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58 Berg- und EnergierechtNorm
B-VG Art18 Abs2Leitsatz
Zulässigkeit des amtswegigen Normenprüfungsverfahrens trotz gemeinschaftsrechtlicher Bedenken; kein offenkundiger Verstoß der Norm gegen Gemeinschaftsrecht; Verfassungswidrigkeit der Verordnungsermächtigung der Elektrizitäts-Control GmbH betreffend Stromlieferungsverträge bei Strombezug aus Drittstaaten; im Ergebnis bewirkte Einfuhrsperre für elektrische Energie aus anderen Staaten; Übertragung dieser völkerrechtlichen Maßnahme auf ausgegliederte Rechtsträger verfassungsrechtlich unzulässigRechtssatz
Bestehen Bedenken, dass eine innerstaatliche Norm dem Gemeinschaftsrecht widersprechen könnte, so bildet dies kein Hindernis für die Prüfung dieser Norm nach Art139 bzw Art140 B-VG, es sei denn, dass die Gemeinschaftswidrigkeit offenkundig ist.
Das Mahnschreiben der Europäischen Kommission vom 30.04.03 zeigt gemeinschaftsrechtliche Bedenken gegen die in Prüfung gezogene Bestimmung des §13 Abs2 ElWOG auf, ohne aber dartun zu können, dass die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit offenkundig ist. Die von der Bundesregierung dargelegten Gegenargumente zeigen auf, dass die gemeinschaftsrechtliche Frage nicht bereits durch die Judikatur des EuGH abschließend geklärt ist, sodass der Verfassungsgerichtshof von keinem "offenkundigen" Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht ausgeht, ohne dass er sich im Einzelnen mit den Argumenten auseinanderzusetzen hätte. Da die gemeinschaftsrechtliche Frage auch sonst für die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes unter dem Blickwinkel der nunmehr zu prüfenden Bedenken nicht erheblich ist, war auch von einer Vorlage an den EuGH gemäß Art234 EG Abstand zu nehmen.
§13 Abs2 ElWOG, BGBl I 143/1998 idF BGBl I 121/2000, wird als verfassungswidrig aufgehoben.
Übertragungen von Hoheitsaufgaben an ausgegliederte Rechtsträger sind nur hinsichtlich "vereinzelter Aufgaben" zulässig (vgl. VfSlg 14473/1996 und 16400/2001).
Die Übertragung der Befugnis zur Erlassung genereller Normen an einen Beliehenen ist verfassungsrechtlich besonders sensibel. Dennoch hat die Verfassung die Übertragung der Verordnungserlassung an einen Beliehenen nicht schlechthin ausgeschlossen. Bewegt sich eine solche Übertragung der Aufgaben jedoch in einem Kerngebiet der Staatsaufgaben, wie den außenpolitischen Beziehungen zu anderen Staaten, so ist dies verfassungsrechtlich nicht mehr gedeckt.
§13 Abs1 ElWOG zählt eine Reihe von Kriterien auf, die insgesamt erfüllt sein müssen, damit der Abschluss von Stromlieferungsverträgen mit Unternehmen aus Drittstaaten zulässig ist. Die Sanktion bei Nichterfüllung auch nur eines der Kriterien bezieht sich dann aber nicht auf die einzelnen Erzeuger elektrischer Energie. Von der Sanktion betroffen ist der Drittstaat insgesamt. Nach Abs2 der genannten Bestimmung hat die Elektrizitäts-Control GmbH (nunmehr die Energie-Control GmbH) in der Stromlieferungsvertragsverordnung den Drittstaat zu bezeichnen, auf den die Voraussetzungen des Abs1 zutreffen.
Die in §13 Abs2 ElWOG vorgesehene Verordnungsermächtigung erlaubt im Ergebnis die Verhängung einer Einfuhrsperre für elektrische Energie aus anderen Staaten. Eine solche Einfuhrsperre stellt eine völkerrechtliche Maßnahme dar, die zu schwerwiegenden Beeinträchtigungen der Beziehungen Österreichs zu einem Drittstaat führen kann. Eine Ermächtigung zur Erlassung von Verordnungen solchen Inhalts an einen ausgegliederten Rechtsträger übersteigt den verfassungsrechtlich zulässigen Rahmen und war daher aufzuheben.
(Anlassfälle V67/02 ua, E v 02.10.03, Aufhebung der angefochtenen Stromlieferungsvertragsverordnung).
Entscheidungstexte
Schlagworte
Beleihung, Energierecht, Elektrizitätswesen, EU-Recht Vorabentscheidung, Hoheitsverwaltung, Verordnungserlassung, Völkerrecht, AusgliederungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2003:G121.2003Dokumentnummer
JFR_09968998_03G00121_01