RS Vfgh 2004/2/25 G76/01

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Veröffentlicht am 25.02.2004
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Index

20 Privatrecht allgemein
20/02 Familienrecht

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art89 Abs2
ABGB §1480
EheG §72
VfGG §15 Abs1 und Abs2

Leitsatz

Gleichheitswidrigkeit der im Ehegesetz normierten einjährigen Frist für die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen des geschiedenen Ehegatten im Gegensatz zur allgemeinen dreijährigen Verjährungsfrist für Unterhaltsansprüche im ABGB; keine sachliche Rechtfertigung der Schlechterstellung geschiedener unterhaltsberechtigter Ehegatten gegenüber allen übrigen Unterhaltsberechtigten

Rechtssatz

Zulässigkeit des Antrags des OLG Innsbruck auf Aufhebung des §72 EheG.

Der Antrag bezieht sich nicht ausdrücklich auf Art140 B-VG; er stützt sich jedoch auf Art89 Abs2 B-VG, der zwar nicht zu den in §15 Abs1 VfGG aufgezählten Artikeln des B-VG gehört, der aber die Verpflichtung eines Gerichtes enthält, bei Bedenken gegen ein Gesetz den Verfassungsgerichtshof anzurufen und der in Zusammenhang mit Art140 B-VG zu lesen ist. Damit ist das Erfordernis des §15 Abs2 VfGG erfüllt.

Denkmögliche Annahme des antragstellenden Gerichtes, daß es bei seiner Entscheidung §72 EheG anzuwenden hätte; ausreichende Darlegung der Bedenken iSd §62 Abs1 erster Satz VfGG.

Aufhebung der Wortfolge ", für eine länger als ein Jahr vor der Rechtshängigkeit liegende Zeit jedoch nur, soweit anzunehmen ist, daß der Verpflichtete sich der Leistung absichtlich entzogen hat" in §72 EheG (dRGBl I 807/1938).

Wenn ab Einführung des EheG im Jahr 1938 geschiedene Ehegatten aufgrund des §72 EheG besser gestellt waren als andere Unterhaltsberechtigte, wirkt sich diese Bestimmung seit der Entscheidung des OGH vom 09.06.88, 6 Ob 544/87, SZ 61/143, (wonach Unterhalt auch für die Vergangenheit gefordert werden kann, im Gegensatz zum bis dahin geltenden, aus §1418 ABGB abgeleiteten Grundsatz "nemo pro praeterito alitur") zu ihren Ungunsten aus, da sie im Gegensatz zur dreijährigen Verjährungsfrist des §1480 ABGB - mit Ausnahme, daß der Verpflichtete sich der Leistung absichtlich entzogen hat (hier gilt ebenfalls die Verjährung nach §1480 ABGB) - Ansprüche nur für ein Jahr in die Vergangenheit geltend machen können.

Der Verfassungsgerichtshof hegt im Gegensatz zum antragstellenden Gericht kein Bedenken, daß Unterhalt für die Vergangenheit nur dann geltend gemacht werden kann, wenn der Unterhaltspflichtige in Verzug ist, da Unterhalt für die Vergangenheit nur dann zu leisten sein wird, wenn der Unterhaltspflichtige den Unterhalt in der gesetzlich zustehenden bzw. vereinbarten Höhe nicht erbracht hat; mit anderen Worten, das, was zu leisten wäre, nicht geleistet wurde.

Dem antragstellenden Gericht ist aber zuzustimmen, daß die Position von Unterhaltsberechtigten und Unterhaltspflichtigen sehr stark von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls abhängt und daher nicht schematisiert werden kann, sodaß es nicht sachlich gerechtfertigt ist, gerade geschiedene unterhaltsberechtigte Ehegatten in den gesetzlichen Regelungen über die Durchsetzbarkeit ihres Unterhaltsanspruches anders zu behandeln als alle übrigen Unterhaltspflichtigen und sie für die Geltendmachung von Unterhalt aus der Vergangenheit auf ein Jahr ab Rechtshängigkeit zu beschränken, somit die Geltendmachung ihrer Ansprüche ungünstiger zu regeln als es §1480 ABGB für alle anderen Unterhaltsberechtigten normiert.

Entscheidungstexte

Schlagworte

VfGH / Formerfordernisse, Zivilrecht, Eherecht, Verjährung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2004:G76.2001

Dokumentnummer

JFR_09959775_01G00076_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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