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66 SozialversicherungNorm
B-VG Art18 Abs2Leitsatz
Aufhebung eines als "Bescheid" bezeichneten, jedoch als Verordnung zu deutenden Verwaltungsaktes betreffend das sogenannte "opting out" der Mitglieder der Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten aus der Pflichtversicherung nach dem GSVG mangels Kundmachung im BundesgesetzblattRechtssatz
Die als "Bescheid" bezeichnete Verordnung der Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom 28.10.99, GZ 21.130/35-2/99, wird als gesetzwidrig aufgehoben.
Der in Prüfung stehende Verwaltungsakt gestaltet nicht nur (und nicht einmal in erster Linie) Rechtsbeziehungen zur gesetzlichen beruflichen Vertretung der Architekten und Ingenieurkonsulenten normativ. Wie auch der Spruch des "Bescheides" zeigt, gestaltet dieser die Rechtssphäre eines unbestimmten Personenkreises - nämlich aller derzeitigen, aber auch aller künftigen Mitglieder der Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten - in der Weise, dass er ihre Ausnahme von der sonst mit der Erteilung der Berufsbefugnis als Ziviltechniker eintretenden Pflichtversicherung gemäß §2 Abs1 Z4 GSVG verfügt. Der "Bescheid" der Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales ist also an einen nach generell-abstrakten Merkmalen umschriebenen Personenkreis adressiert und entfaltet für diesen Personenkreis normative Wirkung.
Die Deutung des Verwaltungsaktes als Verordnung ist auch vor dem Hintergrund des in der Rechtsprechung entwickelten Rechtsschutzkonzeptes und dem daraus für den Gesetzgeber abgeleiteten "Rechtstypenzwang" geboten (mit Judikaturhinweisen).
Würde die für die Ausnahme einer Berufsgruppe von der Pflichtversicherung nach dem GSVG maßgebliche Frage der Gleichwertigkeit der Versorgungseinrichtung ausschließlich in einem Bescheidverfahren entschieden, an dem nur die jeweilige gesetzliche berufliche Vertretung als Partei beteiligt ist, dann stünde den von dieser Entscheidung normativ betroffenen Kammermitgliedern (insbesondere auch der in den zuständigen Kammerorganen überstimmten Minderheit) kein Weg offen, die Frage der Gesetzmäßigkeit der Entscheidung des Bundesministers, von der nach dem Gesetz der Fortbestand ihrer Pflichtversicherung und damit der Standard ihrer künftigen Altersversorgung abhängt - sie sohin in ihrer Rechtssphäre berührt sind - in einem rechtsstaatlichen Verfahren prüfen zu lassen.
§5 GSVG zwingt nicht zu einer Deutung der Erledigung des Bundesministers (nur) als Bescheid, er ist vielmehr einer Auslegung zugänglich, nach welcher der Bundesminister bei Stattgebung des Antrages der gesetzlichen beruflichen Vertretung eine Verordnung zu erlassen hat (vgl VfSlg 13134/1992).
Eine Antragsbefugnis bewirkt dann keinen Eingriff in die Entscheidungsbefugnis des mit der Erlassung des Verwaltungsaktes betrauten Verwaltungsorganes, wenn sie zur Durchsetzung von Interessen dient, die wahrzunehmen der Antragsteller - wie eben auch die Bundeskammer für Architekten und Ingenieurkonsulenten für ihre Mitglieder - berufen ist (vgl zB VfSlg 11469/1987).
Ausreichendes Maß an Publizität des Verwaltungsaktes durch Zustellung an die Bundeskammer sowie die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft.
Der als Verordnung wirkende Verwaltungsakt wäre - wie sich aus §2 Abs2 Z2 BGBlG 1996 ergibt - im Bundesgesetzblatt II kundzumachen gewesen. Da diese Publikation unterblieben ist, erweist sich der Verwaltungsakt als gesetzwidrig kundgemacht und war daher - in Anwendung des Art139 Abs3 litc B-VG - zur Gänze aufzuheben.
Anlassfall: E v 25.02.04, B3/03 - Aufhebung des angefochtenen Bescheides; Quasi-Anlassfälle: E v 03.03.04, B876/03, B878/03 ua.
Schlagworte
Auslegung verfassungskonforme, Bescheidbegriff, Rechtsschutz, Rechtsstaatsprinzip, Sozialversicherung, Pflichtversicherung, Pensionsversicherung, Verordnungsbegriff, Verordnung Kundmachung, Ziviltechniker KammerEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2004:V121.2003Dokumentnummer
JFR_09959775_03V00121_01