RS Vfgh 2004/2/26 G204/03 ua

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Veröffentlicht am 26.02.2004
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Index

72 Wissenschaft, Hochschulen
72/13 Studienförderung

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs3 erster Satz
FamilienlastenausgleichsG 1967 §2 Abs1 litb
StudFG 1992 §17 Abs1, Abs4

Leitsatz

Unsachlichkeit der Regelung des Studienförderungsgesetzes über das Wiedererlangen eines Anspruches auf Studienbeihilfe (bzw Familienbeihilfe) nach einem Studienwechsel bei zügiger Absolvierung des ersten Studienabschnittes infolge Abstellens auf den sachfremden, vom Studierenden nicht beeinflussbaren Umstand der Gliederung des aufgenommenen Studiums in Studienabschnitte; verfassungskonforme Auslegung nicht möglich; Aufhebung auch der Regelung über die Verneinung eines günstigen Studienerfolges bei einem Studienwechsel nach dem dritten Semester infolge geringerer Veränderung der Rechtslage

Rechtssatz

§17 Abs1 Z2 StudFG 1992, BGBl 305, idF BGBl 201/1996, war bis zum Ablauf des 31.08.01 verfassungswidrig.

§17 Abs4 StudFG 1992, BGBl 305, idF BGBl I 23/1999, war verfassungswidrig.

Das StudFG 1992 differenziert beim Kriterium eines günstigen Studienerfolges je nach Art des Studiums derart, daß alle Studierenden, unabhängig von der spezifischen Ausgestaltung ihres Studiums an der jeweiligen Universität, Fachhochschule, Akademie etc, grundsätzlich die Möglichkeit haben, einen günstigen Studienerfolg iSd StudFG 1992 nachweisen zu können.

Von diesem System weicht §17 Abs4 StudFG 1992 idF BGBl I 23/1999, in sachlich nicht begründbarer Weise ab: Diese Bestimmung stellt nämlich ausdrücklich auf die Gliederung eines Studiums in Studienabschnitte ab. Somit ist aber die Möglichkeit, bei einem Wechsel des Studiums nach dem jeweils dritten inskribierten Semester wieder einen Anspruch auf Studienbeihilfe (Familienbeihilfe) zu erlangen, davon abhängig, daß das nunmehr aufgenommene Studium in Studienabschnitte gegliedert ist. Ist dies der Fall und wird der erste Studienabschnitt des neuen Studiums innerhalb der Anspruchsdauer absolviert, so ist ab diesem Zeitpunkt der Anspruch auf Studien- oder Familienbeihilfe wieder gegeben. Ist das neue Studium hingegen nicht in Abschnitte gegliedert, so steht ein Anspruch auf Studien- oder Familienbeihilfe selbst dann nicht zu, wenn das Studium innerhalb der Anspruchsdauer absolviert wird, weil nach Abschluß des Studiums keine Beihilfe mehr (auch nicht rückwirkend) gewährt werden kann. Die Möglichkeit erneuten Studien- oder Familienbeihilfenbezuges wird damit von einem sachfremden und vom Studierenden nicht beeinflussbaren Umstand abhängig gemacht, nämlich von der durch studienrechtliche Erwägungen (und Regelungen) bestimmten Gliederung eines Studiums.

Die dargelegte Differenzierung widerspricht auch der Zielsetzung des Gesetzgebers, eine Motivation der Studierenden erreichen und eine längerfristige Perspektive für Studienwechsler auf den Wiedergewinn der Studienbeihilfe schaffen zu wollen.

Der Verfassungsgerichtshof sieht keine Möglichkeit, §17 Abs4 StudFG 1992 verfassungskonform zu interpretieren.

Eine Interpretation, die unter dem Begriff "Studienabschnitt" auch (beliebige) interne Gliederungen versteht, verbietet sich schon deswegen, weil sie die sachliche Reichweite der Regelung bloß verschieben würde, es aber immer noch Studien geben kann (und auch tatsächlich gibt), in denen nicht einmal interne Gliederungen vorgesehen sind.

Die Grenzen der Aufhebung einer in Prüfung stehenden Gesetzesbestimmung müssen nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes derart gezogen werden, daß einerseits nicht mehr aus dem Rechtsbestand ausgeschieden wird, als Voraussetzung für den Anlaßfall ist, daß aber andererseits der verbleibende Teil keine Veränderung seiner Bedeutung erfährt; da beide Ziele gleichzeitig niemals vollständig erreicht werden können, hat der Verfassungsgerichtshof in jedem Einzelfall abzuwägen, ob und inwieweit diesem oder jenem Ziel der Vorrang vor dem anderen gebührt (vgl. VfSlg. 8461/1978, 10834/1986, 14131/1995). Das gilt grundsätzlich auch für den Fall einer bloßen Feststellung, daß ein Gesetz verfassungswidrig war (VfSlg. 10834/1986).

Der Gesetzgeber hat die Möglichkeit der Wiedererlangung der Studienbeihilfe in §17 Abs4 StudFG 1992 idF BGBl I 23/1999 eingeführt, um Studienwechslern weitere Perspektiven zu öffnen. Bezieht sich die Feststellung der Verfassungswidrigkeit sowohl auf §17 Abs1 Z2 StudFG 1992 idF BGBl 201/1996 als auch auf §17 Abs4 leg cit, so beeinträchtigt der Studienwechsel den Anspruch auf Studien- bzw Familienbeihilfe grundsätzlich nicht; er ist aber davon abhängig, daß im vorhergehenden und letztlich auch im neuen Studium ein günstiger Studienerfolg nachgewiesen wird. Der Gerichtshof ist daher der Auffassung, daß damit die Rechtslage eine geringere Veränderung erfährt als bei Feststellung der Verfassungswidrigkeit allein des §17 Abs4 leg cit, zumal die Feststellung der Verfassungswidrigkeit nur für die Anlaß- bzw Quasianlaßfälle Auswirkungen hat.

(Anlaßfälle B1548/00 ua, E v 12.03.04, Quasi-Anlaßfälle B2161/00 ua und B1483/02, beide E v 03.03.04, Aufhebung der angefochtenen Bescheide).

Entscheidungstexte

  • G 204/03 ua
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 26.02.2004 G 204/03 ua

Schlagworte

Auslegung verfassungskonforme, Hochschulen, Studienbeihilfen, VfGH / Verwerfungsumfang

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2004:G204.2003

Dokumentnummer

JFR_09959774_03G00204_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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