RS Vfgh 2003/12/4 G287/02 ua

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Veröffentlicht am 04.12.2003
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Index

L3 Finanzrecht
L3703 Lustbarkeitsabgabe, Vergnügungssteuer

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art18 Abs1 / Bes
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsumfang
VStG §1 Abs2
WAO §164
Wr VergnügungssteuerG 1987 §19

Leitsatz

Bestimmungen des Wiener Vergnügungssteuergesetzes über die Strafbarkeit von Abgabenverkürzungen durch Verletzung der Anmelde- bzw Anzeigepflicht und Nichtentrichtung der Abgabe hinreichend determiniert; Gleichheitswidrigkeit der Bestimmung über den Eintritt der Strafbarkeit bereits bei bloßem Zahlungsverzug ohne Verletzung von Erklärungs- oder Anmeldepflichten infolge eines exzessiven Mißverhältnisses zwischen Sanktionen und Gesetzesverstoß im Hinblick auf den nach der Wiener Abgabenordnung zusätzlich zu verhängenden Säumniszuschlag; keine Differenzierung zwischen Spielapparaten und anderen vergnügungssteuerpflichtigen Tatbeständen; teilweise Zurückweisung der Anträge des UVS Wien und des VwGH mangels Präjudizialität

Rechtssatz

Teilweise Zulässigkeit der Anträge des UVS Wien und des VwGH auf Aufhebung von Teilen des §19 Wr VergnügungssteuerG 1987.

Da die Novelle zum Wr VergnügungssteuerG 1987, LGBl 8/2001, die Rechtslage für den Täter durch die Abrundung der Strafbeträge in §19 Abs1 und Abs2 Wr VergnügungssteuerG 1987 günstiger gestaltet, und die in den hg zu G287/02, G288/02, G374/02, G94/03, G97/03 und G98/03 protokollierten Verwaltungsverfahren erlassenen Bescheide erster Instanz nach Inkrafttreten dieser Bestimmung (01.01.02) erlassen wurden, hat der UVS Wien in diesen Anträgen zulässigerweise - teilweise - §19 Wr VergnügungssteuerG 1987 idF LGBl 8/2001 angefochten.

Die Wiener Landesregierung meint zum Antrag G94/03, der UVS Wien müßte - im Hinblick auf das Vorliegen des Strafaufhebungsgrundes der Selbstanzeige - der Berufung stattgeben und die Strafverfahren einstellen; damit könne die angefochtene Bestimmung nicht präjudiziell sein. Dem kann schon deswegen nicht gefolgt werden, weil der Verfassungsgerichtshof dadurch den UVS Wien an eine bestimmte Rechtsauslegung binden und damit indirekt seiner Entscheidung in der Hauptsache vorgreifen würde.

Die Annahme des UVS und des VwGH, zwischen §19 Abs1 und Abs2 Wr VergnügungssteuerG 1987 bestehe ein untrennbarer Zusammenhang, ist nicht vorderhand denkunmöglich.

Abweisung der Anträge hinsichtlich §19 Abs1 erster Satz Wr VergnügungssteuerG 1987 idF LGBl 73/1990 bzw LGBl 8/2001.

§19 Wr VergnügungssteuerG 1987 unterscheidet zwischen Handlungen oder Unterlassungen, durch welche die Steuer verkürzt wird, einerseits (Abs1) und Übertretungen bestimmter Vorschriften des Wr VergnügungssteuerG 1987, darunter §14 Abs1 und Abs2 sowie §17 Abs1 und Abs3, andererseits. Zu §19 Abs1 Wr VergnügungssteuerG 1987 hat der Verwaltungsgerichtshof in langjähriger und einheitlicher Rechtsprechung die Auffassung vertreten, daß dieser Tatbestand ein Verhalten voraussetze, durch welches die Steuer verkürzt werde. Das Verhalten und die Verkürzung müßten in einem unmittelbaren Kausalzusammenhang stehen. Das tatbildmäßige Verhalten nach §19 Abs1 Wr VergnügungssteuerG 1987 "setzt somit die vom Abgabepflichtigen zu vertretende Verletzung der Anmelde- bzw. Anzeigepflicht, wodurch die Abgabenbehörde in Unkenntnis abgabenrechtlich bedeutsamer Tatsachen bleibt, und die Nichtentrichtung der im Wege der Selbstbemessung ermittelten Abgaben am Fälligkeitstag voraus. Eine Abgabenverkürzung liegt demnach dann vor, wenn die Abgabe unter Verletzung einer Anmeldepflicht nicht zu den vorgesehenen Terminen entrichtet wird" (VwGH vom 16.12.99, Zl 97/15/0172, ua).

Vor dem Hintergrund dieser (schlüssigen) Judikatur, der auch die Praxis der Abgabenbehörden folgt, ist aber davon auszugehen, daß die in §19 Abs1 Wr VergnügungssteuerG 1987 genannten Handlungen und Unterlassungen, durch welche die (Vergnügungs)Steuer verkürzt wird, im Wr VergnügungssteuerG 1987 selbst hinreichend bestimmt sind. Dann bestehen aber unter dem Aspekt des Art18 B-VG gegen §19 Wr VergnügungssteuerG 1987, speziell gegen die Abgrenzung der Straftatbestände nach Abs1 einerseits und Abs2 andererseits, keine Bedenken.

Feststellung der Verfassungswidrigkeit sowie Aufhebung der Wortfolge "und 17 Abs1 und 3" in §19 Abs2 Wr VergnügungssteuerG 1987 idF LGBl 44/1990 bzw LGBl 8/2001.

Mit der Strafdrohung des §19 Abs2 Wr VergnügungssteuerG 1987 werden - im Gegensatz zu Abs1 - vor allem jene Fälle unter Strafe gestellt, bei denen zwar keine Erklärungs- oder Anmeldepflichten verletzt werden, jedoch die Steuer zu den vorgeschriebenen Fälligkeitsterminen nicht entrichtet wird. Die Strafdrohung betrifft somit insoweit die bloße Nichtentrichtung (oder Minderentrichtung) der Abgabe zum Fälligkeitstag ohne Verletzung einer Anmelde- bzw. Erklärungspflicht (vgl VfSlg 16564/2002).

§164 WAO sieht bei Nichtentrichtung der Abgabe zum Fälligkeitstermin zwingend die Verhängung eines Säumniszuschlages in Höhe von 2 vH und damit eine vom Verschulden und von der strafrechtlichen Wertung unabhängige Sanktion für die bloße Versäumung von Zahlungsfristen vor.

Hat der Gesetzgeber aber - verfassungsrechtlich unbedenklich - die bloße Versäumung von Zahlungsterminen ohnehin mit fixen, vom Ausmaß und den Ursachen der Säumnis unabhängigen materiellen Folgen verknüpft und stellen diese bereits eine adäquate Reaktion auf das Fehlverhalten dar, dann bedürfte die Verhängung weiterer (strafrechtlicher) Sanktionen für dasselbe Verhalten, auch wenn sie für sich gesehen keine "außerordentliche Härte" darstellen, besonderer Gründe, käme es doch andernfalls zu einer unverhältnismäßigen und daher unsachlichen Reaktion auf das Fehlverhalten des Abgabepflichtigen. Ein solches Bedürfnis nach (zusätzlicher) strafrechtlicher Sanktionierung hat die Wiener Landesregierung für den Bereich der Vergnügungssteuer auf Spielapparate behauptet. Selbst wenn dies zuträfe, wäre damit eine hinreichende sachliche Rechtfertigung der Norm des §19 Abs2 Wr VergnügungssteuerG 1987 (die eine Differenzierung zwischen Spielapparaten und anderen vergnügungssteuerpflichtigen Tatbeständen nicht kennt) jedoch nicht dargetan. Ist der Behörde der abgabepflichtige Tatbestand bekannt (und davon ist im Anwendungsbereich des §19 Abs2 Wr VergnügungssteuerG 1987 auszugehen), dann kann sie bei Nichtentrichtung zum Fälligkeitstermin einen Säumniszuschlag vorschreiben und die Exekution betreiben. Es ist nicht erkennbar, warum diese Maßnahmen im allgemeinen zur Sicherung des Steueraufkommens nicht hinreichen sollten.

Da §19 Abs2 Wr VergnügungssteuerG 1987 durch den Verweis auf §17 Abs1 und Abs3 leg.cit. die Verhängung zusätzlicher, strafrechtlicher Sanktionen bei bloßem Zahlungsverzug vorsieht und die Strafbarkeit nach der maßgebenden Rechtslage offenbar auch nicht durch die Bekanntgabe des abgabepflichtigen Tatbestandes vermieden werden kann, erweist sich die Norm insoweit als unsachlich und verfassungswidrig.

Entscheidungstexte

  • G 287/02 ua
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 04.12.2003 G 287/02 ua

Schlagworte

Abgaben Fälligkeit, Finanzstrafrecht, Finanzverfahren, Selbstbemessung, Säumniszuschlag, Geltungsbereich (zeitlicher) eines Gesetzes, Anwendbarkeit, Vergnügungssteuer, Verwaltungsstrafrecht, Strafe, VfGH / Präjudizialität, VfGH / Prüfungsmaßstab, VfGH / Prüfungsumfang, Determinierungsgebot

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2003:G287.2002

Dokumentnummer

JFR_09968796_02G00287_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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