RS Vfgh 2003/12/1 G298/02 ua

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Veröffentlicht am 01.12.2003
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Index

65 Pensionsrecht für Bundesbedienstete
65/02 Besonderes Pensionsrecht

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art89 Abs2
B-VG Art140 Abs1 / Allg
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsgegenstand
StGG Art5
EMRK 1. ZP Art1
Bundesbahn-PensionsG (Art12 PensionsreformG 2001)
Bundesbahn-PensionsG §1 Abs1
Bundesbahn-PensionsG §38
Bundesbahn-PensionsG §52
BundesbahnG 1992 §21 Abs2

Leitsatz

Keine Verfassungswidrigkeit des ÖBB-Pensionsgesetzes; Eigentumseingriff durch das die Ruhestandsversetzung und die Pensionsansprüche von ÖBB-Bediensteten regelnde, unmittelbar in vertraglich begründete, privatrechtliche Dienstverhältnisse eingreifende Bundesbahn-Pensionsgesetz; Eigentumsbeschränkung im öffentlichen Interesse gelegen und nicht unverhältnismäßig; keine verfassungswidrige Verweisung auf die Allgemeinen Vertragsbedingungen für Dienstverträge bei den ÖBB; keine rückwirkende Regelung des Todesfallbeitrags

Rechtssatz

Zulässigkeit eines sogenannten "Drittelantrags" von Nationalratsabgeordneten auf Aufhebung des Bundesbahn-PensionsG, BGBl I 86/2001 idF BGBl I 87/2002 und BGBl I 119/2002, trotz zwischenzeitig stattgefundener Neuwahlen.

Ein solcher Antrag ist jedoch als Fall einer abstrakten Normenkontrolle nur gegen geltende, nicht aber gegen schon außer Kraft getretene Rechtsvorschriften zulässig.

Zurückweisung des zu G298/02 protokollierten Antrags, insoweit er sich auf §37 Abs1 und Abs2 und §53b Bundesbahn-PensionsG bezieht, da diese Bestimmungen mit 21.08.03 außer Kraft getreten sind (vgl Art18 BudgetbegleitG 2003, BGBl I 71).

Die Bedenken der antragstellenden Abgeordneten gehen auf das Wesentliche zusammengefasst dahin, dass das Bundesbahn-PensionsG - in behaupteter Maßen verfassungswidriger Weise - privatrechtliche Ansprüche der Bediensteten der ÖBB in gesetzliche umgewandelt und dadurch in die Privatautonomie der ÖBB-Bediensteten durch die Beseitigung vertraglicher Ansprüche eingegriffen habe. Dieser Vorwurf richtet sich als solcher gegen jede einzelne Bestimmung des bekämpften Bundesbahn-PensionsG; sollte er zutreffen, so könnte die gegebene Verfassungswidrigkeit allein durch Aufhebung des gesamten Bundesbahn-PensionsG beseitigt werden.

Angesichts dessen verschlägt es auch nichts, dass der Antrag, insoweit er auf dem Vorwurf gründet, das Bundesbahn-PensionsG habe die bisher bestehenden privatrechtlichen Ansprüche der Bediensteten der ÖBB "gleichzeitig [auch] verschlechtert", nicht sämtlichen Prozessvoraussetzungen genügt (Verpflichtung zur Darlegung der Bedenken im Einzelnen).

Zulässigkeit von Anträgen des OGH auf Aufhebung des Bundesbahn-PensionsG.

In den Anlassverfahren geht es jeweils um die im Klagswege begehrte Feststellung, dass sich der Pensionsanspruch des Klägers gegenüber der beklagten Partei, den ÖBB, weiterhin nach der Bundesbahn-PensionsO 1966 bestimme und dass die Regelungen des Bundesbahn-PensionsG nicht zum Vertragsinhalt der zwischen den Streitteilen vereinbarten Pensionszusage geworden seien bzw. auf diese keine verschlechternde normative Wirkung entfalteten.

Im Hinblick darauf ist es nicht denkunmöglich, wenn der Oberste Gerichtshof offenbar davon ausgeht, dass in den Anlassverfahren das gesamte Bundesbahn-PensionsG als eine Voraussetzung des vom OGH zu fällenden Urteiles in Betracht kommt.

Zurückweisung des zu G35/03 protokollierten Antrags, insoweit er über die Anfechtung des §1 Abs1 und des §38 Abs1 lita Bundesbahn-PensionsG hinausgeht.

In diesem Anlassverfahren geht es um das von der Klägerin, der Witwe nach einem ÖBB-Bediensteten des Ruhestandes, an die ÖBB gerichtete Begehren auf Zahlung des Todesfallbeitrages in näher bestimmter Höhe. Im Hinblick darauf hätte der OGH in diesem Verfahren §1 Abs1 iVm §38 Abs1 lita Bundesbahn-PensionsG (betreffend den Ausspruch des überlebenden Ehegatten auf Todesfallbeitrag) anzuwenden. Der genannte Antrag ist daher nur insoweit zulässig.

Das Bundesbahn-PensionsG (vgl §1 Abs1) bewirkt eine Änderung des vertraglich begründeten, privatrechtlichen Dienstverhältnisses zwischen näher bezeichneten Bediensteten und den ÖBB, ungeachtet des Umstandes inwieweit dieses Dienstverhältnis im Übrigen inhaltliche Änderungen erfährt, was jedenfalls hinsichtlich der Voraussetzungen für die Versetzung in den dauernden Ruhestand sowie hinsichtlich der Bemessung der Ruhe- und Versorgungsbezüge der Fall ist.

Ein Gesetz, das wie das hier angefochtene einen privatrechtlichen Vertrag in der dargestellten Weise unmittelbar verändert, greift allein schon dadurch in das durch Art5 StGG und Art1 des 1. ZP EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Eigentumsrecht beider Vertragsteile ein (vgl VfSlg 14075/1995). Ein Eigentumseingriff wäre in einem solchen Fall selbst dann gegeben, wenn (auch) die aus dem Vertrag erfließenden Rechte und Pflichten des Dienstgebers bzw. des Dienstnehmers inhaltlich keine Änderung erführen.

Das Bundesbahn-PensionsG greift somit in das Eigentumsrecht der beiden Vertragsteile ein. Es bildet eine Eigentumsbeschränkung.

Keine Enteignung.

Eine Enteignung liegt dann vor, wenn eine Sache durch Verwaltungsakt oder unmittelbar kraft Gesetzes dem Eigentümer zwangsweise entzogen und auf den Staat, eine andere Körperschaft oder eine gemeinnützige Unternehmung übertragen wird oder wenn daran auf gleiche Weise fremde Rechte begründet werden (vgl etwa VfSlg 11209/1987).

Der privatrechtliche Charakter des zwischen den ÖBB und den in Rede stehenden Bediensteten bestehenden Dienstverhältnisses erfährt als solcher keine Änderung.

Auch die bis zum Inkrafttreten des Bundesbahn-PensionsG bestehende Rechtslage (vgl die Bundesbahn-PensionsO 1966, BGBl 313 - eine nach Privatrecht zu beurteilende Vertragsschablone, die die Grundlage für die Gestaltung der privatrechtlichen Dienstverhältnisse der ÖBB-Bediensteten bildete und mit Abschluss der Einzeldienstverträge rechtlich wirksam wurde - bzw die sogenannte "Jeweilsklausel" - ein in die Dienstverträge aufgenommener Verweis auf die für die Beamten der ÖBB geltenden Bestimmungen in der jeweils gültigen Fassung) bot für den einzelnen Bediensteten der ÖBB im Ergebnis keine Gewähr für die Unabänderbarkeit seiner pensionsrechtlichen Position.

Der Gesetzgeber verfolgte im Wesentlichen folgende Ziele:

-

die finanzielle Belastung des Bundes zu reduzieren, die aus dessen gemäß §21 Abs2 BundesbahnG 1992 bestehender Verpflichtung resultiert, den Pensionsaufwand für die Ruhe- und Versorgungsgenussempfänger der ÖBB zu tragen;

-

dem Umstand Rechnung zu tragen, dass ohne eine gesetzliche Regelung des Pensionsrechts der hier in Rede stehenden ÖBB-Bediensteten sowie ihrer Hinterbliebenen und Angehörigen die Unternehmensleitung der ÖBB in dieser Hinsicht andere Ziele verfolgen könnte als der Bund, dieser aber den daraus resultierenden Pensionsaufwand zu tragen hätte;

-

die Voraussetzungen dafür zu schaffen, das Pensionsrecht auch für diese Bediensteten gesetzlich gestalten zu können, insbesondere um eine allenfalls angestrebte Harmonisierung der Pensionssysteme zu ermöglichen bzw. zu erleichtern.

Im Hinblick darauf kann der Einschätzung des Bundesgesetzgebers nicht entgegengetreten werden, dass die mit dem Bundesbahn-PensionsG verbundene Eigentumsbeschränkung im öffentlichen Interesse liegt.

Die bekämpfte Regelung erscheint auch nicht unverhältnismäßig.

Die nunmehrige bundesgesetzliche Regelung ist nicht beliebig abänderbar, zumal auch (künftige) Änderungen dieses Bundesgesetzes dem aus dem Gleichheitssatz abzuleitenden verfassungsrechtlichen Vertrauensschutz unterliegen.

§1 Abs1 Bundesbahn-PensionsG enthält, insoweit er auf die Allgemeinen Vertragsbedingungen für Dienstverträge bei den Österreichischen Bundesbahnen (AVB) Bezug nimmt, keine Verweisung auf eine andere Norm, sondern eine Anknüpfung an bestimmte Sachverhalte, nämlich an Dienstverhältnisse (an den Inhalt von Dienstverträgen), die zu bestimmten, in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkten zu den ÖBB bestanden. Angesichts dessen ist der Umstand, dass die AVB bloß im Nachrichtenblatt der ÖBB Generaldirektion (13. Stück/1995, 249 bis 296) kundgemacht sind, im Hinblick auf das Rechtsstaatsprinzip nicht bedenklich.

Die hinsichtlich des Todesfallbeitrages für Hinterbliebene von ÖBB-Bediensteten des Ruhestandes geltende Rechtslage erfuhr durch §38 Abs1 iVm §52 Abs2 Bundesbahn-PensionsG, idF BGBl I 86/2001, keine rückwirkende inhaltliche Veränderung. Vielmehr war die vordem geltende Regelung, die sich aus §38 Abs1 iVm §62 Abs4 und Abs5 Bundesbahn-PensionsG, BGBl I 95/2000, idF des Art64 Z2 und Z8 BudgetbegleitG 2001, BGBl I 142/2000, ergab, identisch.

Entscheidungstexte

  • G 298/02 ua
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 01.12.2003 G 298/02 ua

Schlagworte

Bundesbahnen, Bundesbahnbedienstete, Eigentumsbeschränkung, Enteignung, Geltungsbereich (zeitlicher) eines Gesetzes, Übergangsbestimmung, Privatrecht - öffentliches Recht, Rechtsstaatsprinzip, Vertrauensschutz, Verweisung, VfGH / Bedenken, VfGH / Präjudizialität, VfGH / Prüfungsgegenstand, VfGH / Prüfungsumfang, Pensionsrecht, Rückwirkung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2003:G298.2002

Dokumentnummer

JFR_09968799_02G00298_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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