RS Vfgh 2003/12/12 A2/01 ua

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Veröffentlicht am 12.12.2003
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Index

10 Verfassungsrecht
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 (B-VG)

Norm

B-VG Art89 Abs2
B-VG Art137 / sonstige zulässige Klagen
B-VG Art137 / sonstige Klagen
B-VG Art137 idF KundmachungsreformG 2004
EMRK Art8
EG Art234
EG Art286, Art287
AHG §2 Abs3
HGB §277 ff idF EU-GesellschaftsrechtsänderungsG
RechnungslegungsG
Datenschutz-Richtlinie 95/46/EG
Richtlinie 97/66/EG über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre im Bereich der Telekommunikation (TK-DatenschutzRL)
Publizitäts-Richtlinie 68/151/EWG
Bilanz-Richtlinie 78/660/EWG
Konzern-Richtlinie 83/349/EWG
Zweigniederlassungs-Richtlinie 89/666/EWG
VfGG §41

Leitsatz

Abweisung von Staatshaftungsklagen in Zusammenhang mit Gerichtsurteilen wegen Verletzung der handelsrechtlichen Offenlegungspflicht; kein qualifizierter Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht durch Unterlassung der Vorlage der Frage der Gültigkeit der Offenlegungsbestimmungen bestimmter EU-Richtlinien durch den OGH; keine Verletzung des Datenschutzes; verfassungsgesetzliche Verpflichtung des OGH zur Stellung eines Gesetzesprüfungsantrags beim Verfassungsgerichtshof keine Frage des Gemeinschaftsrechts und daher keine Begründung einer allfälligen Staatshaftung

Rechtssatz

Zuständigkeit des VfGH zur Entscheidung über Staatshaftungsklagen in Zusammenhang mit Gerichtsurteilen wegen Verletzung der handelsrechtlichen Offenlegungspflicht insoweit, als die behauptete Verletzung des Gemeinschaftsrechts einer Entscheidung des OGH zuzurechnen ist (siehe auch E v 10.10.03, A36/00).

Zurechnung auch der abweisenden Entscheidungen von Oberlandesgerichten zum OGH nach Erhebung von Revisionsrekursen durch die Kläger.

Der OGH meinte, dass eine höchstgerichtliche Entscheidung auch gleichlautende Entscheidungen der Vorinstanzen deckt, weil es sonst mittelbar zu einer Nachprüfung der Rechtmäßigkeit der höchstgerichtlichen Entscheidung käme (OGH 25.08.93, 1 Ob 10/93, JBl 1994, 185; 25.02.97, 1 Ob 2147/96h, EvBl 1997/141). Legt man diese Überlegungen jenen Fällen zu Grunde, bei denen der OGH Rechtsmitteln mit der Begründung keine Folge gibt, dass Probleme des Gemeinschaftsrechtes hinreichend geklärt seien, so sind solche Beschlüsse ebenfalls dem OGH zuzurechnen, auch wenn diese Beschlüsse verfahrensrechtlicher Natur sind und der OGH nicht in der Sache selbst entschieden hat.

Keine Änderung der Zuständigkeit des VfGH durch Art7 Z7 KundmachungsreformG 2004, BGBl I 100/2003.

Der Verfassungsgerichtshof interpretiert die - mehrdeutige und überschießend formulierte - Bestimmung des Art7 Z7 KundmachungsreformG 2004 so, dass durch sie nicht die durch die B-VG-Novelle BGBl 211/1946 in das B-VG eingeführten Artikel, sondern nur die Novellierungsanordnungen und ArtIII und ArtIV der genannten Novelle aufgehoben werden. Dem Verfassungsgesetzgeber ist es aber nicht zusinnbar, dass er ohne jede inhaltliche Erwägung wesentliche Bestimmungen über den Rechtsschutz durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts teils ersatzlos (vgl zB Art130 Abs2 B-VG) teils für einen Zeitraum von vier Jahren [Art137 B-VG wird durch Art1 Z28 des KundmachungsreformG 2004 mit leicht verändertem Text, aber inhaltlich unverändert in das B-VG mit Wirkung vom 01.01.04 (wieder) eingeführt] aufheben wollte.

Abweisung der Klagen.

Umsetzung der von den Klägern so bezeichneten "Offenlegungsrichtlinien" (gemeint die PublizitätsRL, die BilanzRL, die KonzernRL, die ZweigniederlassungsRL) durch das HGB idF des EU-GesellschaftsrechtsänderungsG und das RechnungslegungsG.

Es ist nicht Aufgabe des Verfassungsgerichtshofes, in einem Staatshaftungsverfahren ähnlich einem Rechtsmittelgericht die Richtigkeit der Begründung des OGH zu überprüfen.

Dem OGH kann kein qualifizierter Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht (siehe hiezu auch EuGH v 30.09.03, Rs C-224/01, Köbler) vorgeworfen werden, wenn er dem EuGH nach Art234 EG die Frage der Gültigkeit der Offenlegungsbestimmungen der gesellschaftlichen (Offenlegungs)Richtlinien nicht vorgelegt hat, sondern auf Grund der vom EuGH im Urteil vom 04.12.97, Rs C-97/96, Daihatsu, verwendeten Diktion davon ausging, dass der EuGH sich, hätte er Zweifel an der Gemeinschaftsrechtskonformität der Richtlinien gehegt, einer anderen Argumentation bedient und nicht die Ausweitung des Anwendungsbereichs der Richtlinie verlangt hätte.

Keine Verletzung des Datenschutzes (siehe hiezu Art286 EG, Verschwiegenheitspflicht in Art287 EG; DatenschutzRL 95/46/EG; TK-DatenschutzRL 97/66/EG; Verordnung 45/2001/EG).

Der von den Klägern behauptete umfassende Datenschutz des Gemeinschaftsrechts ergibt sich aus sekundärrechtlichen Vorschriften, insbesondere der DatenschutzRL. Diese Vorschriften stehen auf einer Stufe mit den gesellschaftsrechtlichen Richtlinien und können schon deshalb kein Maßstab dafür sein, ob andere Richtlinien mit dem Primärrecht vereinbar sind.

Umstritten ist, ob Träger des Grundrechtes nach Art8 Abs1 EMRK überhaupt Gesellschaften des Handelsrechtes sein können, insbesondere wenn diese Unternehmensdaten zum Schutz der Rechte Dritter (Art8 Abs2 EMRK), nämlich von Gläubigern und Aktionären offen zu legen sind und keine die Privatsphäre von natürlichen Personen betreffenden Daten offen gelegt werden müssen.

Differenzierung nach Art der Gesellschaft in den Richtlinien und in §221 und §277 ff HGB vorgesehen.

Europäische Charta der Grundrechte noch nicht verbindlich.

Die Pflicht des OGH, einen Antrag auf Gesetzesprüfung beim Verfassungsgerichtshof zu stellen (Art89 Abs2 B-VG) entspringt nicht dem Gemeinschaftsrecht. Selbst eine pflichtwidrige Unterlassung der Antragstellung könnte daher zu keiner Staatshaftung führen, noch könnte eine Haftung auf das Amtshaftungsgesetz gegründet werden (§2 Abs3 AHG). Der Verfassungsgerichtshof hat auch keine Möglichkeit, in diesem Staatshaftungsverfahren von Amts wegen die Verfassungsmäßigkeit der österreichischen Bestimmungen des HGB zu untersuchen, da er sie in diesem Verfahren nicht anzuwenden hat.

Kostenzuspruch an den beklagten Bund.

Dem Bund waren die von der Finanzprokuratur verzeichneten Kosten in dem dem jeweiligen Streitwert entsprechenden Ausmaß zuzusprechen, wobei jedoch die Kosten der Verhandlung nicht für jedes der sechs Verfahren in vollem Umfang zuzusprechen waren. Vielmehr wurden die Kosten für die Verhandlung unter Berücksichtigung des Gesamtstreitwertes und des maximalen Streitgenossenzuschlages von 50 % neu berechnet und auf die einzelnen Verfahren im Verhältnis der Streitwerte verteilt.

Entscheidungstexte

  • A 2/01 ua
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 12.12.2003 A 2/01 ua

Schlagworte

Auslegung Verfassungs-, Amtshaftung, Datenschutz, EU-Recht Richtlinie, EU-Recht Vorabentscheidung, Geltung Gesetz, Novellierung, Handelsrecht, VfGH / Klagen, VfGH / Kosten, VfGH / Prüfungsmaßstab, VfGH / Zuständigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2003:A2.2001

Dokumentnummer

JFR_09968788_01A00002_3_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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