RS Vfgh 2004/6/21 B531/02

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 21.06.2004
beobachten
merken

Index

97 Vergabewesen
97/01 Vergabewesen

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Person juristische
B-VG Art7 Abs1 / Staatsangehörigkeit
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
BundesvergabeG 1997 §15 Z7, §16, §17, §19
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
GewO 1994 §9 Abs1
VfGG §88

Leitsatz

Teilweise Abweisung, teilweise Stattgabe der - zulässigen - Beschwerde ua einer Gesellschaft mit Sitz in Deutschland gegen die Abweisung von Nachprüfungsanträgen bzw eines Antrags auf Nichtigerklärung der gesamten Ausschreibung hinsichtlich des Vergabeverfahrens betreffend die Räumung der Fischer-Deponie; Bescheidbegründung ohne Begründungswert in Bezug auf die Annahme der mangelnden Gewerberechtsfähigkeit von Bietergemeinschaften als Gesellschaften bürgerlichen Rechts, der Forderung des Nachweises der Gewerbeberechtigung sämtlicher Mitglieder einer Bietergemeinschaft, sowie hinsichtlich des Erfordernisses des Vorliegens einer Exportgenehmigung bereits im Zeitpunkt der Angebotslegung

Rechtssatz

Obgleich die erstbeschwerdeführende Gesellschaft eine ausländische juristische Person (mit Sitz in Deutschland) ist, kann sie sich im vorliegenden Fall auf das Gleichheitsrecht berufen. Ihr kommt nämlich die aus ArtI Abs1 des - seinem Wesen nach gleichfalls nicht auf physische Personen beschränkten - BVG-Rassendiskriminierung BGBl 390/1973 abzuleitende, verfassungsgesetzlich geschützte Rechtsposition auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander zu, welche nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes auch dann verletzt ist, wenn die belangte Behörde Willkür geübt hat (vgl VfSlg 14516/1996, 14699/1996, 15074/1998 ua).

Teilweise Abweisung, teilweise Stattgabe einer Beschwerde betreffend die Abweisung von Nachprüfungsanträgen durch das Bundesvergabeamt (BVA) hinsichtlich der Ausschreibung zur Räumung der Fischer-Deponie.

Denkmögliche und nachvollziehbare Begründung hinsichtlich der Spruchpunkte I. (Zulässigkeit der Gesamtvergabe) und III. (Wahl des Vergabeverfahrens) sowie hinsichtlich Spruchpunkt V. (Antrag auf Nichtigerklärung der gesamten Ausschreibung).

Verletzung im Gleichheitsrecht durch die Spruchpunkte II. und IV.

Das BVA hat seine Entscheidung, die in den Teilnahmeunterlagen enthaltene Forderung nach dem Nachweis der Befugnis "Baumeister" für alle Mitglieder einer Bietergemeinschaft als rechtskonform anzusehen (Spruchpunkt II.), damit begründet, dass Gesellschaften bürgerlichen Rechts (wozu auch Bietergemeinschaften zählen würden) keine juristischen Personen iSd §9 Abs1 GewO und sohin nicht gewerberechtsfähig wären.

Ein solches (undifferenziertes) Rechtsverständnis verkennt Sinn und Zweck des Institutes der Bietergemeinschaft im Vergaberecht.

Dass Bietergemeinschaften in Form einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts im Fall der Zuschlagserteilung zwecks Erbringung der beauftragten Leistung jedenfalls eine Arbeitsgemeinschaft zu gründen haben (die Arbeitsgemeinschaft sohin aus der Bietergemeinschaft entsteht), ergibt sich schon aus §17 BundesvergabeG. Im Ergebnis müssen daher für Bietergemeinschaften dieselben Voraussetzungen im Hinblick auf die zu erbringenden Berufsbefugnisse gelten wie für Arbeitsgemeinschaften.

Die im Gesetz angeordnete solidarische Haftung der Mitglieder einer Arbeitsgemeinschaft spricht nicht gegen eine solche Auffassung.

Dass sämtliche Mitglieder einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, die sich allein zum Zweck der Durchführung eines konkreten, einmaligen Projektes bildet, alle insgesamt erforderlichen Gewerbeberechtigungen aufweisen müssen, lässt sich aus der Gewerbeordnung (insbes §9 Abs1) nicht ableiten.

Die vom BVA vertretene Rechtsauffassung reduziert den Anwendungsbereich von Bietergemeinschaften auf Kooperationen zwischen Unternehmen desselben Wirtschaftszweiges, und zwar auch in jenen Fällen, in denen die ausgeschriebene Leistung gänzlich unterschiedliche Fachrichtungen umfasst. Sie steht damit in einem Spannungsverhältnis zum Wettbewerbsprinzip als zentralem Grundsatz des Vergaberechts (§16 Abs1 BundesvergabeG). Im Zusammenhalt mit der vom BVA als zulässig erkannten Gesamtvergabe (und des damit einhergehenden Ausschlusses von Teilvergaben) mit Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides, hat die Auffassung des BVA zur Konsequenz, dass Entsorgungsbetriebe, die nicht gleichzeitig über die Baumeisterbefugnis verfügen, als Mitglied einer Bietergemeinschaft von vornherein ausgeschlossen sind.

Es erscheint dem Verfassungsgerichtshof bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit daher eine differenzierende Sichtweise anhand der ausgeschriebenen Leistung geboten: Ist die Leistung homogen, auf eine bestimmte Unternehmergruppe beschränkt und nicht nach Spartenleistungen zu trennen, dürften im Falle der Angebotslegung durch eine Bietergemeinschaft alle Mitglieder die entsprechende Befugnis nachzuweisen haben. Ist aber - zulässigerweise - eine Gesamtleistung ausgeschrieben, die unterschiedliche Befugnisse in verschiedenen Fachrichtungen erfordert, dürfte lediglich darauf abzustellen sein, dass jedes Mitglied der Bietergemeinschaft die gewerberechtliche Befugnis für den ihm konkret zufallenden Leistungsteil nachzuweisen hat.

Kein echter Begründungswert auch der Ausführungen des BVA zu Spruchpunkt IV., mit dem es einen Antrag der beschwerdeführenden Gesellschaften auf Nichtigerklärung der in den Teilnahmeunterlagen enthaltenen Forderung, dass im Fall einer Verbringung zu nicht in Österreich liegenden Anlagen das Vorliegen einer gültigen Exportgenehmigung spätestens zum Tag der Angebotsabgabe zu erbringen ist, abgewiesen hat.

Das BVA unterlässt es gänzlich, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, wie bereits während eines Vergabeverfahrens zur Räumung einer Deponie ein entsprechendes Notifizierungsverfahren betreffend den erst im Zuge der Räumung zu bergenden Abfall durchgeführt werden kann.

Kosten waren nicht zuzusprechen, da die beschwerdeführenden Gesellschaften mit ihrer Beschwerde nur etwa zur Hälfte erfolgreich waren und dementsprechend zu verpflichten gewesen wären, der mitbeteiligten Partei Bund die Hälfte ihres Kostenaufwandes zu ersetzen. Da der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) seinerseits den beschwerdeführenden Gesellschaften die Hälfte des Pauschalsatzes zu ersetzen gehabt hätte, waren die Kosten gegeneinander aufzuheben (vgl schon VfGH E v 27.06.03, B1044/01).

siehe auch E v 27.09.04, B533/02.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Bescheidbegründung, Bescheid Trennbarkeit, Gewerberecht, Gewerbeberechtigung, Vergabewesen, VfGH / Kosten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2004:B531.2002

Dokumentnummer

JFR_09959379_02B00531_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten