RS Vfgh 2004/3/12 G289/02

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 12.03.2004
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Index

50 Gewerberecht
50/01 Gewerbeordnung

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsumfang
StGG Art6 Abs1 / Erwerbsausübung
BAO §125
EStG 1988 §4 Abs1, Abs3
GewO 1994 §102
WirtschaftstreuhandberufsG

Leitsatz

Aufhebung einer Bestimmung der Gewerbeordnung 1994 über die Beschränkung des gewerblichen Buchhalters auf die Vornahme der Geschäftsbuchhaltung für Betriebe lediglich bis zu einer bestimmten Umsatzsumme wegen Verstoßes gegen den Gleichheitssatz und die Erwerbsausübungsfreiheit; jedoch keine Verfassungswidrigkeit der Beschränkung des gewerblichen Buchhalters auf die Durchführung von Einnahmen- und Ausgabenrechnungen unter Ausschluss einer Bilanzerstellung; kein unverhältnismäßiger Eingriff in die Berufsfreiheit; kein Verstoß gegen das Übermaßverbot durch Einrichtung eines Stufenbaues vom gewerblichen Buchhalter zu den Wirtschaftstreuhandberufen entsprechend der Ausbildung

Rechtssatz

Zulässigkeit des Individualantrags auf Aufhebung zweier Wortfolgen in §102 Abs1 GewO 1994 idF BGBl I 111/2002.

Der Antragsteller ist Inhaber einer aufrechten Gewerbeberechtigung für das Gewerbe des gewerblichen Buchhalters nach §102 GewO 1994. Die bekämpften Gesetzesbestimmungen, die die Ausübung dieses Gewerbes regeln, stehen zu ihm im gegenwärtigen Zeitpunkt in einem derart engen Bezug, dass sie ihn unmittelbar und aktuell beeinträchtigen. Sie hindern ihn, sein Buchhaltergewerbe für bestimmte Kunden, nämlich für Betriebe ab einer gesetzlich festgelegten Umsatzsumme wahrzunehmen und Bilanzen zu erstellen, und greifen insofern aktuell in seine Rechtssphäre ein.

Es schadet für die Antragslegitimation nicht, dass der Antragsteller keine konkreten Angebote nachweist, ihm verbotene gewerbliche Tätigkeiten zu betreiben; ist es doch dem (Verfassungs-)Gesetzgeber keineswegs zusinnbar, zur Begründung einer Prozesslegitimation zu verlangen, dass vom Legitimierten ein gegen die Rechtsordnung verstoßendes Verhalten gefordert wird.

Sind die angefochtenen Wortfolgen verfassungswidrig, so könnte auch der Vergleich der nach deren Aufhebung dann möglicherweise umfänglicheren und deshalb ihrerseits verfassungswidrigen Ausübungsberechtigung des gewerblichen Buchhalters mit jener des Selbständigen Buchhalters nach dem WirtschaftstreuhandberufsG die Prüfung und Aufhebung der angefochtenen Wortfolge nicht verhindern.

Die vom Antragsteller behauptete Verfassungswidrigkeit könnte nur durch Aufhebung der Bestimmungen im beantragten Umfang beseitigt werden.

Aufhebung der Wortfolge "im Rahmen der doppelten Wertgrenzen des §125 der Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 9/1998" in §102 Abs1 erster Satz GewO 1994 idF BGBl I 111/2002.

Die gesetzliche Beschränkung der gewerblichen Buchhalter, die Geschäftsbuchhaltung einschließlich der Lohnverrechnung und der Erstellung der Saldenlisten lediglich für jene Betriebe vornehmen zu dürfen, deren Umsatz sich im Rahmen der doppelten Wertgrenzen des §125 BAO hält, widerspricht dem auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitssatz.

Die dem Buchhalter mit der Gewerbeberechtigung gemäß §102 Abs1 GewO 1994 verliehene Befugnis zur pagatorischen Buchhaltung bis zur Erstellung der Saldenlisten einschließlich der Lohnverrechnung erfordert die gleichen Kenntnisse und Fähigkeiten, gleichgültig, ob sie nun für Betriebe diesseits oder jenseits der (wenn auch verdoppelten) Umsatzgrenzen des §125 BAO erforderlich sind und eingesetzt werden. Schon aus diesem Grunde ist es unsachlich, dem mit entsprechendem Wissen und Können ausgestatteten gewerblichen Buchhalter die Ausübung seines Berufes bei Betrieben mit Umsätzen jenseits der doppelten Wertgrenzen des §125 BAO vorzuenthalten.

Eine gleichheitswidrige Benachteiligung des gewerblichen Buchhalters liegt auch darin, dass ihm für die die Umsatzgrenze übersteigenden Betriebe die Fortsetzung seiner (- der Sache nach noch dazu völlig gleich bleibenden -) Arbeit durch die vom Verfassungsgerichtshof zu prüfende Vorschrift verwehrt wird.

Angesichts der Unsachlichkeit der Regelung ist auch auszuschließen, dass die dadurch bewirkte Einschränkung der Ausübungsberechtigung im öffentlichen Interesse gelegen ist. Die angefochtene Vorschrift verstößt daher auch gegen die Freiheit der Erwerbsbetätigung gemäß Art6 StGG.

Es verstößt hingegen nicht gegen die verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit vor dem Gesetz und auf Erwerbsausübungsfreiheit, wenn der Gesetzgeber die ihm prinzipiell eingeräumte Gestaltungsfreiheit dazu benutzt, gewerbliche Buchhalter vom "Abschluss von Büchern (Erstellung von Bilanzen), ausgenommen im Rahmen der Einnahmen- und Ausgabenrechnung" kraft §102 Abs1 zweiter Satz GewO 1994 auszuschließen.

Der für den Bilanzierer charakteristische Betriebsvermögensvergleich nach §4 Abs1 EStG erfordert die Anwendung von Bilanzierungsgrundsätzen, die für den Einnahmen- und Ausgaben-Rechner gemäß §4 Abs3 EStG keine Relevanz haben.

Für den "Abschluss von Büchern" sind Techniken gefordert, die im Normalfall den Ausbildungsstandard und die berufliche Qualifikation des gewerblichen Buchhalters übersteigen. Die Gewerbeberechtigung dieser Berufsgruppe wurde daher vom Gesetzgeber zu Recht auf den Abschluss von Einnahmen- und Ausgabenrechnungen beschränkt.

Für den Ausbildungsstandard des gewerblichen Buchhalters kennzeichnend hat demnach der Verordnungsgeber in §1 Z1 der Buchhalter-BefähigungsnachweisV bereits das Zeugnis über die erfolgreich abgelegte Buchhalterprüfung als Nachweis der Befähigung für die Ausübung des reglementierten Gewerbes der Buchhalter anerkannt.

Der Gesetzgeber hat im Hinblick auf das besondere volkswirtschaftliche und konsumentenpolitische öffentliche Interesse an den Wirtschaftstreuhandberufen im Allgemeinen, am Beruf des Selbständigen Buchhalters aber im Besonderen die Zulassung zum Beruf des Bilanzbuchhalters den Wirtschaftstreuhandberufen vorbehalten.

Unter Berücksichtigung der im öffentlichen Interesse gelegenen, mit den Wirtschaftstreuhandberufen verbundenen Kautelen liegt kein unverhältnismäßiger Eingriff in die Berufsfreiheit der gleichzeitig mit dem WirtschaftstreuhandberufsG 1999 geschaffenen gewerblichen Buchhalter vor, wenn diese bei ihrer Berufsausübung jenen besonderen Bedingungen nicht unterliegen, dafür aber auch in ihren Berufsbefugnissen eingeschränkt sind.

Der Gesetzgeber wollte einen "Stufenbau" vom gewerblichen Buchhalter zu den Wirtschaftstreuhandberufen schaffen, in dem bewusst als erste Stufe der im Berechtigungsumfang entsprechend seiner Ausbildung eingeschränkte "gewerbliche Buchhalter" gesetzlich eingerichtet wurde. Darin liegt ein das Übermaßverbot des Art6 StGG wahrendes, gleichwohl zur Buchhaltung (ohne Erstellung von Bilanzen) ermächtigendes Berufsbild.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Berufswahl- und Berufsausbildungsfreiheit, Erwerbsausübungsfreiheit, Gewerberecht, Buchhaltung, VfGH / Individualantrag, VfGH / Prüfungsumfang, Wirtschaftstreuhänder

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2004:G289.2002

Dokumentnummer

JFR_09959688_02G00289_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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