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97 VergabewesenNorm
B-VG Art7 Abs1 / VerwaltungsaktLeitsatz
Verletzung im Gleichheitsrecht und im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Zurückweisung eines Antrags auf Feststellung der Nichtigkeit einer innerhalb der gesetzlichen Sperrfrist erfolgten Zuschlagserteilung; Ablehnung der Zuständigkeit des Bundesvergabeamtes in völliger Verkennung der Rechtslage ohne weiteres Ermittlungsverfahren; Verlängerung der Stillhaltefrist durch verspätete Auskunft über die geplante Zuschlagserteilung; keine Vorlagepflicht mangels Vorliegen einer gemeinschaftsrechtswidrigen RechtslageRechtssatz
Das BundesvergabeG enthielt vor der Schaffung des §53a BundesvergabeG durch die Novelle BGBl I 125/2000 keine Regelung, die es den übergangenen Bietern ermöglichte, von der Zuschlagsentscheidung so rechtzeitig Kenntnis zu erlangen, dass sie diese vor Zuschlagserteilung beim Bundesvergabeamt (BVA) anfechten konnten.
Mit §53a Abs1 BundesvergabeG wurde der Auftraggeber verpflichtet, die Zuschlagsentscheidung den Bietern gesondert bekannt zu geben und sie von der Zuschlagserteilung zu trennen: Bei sonstiger Nichtigkeit ist es dem Auftraggeber binnen einer "Stillhaltefrist" (im vorliegenden Fall des beschleunigten Verfahrens: eine Woche) nach Bekanntgabe der Zuschlagsentscheidung untersagt, den Zuschlag zu erteilen. Der Zweck der Bestimmung liegt ganz offenkundig darin, dass dem Bieter die Möglichkeit eröffnet sein soll, die Zuschlagsentscheidung rechtzeitig, also vor Zuschlagserteilung, einer Überprüfung und allfälligen Nichtigerklärung durch das BVA zuzuführen. Um beurteilen zu können, ob der Auftraggeber die Zuschlagsentscheidung rechtens getroffen hat und ihre Bekämpfung aussichtsreich erscheint, kann ein übergangener Bieter auf entsprechende Auskunft durch den Auftraggeber angewiesen sein.
Der Verfassungsgerichtshof erachtet vor dem Hintergrund der in diesem Punkt (nach dem Urteil des EuGH vom 28.10.99, Rs C-81/98, Alcatel Austria AG, Slg 1999, I-07671)) klaren Gemeinschaftsrechtslage eine Auslegung des §53a BundesvergabeG als zwingend, wonach dem Bieter nach Auskunftserteilung (über rechtzeitiges Begehren) jedenfalls noch drei Tage Stillhaltefrist offen stehen müssen. Eine verspätete Auskunftserteilung durch den Auftraggeber muss also zu einer entsprechenden Verlängerung der Stillhaltefrist führen. Ein Verständnis, wonach eine Verletzung der Pflicht zur rechtzeitigen Erteilung der Auskunft für die Wirksamkeit der Zuschlagserteilung "unbeachtlich" sein soll, verkennt den offenkundigen Sinn und Zweck der Bestimmung, weil es diesfalls der Auftraggeber (als Antragsgegner des Verfahrens) in der Hand hätte, ein Nachprüfungsverfahren zu vereiteln oder ins Leere laufen zu lassen.
Dem Nachprüfungsregime des BundesvergabeG ist ein von konkreten Vorwürfen losgelöster Provisorialrechtsschutz fremd: Ein Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung kann nur in Zusammenhalt mit einem entsprechenden Nachprüfungsantrag gestellt werden; ein Nachprüfungsantrag aber hat gemäß §115 Abs5 Z5 BundesvergabeG die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt, zu bezeichnen.
Das Schlichtungsverfahren hat eine andere Aufgabe als die Ermöglichung eines Nachprüfungsverfahrens und der Auftraggeber könnte bei Verletzung seiner Auskunftspflicht auch die in §109 Abs8 BundesvergabeG vorgesehene Stillhaltefrist ins Leere laufen lassen.
Schlagworte
Behördenzuständigkeit, EU-Recht, Vorabentscheidung, Rechtsschutz, Vergabewesen, ErmittlungsverfahrenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2004:B190.2002Dokumentnummer
JFR_09959388_02B00190_2_01