RS Vfgh 2003/10/9 G41/03 ua

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Veröffentlicht am 09.10.2003
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83 Natur- und Umweltschutz
83/01 Natur- und Umweltschutz

Norm

B-VG Art132
AbfallwirtschaftsG §45a Abs5, Abs7

Leitsatz

Feststellung der Verfassungswidrigkeit der im Abfallwirtschaftsgesetz vorgesehenen Verlängerung einer Anpassungsfrist für einzelne Deponien "durch Verordnung" wegen Verstoßes gegen das bundesverfassungsrechtliche Rechtsschutzsystem

Rechtssatz

§45a Abs5 letzter Satz und die Wortfolge "durch Verordnung" in §45a Abs7 AbfallwirtschaftsG, BGBl 325/1990, idF BGBl I 90/2000 waren verfassungswidrig.

Der Verfassungsgerichtshof hat seinem Verständnis des verfassungsrechtlichen Rechtsschutzkonzepts von jeher die Unterscheidung der Verordnung als eine an die Allgemeinheit überhaupt oder an nach Gattungsmerkmalen bezeichnete Gruppen der Bevölkerung gerichtete Rechtsnorm vom individuellen Verwaltungsakt, dem Bescheid, zugrunde gelegt (mit Judikaturhinweisen). Stets ging er davon aus, dass Bescheide nicht in Form von generellen Normen, also auch nicht in Form von Verordnungen erlassen werden dürfen. "Die Unterscheidung der generellen Verordnung von den individuellen Akten der Vollziehung gehört seit jeher zu den fundamentalen Grundsätzen der demokratischen Verfassung" (vgl VfSlg 1685/1948); "[d]ieser der gesamten Verfassungsrechtsordnung eigentümliche Grundsatz ... wird durch die Vorschriften des B.-VG. über den Verwaltungsgerichtshof und den Verfassungsgerichtshof besonders deutlich" (VfSlg 3820/1960).

Die vom Gesetzgeber in §45a Abs7 Z1 bzw Z2 AbfallwirtschaftsG aufgestellten Bedingungen für eine Verlängerung der Anpassungsfrist an das Deponierungsverbot gemäß §5 Z7 DeponieV, BGBl 164/1996, bis längstens 31.12.08 sind derart beschaffen, dass sie ein rechtlich geschütztes Interesse jedes Deponiebetreibers auf Fristverlängerung im Einzelfall begründen, weil und sodass die Anpassungsfrist für eine bestimmte Deponie lediglich aufgrund einer verfahrensrechtlich abgesicherten, entsprechenden einzelfallbezogenen Feststellung der gesetzlichen Voraussetzungen vom Landeshauptmann verlängert werden darf.

Das bundesverfassungsrechtliche Rechtsschutzsystem wird vom Gesetzgeber verletzt, wenn er für individuell adressierte verwaltungsbehördliche Akte die Form der Verordnung vorsieht.

Dadurch, dass der Gesetzgeber die Einzelfallentscheidung der Verlängerung der Anpassungsfrist für einzelne Deponien ausdrücklich einer Verordnung vorbehielt, hat er in verfassungswidriger Weise seine Rechtsschutzverpflichtung gegenüber einer im Einzelfall abweislich entscheidenden oder rechtswidrigerweise überhaupt untätig gebliebenen Verwaltung (vgl Art132 B-VG) verletzt.

Mangels eines für die verwaltungsbehördliche Einzelfallentscheidung gesetzlich (anstelle der Verordnung) vorgesehenen Bescheides kann verfassungswidrigerweise die negative Entscheidung ebenso wenig wie die Untätigkeit der Verwaltung auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüft werden.

Angesichts der den Deponiebetreibern erwachsenden und durch Verwaltungsakt des Landeshauptmannes hinsichtlich ihrer Befristung erstreckten Anpassungspflichten ist der Bundesregierung auch nicht zu folgen, wenn sie darin eine in Verordnungsform zu treffende, weil "sachbezogene" oder planerische Regelung sieht.

Auch die dem Landeshauptmann aufgetragene "Bedachtnahme auf die wasser- und abfallwirtschaftlichen Erfordernisse" kann keinesfalls eine ausschließlich im öffentlichen Interesse gelegene und daher durch generelle Norm zu treffende Entscheidung des Landeshauptmannes begründen.

Dieselben verfassungsrechtlichen Bedenken treffen auch auf den letzten Satz des §45a Abs5 AbfallwirtschaftsG zu, weil durch diese Norm ein Antrag des jeweiligen Deponiebetreibers auf Fristerstreckung hinsichtlich des Verbots der Deponierung und damit eine bescheidmäßige Verlängerung der Anpassungsfrist vom Gesetzgeber zugunsten der durch §45a Abs7 AbfallwirtschaftsG vorgesehenen und als verfassungswidrig erkannten Verordnung ausgeschlossen wird.

(Anlassfall B1676/01 ua, E v 09.10.03, Aufhebung der angefochtenen Bescheide).

Entscheidungstexte

  • G 41/03 ua
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 09.10.2003 G 41/03 ua

Schlagworte

Abfallwirtschaft, Grundprinzipien der Verfassung, demokratisches Grundprinzip, Rechtsschutz, Verordnungsbegriff, Individualgesetz, Maßnahmegesetz, Mülldeponie, Rechtsstaatsprinzip, Säumnis

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2003:G41.2003

Dokumentnummer

JFR_09968991_03G00041_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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