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83 Natur- und UmweltschutzNorm
B-VG Art4Leitsatz
Keine Bedenken gegen eine Verordnung betreffend ein Nachtfahrverbot für schwere LKWs auf der Inntalautobahn zur Verringerung der Immissionen und zur Verbesserung der Luftqualität nach dem Immissionsschutzgesetz-Luft; Nachtfahrverbot aufgrund von fachkundigen Untersuchungen als geeignetes, erforderliches und Maß haltendes Mittel anzusehen; kein Verstoß gegen das Gebot der Einheitlichkeit des Wirtschaftsgebietes; keine Verletzung der Erwerbsausübungsfreiheit, des Eigentumsrechts und des Gleichheitssatzes; kein Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht im Hinblick auf die Luftreinhalte-Rahmenrichtlinie; keine Verletzung der WarenverkehrsfreiheitRechtssatz
Keine Bedenken gegen die 1. LKW-NachtfahrverbotsV betreffend ein Nachtfahrverbot für Schwerfahrzeuge auf einem Teilbereich der A 12 Inntalautobahn, BGBl II 349/2002 idF BGBl II 423/2002.
Dass ein Nachtfahrverbot für schwere LKWs ein geeignetes, erforderliches und auch Maß haltendes Mittel darstellt, weitere Grenzwertüberschreitungen für NO2-Emissionen im Sanierungsgebiet zu vermeiden, ergab sich für die zuständige Behörde aus einer Reihe von Untersuchungen, insbesondere aus der Studie "Immissionsklimatische Analyse der Grenzwertüberschreitungen für NO2 an der Messstelle Vomp im Dezember 1999 und Szenarien zu deren Vermeidung", erstellt im Auftrag der Tiroler Landesregierung, April 2002.
Die Grenzen des Sanierungsgebiets der A 12 Inntalautobahn in den Gemeindegebieten von Kundl und von Ampass ergaben sich aus jenem Bereich, für den die Immissionsmessstelle Vomp aussagekräftig ist. Die Abgrenzung wurde fachlich untermauert durch eine Ausbreitungsberechnung.
Schon wegen des prognostischen Charakters der gemäß §10 ImmissionsschutzG-Luft "[z]ur Erreichung der Ziele dieses Bundesgesetzes" zu verordnenden Maßnahmen muss es für deren Gesetzmäßigkeit genügen, wenn zum Zeitpunkt der Erlassung der Verordnung entsprechend fachkundige Untersuchungen vorliegen, in denen Eignung, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der betreffenden Maßnahmen sachverständig als wahrscheinlich begründet werden. Der zur Erlassung eines Nachtfahrverbots gemäß §14 Abs1 Z1 ImmissionsschutzG-Luft zum Zwecke der Reduzierung grenzwertüberschreitender Immissionen zuständige Landeshauptmann von Tirol hat mit der Einholung der näher bezeichneten Expertisen den gesetzlichen Anforderungen des ImmissionsschutzG-Luft zur Genüge entsprochen.
Für den zeitlich beschränkten Geltungsbereich der hier präjudiziellen
1. LKW-Nachtfahrverbotsverordnung, die mit Ablauf des 31.05.03 außer Kraft trat, lagen demgemäß die notwendigen gesetzlichen Voraussetzungen vor.
Keine Anhaltspunkte für eine wesentliche Änderung der Entscheidungsgrundlagen vor dem Außer-Kraft-Treten.
Von einer die Einheit des Bundesgebiets als Wirtschaftsgebiet beschränkenden Regelung kann auch bei einem auf das ImmissionsschutzG-Luft gestützten Nachtfahrverbot für Schwerfahrzeuge keine Rede sein. Dieses Verbot bewirkt nämlich keine nach Art4 B-VG verbotene "gebietsabsperrende Verkehrsbeschränkung" (vgl VfSlg 11493/1987).
Erst recht begegnet das ImmissionsschutzG-Luft selbst - jedenfalls in seiner Grundkonzeption - keinen Bedenken ob seiner Verfassungsmäßigkeit, weil die danach zu setzenden Verwaltungsmaßnahmen durch das öffentliche Interesse an der Verringerung von Luftschadstoffen (vgl §1 Abs1) legitimiert sind und der Grundsatz ihres Maß haltenden Einsatzes vom Gesetz (vgl §11 Z3 bis Z5) selbst normiert wird.
Das ImmissionsschutzG-Luft sowie die darauf gestützten Maßnahmen zur Wahrung der Luftgüte wurden in Umsetzung europarechtlicher Vorschriften, nämlich der Luftreinhalte-Rahmenrichtlinie 96/62/EG über die Beurteilung und die Kontrolle der Luftqualität und u.a. der
1. Luftreinhalte-Tochterrichtlinie 1999/30/EG über Grenzwerte für Schwefeldioxid, Stickstoffdioxid und Stickstoffoxide, Partikel und Blei in der Luft, idF 2001/744/EG, erlassen und ergriffen.
Vorrang der Erwägungen des Umwelt- und Gesundheitsschutzes vor wirtschaftlichen Erwägungen (Beschluss des Präsidenten des EuGH vom 02.10.03, Rs C-320/03, Kommission/Österreich, Rz 58f, zum sektoralen Fahrverbot auf der A 12 Inntalautobahn).
Da gemäß Art30 EG die Bestimmungen der Art28 und Art29 EG über die Warenverkehrsfreiheit Beschränkungen nicht entgegenstehen, die ua zum Schutze der Gesundheit und des Lebens von Menschen, Tieren und Pflanzen gerechtfertigt sind und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen, stehen in Verbindung mit der sekundärrechtlichen Norm der Luftreinhalte-Rahmenrichtlinie die Vorschrift des ImmissionsschutzG-Luft ebenso wie die danach ergriffene, dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügende Maßnahme des Nachtfahrverbots für LKW zur Sicherung der Luftgütequalität im Einklang mit den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben.
Zurückweisung der Anträge auf "Erteilung der Ausnahmegenehmigung" als unzulässig, weil der Verfassungsgerichtshof gemäß Art144 B-VG nicht zu einer reformatorischen Entscheidung in der Verwaltungssache selbst nach Art einer Rechtsmittelinstanz berufen ist (VfSlg 14510/1996 mwN).
Entscheidungstexte
Schlagworte
Erwerbsausübungsfreiheit, EU-Recht, EU-Recht Richtlinie, Straßenpolizei, Fahrverbot, Umweltschutz, Wirtschaftsgebietseinheit, VfGH / Zuständigkeit, VfGH / Prüfungszeitpunkt, VfGH / Prüfungsmaßstab, Geltungsbereich (zeitlicher) einer Verordnung, Anpassungspflicht (des Normgebers)European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2003:B251.2003Dokumentnummer
JFR_09968873_03B00251_01