDK; Frage der Zulässigkeit eines Verbotes anwaltlicher Berufsausübung im Rahmen multidisziplinärer Sozietäten kein "acte clair"; Zurückweisung einer Beschwerde gegen den Bescheid des Ausschusses einer Rechtsanwaltskammer betreffend die Anmeldung der beabsichtigten Errichtung einer Rechtsanwalts-Gesellschaft mangels Erschöpfung des InstanzenzugesRechtssatz
Beim Feststellungsantrag geht es um Fragen, die mit der Eintragung in die Liste der Rechtsanwalts-Gesellschaften einhergehen. Da es - wie der Verfassungsgerichtshof bereits in VfSlg 12837/1991 ausgesprochen hat - bei der Beurteilung der Zulässigkeit eines Rechtsmittels nicht darauf ankommen kann, ob über ein Eintragungsbegehren oder über ein Fragen der Zulässigkeit der Eintragung betreffendes Feststellungsbegehren zu entscheiden ist, steht den Beschwerdeführern der zu B614/01 protokollierten Beschwerde gegen die in Betracht kommenden Spruchpunkte 1 und 2 des Bescheides (nur diese sind beim Verfassungsgerichtshof zu B614/01 angefochten) die Berufung an die OBDK offen.
Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Unterlassung der Vorlage einer Rechtsfrage an den EuGH durch die als Gericht im Sinne des EG-Vertrages anzusehende OBDK (siehe auch Art6 EWR-BVG, BGBl 115/1993).
Der EG-Vertrag definiert den Begriff des einzelstaatlichen Gerichts in Art234 Abs3 EG nicht.
Da die Entscheidungen der OBDK gemäß §64 Abs1 DSt 1990 weder der Aufhebung oder Abänderung im Verwaltungsweg unterliegen, noch gegen sie eine Verwaltungsgerichtshofbeschwerde zulässig ist, ist die OBDK als vorlagepflichtiges Gericht iSd Art234 Abs3 EG zu qualifizieren; die Möglichkeit der Anrufung des Verfassungsgerichtshofes vermag daran, angesichts des Umstandes, daß durch den Verfassungsgerichtshof keine umfassende Nachprüfung einer Entscheidung möglich ist, weil an ihn nur die Frage der Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte oder die Frage einer Rechtsverletzung wegen Anwendung von rechtswidrigen generellen Normen herangetragen werden kann, nichts zu ändern (VfSlg 14390/1995).
Die belangte Behörde stützt das inländische Verbot anwaltlicher Berufsausübung im Rahmen multidisziplinärer Sozietäten auf §21c RAO.
Aus dem Urteil des EuGH vom 19.02.02, Rs C-309/99, Wouters, Slg 2002, I-1577 ff, ist keineswegs mit der erforderlichen Klarheit (iS der "acte clair"-Doktrin, vgl EuGH 06.10.82, Rs 283/81, CILFIT, Slg 1982, 3415 ff.; VfSlg. 14390/1995) die Zulässigkeit eines Verbotes der im vorliegenden Beschwerdefall zu beurteilenden multidisziplinären Gesellschaft abzuleiten:
Wie die Beschwerde zutreffend darlegt, ist die hier anwendbare Rechtslage insoferne nicht mit der dem Urteil Wouters zugrundeliegenden niederländischen Rechtslage zu vergleichen, weil sowohl in Österreich als auch in Deutschland für wirtschaftsberatende Berufe weitreichende Vorschriften in Gesetzes- (im österr Wirtschaftstreuhandberufsgesetz, in der dt Wirtschaftsprüferordnung sowie im dt Steuerberatungsgesetz) und in Verordnungsrang (in den jeweiligen Berufssatzungen) über die Pflichten zur Verschwiegenheit und zur Vermeidung von Interessenskollisionen bestehen. Sowohl in Österreich als auch in Deutschland ist darin auch die unabhängige Ausübung des jeweiligen wirtschaftsberatenden Berufes normiert. Zwar ist es in Österreich und Deutschland auch Aufgabe der Wirtschaftsprüfer, Abschlußprüfungen vorzunehmen, doch sind Adressaten des Prüfberichtes nicht interessierte Dritte, sondern die gesetzlichen Vertreter und der Aufsichtsrat des Unternehmens.
Die belangte Behörde vertritt die Auffassung, daß Art11 Abs5 der Richtlinie 98/5/EG betreffend die Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in einem anderen Mitgliedstaat durch §21c RAO umgesetzt wurde. Bei diesem (im Administrativverfahren nicht unumstrittenen) Verständnis der innerstaatlichen Norm stellt sich weiters die Frage, in welchem Verhältnis die Erwägungen im Urteil Wouters, die auf die Unvereinbarkeiten unterschiedlicher Berufsrechte abstellen, zur Richtlinie stehen.
Fraglich ist (vor dem Hintergrund der Gewährleistung der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit) überdies, ob es sich in Art11 Abs5 der Richtlinie, dem Wortlaut folgend, um eine alternative Aufzählung der darin genannten Kriterien für das Vorliegen einer multidisziplinären Gruppe handelt.
Die hier aufgeworfenen Fragen der Auslegung des Gemeinschaftsrechts waren für die Entscheidung der OBDK relevant; sie zu klären ist im Rahmen des dualen Rechtsschutzsystems Sache des EuGH.
Entscheidungstexte
Schlagworte
EU-Recht Richtlinie, EU-Recht Vorabentscheidung, Kollegialbehörde, Rechtsanwälte Berufsrecht, VfGH / InstanzenzugserschöpfungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2003:B614.2001Dokumentnummer
JFR_09969070_01B00614_01