TE Vfgh Erkenntnis 2005/10/14 B47/05 ua

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Veröffentlicht am 14.10.2005
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Index

66 Sozialversicherung
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs5 / Fristsetzung
B-VG Art140 Abs3
B-VG Art140 Abs5 / Fristsetzung
B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall
ASVG §123 Abs8 litb
GSVG §83 Abs8
Satzung 2003 der Nö Gebietskrankenkasse §22 Abs1
Satzung 2003 der Sozialversicherungsanstalt der Gewerblichen Wirtschaft §12
VfGG §88

Leitsatz

Diskriminierung gleichgeschlechtlicher haushaltsführender Hausgenossen durch die Mitversicherung lediglich andersgeschlechtlicher Partner in der Krankenversicherung; kein Abstellen auf das Vorhandensein von Kindern; keine sachliche Rechtfertigung dieser Differenzierung nach dem Geschlecht bzw nach der sexuellen Orientierung im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte; Aufhebungsumfang abgestellt auf die Vermeidung rechtspolitischer Entscheidungen des Gerichtshofes betreffend die Definition des Angehörigenbegriffs

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtenen Bescheide weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung verfassungswidriger Gesetze bzw. gesetzwidriger Verordnungen in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerden werden abgewiesen.

Der Bund (Bundesministerin für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit 4.320 €

bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu erstatten.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Der Beschwerdeführer ist als Dienstnehmer in der Krankenversicherung nach dem ASVG pflichtversichert und beantragte im Juli 2004 bei der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse die Anerkennung der Anspruchsberechtigung seines Lebensgefährten als Angehörigen im Sinne des §123 Abs8 litb ASVG. Gleiches beantragte er unter Berufung auf §83 Abs8 GSVG bei der Sozialversicherung der gewerblichen Wirtschaft im Hinblick auf die Pflichtversicherung als geschäftsführender Gesellschafter einer GmbH.

Mit den angefochtenen Bescheiden des Landeshauptmannes von Niederösterreich wird seinen Einsprüchen gegen die abweisenden Bescheide der Sozialversicherungsträger keine Folge gegeben. Die bezogenen Vorschriften sähen (unter den näher festgelegten Bedingungen) nur die Anspruchsberechtigung andersgeschlechtlicher Personen vor.

Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden Beschwerden, die die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten und in Rechten wegen Anwendung verfassungswidriger Gesetzesbestimmungen sowie gesetzwidriger Verordnungsbestimmungen behaupten und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Bescheide begehren.

Aus Anlass dieser Beschwerden leitete der Verfassungsgerichtshof nach Art139 Abs1 und Art140 Abs1 B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit des §22 der Satzung 2003 der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse, Verlautbarung Nr. 5/2003, sowie des §12 der Satzung 2003 der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, Verlautbarung Nr. 61/2003 und der Verfassungsmäßigkeit des §123 Abs8 litb des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes, BGBl. Nr. 189/1955, in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 282/1981, sowie des §83 Abs8 Gewerbliches Sozialversicherungsgesetz, BGBl. Nr. 560/1978, in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 643/1989 ein. Mit Erkenntnis vom 10. Oktober 2005, G87-88/05, V65-66/05, hob er die Bestimmungen als gesetz- bzw. verfassungswidrig auf.

II. Die Beschwerden sind - wie sich aus dem Erkenntnis im Normenprüfungsverfahren ergibt - zulässig. Sie sind aber im Ergebnis nicht begründet:

Die Entscheidung über die Beschwerden hat gemäß Art139 Abs6 bzw. Art140 Abs7 B-VG nach der bereinigten Rechtslage zu erfolgen. Mit dem Wegfall der aufgehobenen Bestimmungen ist aber die Grundlage der Mitversicherung nicht verwandter Personen weggefallen.

Die Beschwerden sind daher abzuweisen (§19 Abs4 erster Satz und Z2 VfGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. Da die Beschwerden insoweit Erfolg hatten, als sie zur Aufhebung der in den Beschwerdefällen präjudiziellen Bestimmungen geführt haben, ist dem Beschwerdeführer der Ersatz der Prozesskosten zuzusprechen (vgl. zB VfSlg. 6505/1971, 14.682/1996, 16.787/2003). In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von 720 € enthalten. Ein Zuspruch der Eingabengebühr in der Höhe von 360 € kam nicht in Betracht, da für Schriftsätze in Angelegenheiten dieser Art §110 ASVG bzw. §46 GSVG die sachliche Abgabenfreiheit anordnet.

Schlagworte

Rechtspolitik, Sozialversicherung, Krankenversicherung, VfGH / Anlaßfall, VfGH / Anlaßverfahren, VfGH / Fristsetzung, VfGH / Kosten, VfGH / Präjudizialität, VfGH / Prüfungsumfang, VfGH / Verwerfungsumfang, Homosexualität, Lebensgemeinschaft

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2005:B47.2005

Dokumentnummer

JFT_09948986_05B00047_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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