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41 Innere AngelegenheitenNorm
B-VG Art18 Abs1Leitsatz
Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Quotenpflicht für den Familiennachzug auch im Fall des Bestehens eines aus der EMRK abzuleitenden Rechtsanspruches auf Familiennachzug; Sanierung dieser Verfassungswidrigkeit durch die Fremdengesetz-Novelle 2002; Verfassungswidrigkeit der Vorschriften über die Durchführungspraxis der Quotenregelung; keine ausreichende Bestimmtheit hinsichtlich der Verteilung der zur Verfügung stehenden Quotenplätze; Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip mangels Überprüfbarkeit der Kriterien für die Reihung auf der vorgesehenen Warteliste; keine SanierungRechtssatz
Präjudizialität der Verordnungsermächtigung des §18 Abs1 Z3 FremdenG 1997 gegeben.
Die belangte Behörde hatte ihre Entscheidungen (betreffend Zurückweisung der Devolutionsanträge) auch darauf gestützt, dass ab einem gewissen Datum kein Quotenplatz für den Familiennachzug der Beschwerdeführerinnen vorhanden gewesen sei und davon den Lauf der Frist für den Devolutionsantrag abhängig gemacht. Sie hatte daher bei ihren Entscheidungen unter anderem auch die Niederlassungsverordnungen für die Jahre 2001 und 2002 anzuwenden.
Der Verfassungsgerichtshof hat bei der Prüfung von Verordnungen auch jene gesetzliche Bestimmung anzuwenden, die die Grundlage der Verordnungen bildet.
§18 Abs1 Z3 ("Familienangehörigen Drittstaatsangehöriger, die sich vor dem 1. Jänner 1998 in Österreich niedergelassen haben,") FremdenG 1997, BGBl I 75, in der Stammfassung war bis zum 31.12.02 verfassungswidrig.
§18 Abs1 Z3 FremdenG 1997 geht typisch davon aus, dass sich zunächst ein Mitglied der Familie im Inland niederlässt und andere Familienangehörige später (in der Regel nachdem ein Familienmitglied selbst wirtschaftlich und persönlich im Inland Fuß gefasst hat) nachziehen lassen will.
§18 Abs1 Z3 FremdenG 1997 und die darauf beruhenden Verordnungen führen dazu, dass selbst in jenen Fällen, in denen ein Familiennachzug nach Art8 EMRK (im Sinne der Rechtsprechung des EGMR) geboten ist, diese wie jeder andere Familiennachzugsfall behandelt werden. Auch wenn es sich hierbei in der Praxis um sehr wenige Fälle handeln dürfte, sind diese besonders zu berücksichtigen.
Der Verfassungsgerichtshof hat eine präjudizielle Norm losgelöst von den Auswirkungen auf den Anlassfall zu prüfen (mit Judikaturhinweisen).
Die Aufnahme des letzten Satzes in §14 Abs2 iVm der Aufnahme der Ziffer 6 in §19 Abs2 FremdenG durch die FremdenG-Novelle 2002, BGBl I 126, bewirkt seit 01.01.03 nicht nur die Möglichkeit der Erteilung einer Niederlassungsbewilligung aus humanitären Gründen, sondern auch, dass in den dort genannten Fällen auf Grund eines entsprechenden Antrags ein Rechtsanspruch auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung ohne Berücksichtigung von Quoten aus humanitären Gründen besteht.
Da die angefochtenen Bescheide vor dem Inkrafttreten der FremdenG-Novelle 2002 erlassen wurden, ist für sie die Rechtslage vor dem 01.01.03 anzuwenden. Die geänderte Rechtslage bewirkt jedoch, dass die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen §18 Abs1 Z3 FremdenG 1997 weggefallen sind.
§22 FremdenG 1997, BGBl I 75, in der Stammfassung war verfassungswidrig.
§22 FremdenG 1997 sieht vor, dass die Behörden unter bloßer Berufung auf das Nichtvorhandensein eines Quotenplatzes und ohne Bezugnahme auf bestimmte Kriterien für die Reihung auf der durch §22 vorgesehenen Warteliste die Bescheiderlassung zurückzustellen und dies dem Antragesteller formlos mitzuteilen haben, wobei eine Pflicht zu dieser Mitteilung überhaupt erst durch die FremdenG-Novelle 2002 eingeführt wurde. Damit wird dem Antragsteller die Möglichkeit genommen, die Rechtmäßigkeit der Zurückstellung des Abspruchs über seinen Antrag zu überprüfen und im Rechtsmittelweg zu bekämpfen. Diese Vorgehensweise erfüllt nicht die Voraussetzungen eines dem Rechtsstaatsprinzip entsprechenden Verfahrens. Weiters hat der Gesetzgeber - auch wenn man die Notwendigkeit eines gewissen Ermessensspielraumes in diesem Bereich berücksichtigt - nicht im ausreichenden Maß geregelt, wie über zu vergebende Quotenplätze verfügt werden soll. Insofern erweist sich die Regelung auch als unbestimmt.
Das FremdenG 1997 versucht dem Erkenntnis VfSlg 14191/1995 durch Einführung einer Warteliste, die eine jährlich neue Antragstellung bis zur positiven Erledigung vermeidet, zu entsprechen, verhindert aber durch die mangelhafte, unbestimmte Regelung gleichzeitig, dass die Antragsteller in einer einem rechtsstaatlichen Verfahren entsprechenden Weise die Kriterien für die Reihung in der - grundsätzlich dem Verfassungsgebot Rechnung tragenden - Warteliste durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts überprüfen lassen können.
Auf Grund des Zusammenhanges der einzelnen Regelungen in §22 FremdenG 1997 ist die gesamte Bestimmung von der Verfassungswidrigkeit erfasst. Da §22 durch die FremdenG-Novelle 2002 mit Wirkung vom 01.01.03 geändert wurde, war gemäß Art140 Abs4 B-VG auszusprechen, dass §22 in der zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung anzuwendenden Stammfassung verfassungswidrig war.
(Anlassfall B1407/02 ua, E v 08.10.03, Aufhebung der angefochtenen Bescheide; Quasi-Anlassfall B1897/02, E v 08.10.03).
Entscheidungstexte
Schlagworte
Determinierungsgebot, Fremdenrecht, Sanierung, Privat- und Familienleben, Rechtsstaatsprinzip, VfGH / Präjudizialität, RechtsschutzEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2003:G119.2003Dokumentnummer
JFR_09968992_03G00119_01