RS Vfgh 2004/9/30 B239/03

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 30.09.2004
beobachten
merken

Index

80 Land-und Forstwirtschaft
80/01 Organisationsrecht

Norm

B-VG Art144 Abs2
VfGG §87 Abs1 idF KundmachungsreformG 2004
EMRK Art6 Abs1 / Verfahrensgarantien
EMRK Art13

Leitsatz

Feststellung einer Verletzung des Rechts auf eine Entscheidung innerhalb einer angemessenen Frist durch überlange Verfahrensdauer in einem Zusammenlegungsverfahren; keine Aufhebung des angefochtenen Bescheides in Folge einer Verschärfung der festgestellten Rechtsverletzung durch weitere Verfahrensverzögerung bei Bescheidaufhebung; im Übrigen Ablehnung der Beschwerde

Rechtssatz

Fragen der Abfindung als civil rights iSd Art6 Abs1 EMRK; Oberster Agrarsenat (OAS) Gericht (Tribunal) iS dieser Verfassungsbestimmung (siehe hiezu E v 12.03.03, B482/01, und E v 11.10.03, B279/03).

Die Angemessenheit der Verfahrensdauer ist nicht abstrakt, sondern im Lichte der besonderen Umstände jedes einzelnen Falles zu beurteilen. Diese ergeben sich aus dem Verhältnis und der Wechselwirkung verschiedener Faktoren wie der Schwierigkeit des Falles, dem Verhalten des Beschwerdeführers, dem Verhalten der staatlichen Behörden und der Bedeutung der Sache für den Beschwerdeführer. Nicht die Verfahrensdauer schlechthin führt zu einer Verletzung des Art6 EMRK, sondern nur eine Verzögerung, die auf Versäumnisse staatlicher Organe zurückzuführen ist (vgl VfSlg 16385/2001 und EGMR 30.10.91, Wiesinger, ÖJZ 1992, 238 ff.).

Keine Beurteilung, wie lange eine Grundzusammenlegung, die eine umfassende Neuverteilung der Grundstücke eines örtlichen Bereichs vornehmen und alle damit verbundenen Einzelfragen lösen muss und "ihrer Natur nach ein komplexer Prozeß ist", insgesamt dauern darf. Es reicht aus, jene Verfahrensabschnitte ab der Verwaltungsgerichtshofsentscheidung aus dem Jahr 1995 zu betrachten, auf die auch die Beschwerde unter Hinweis auf die über Antrag der Beschwerdeführer getroffenen Devolutionsentscheidungen Bezug nimmt. Denn schon (und vor allem) die in diesem Zeitraum stattgefundenen Verzögerungen des Verfahrens stellen eine Verletzung des Gebotes der Entscheidung innerhalb angemessener Frist gemäß Art6 Abs1 EMRK dar.

In Summe haben alle für sich allein jeweils vielleicht noch hinnehmbaren Verzögerungen zu einer gegen Art6 EMRK verstoßenden überlangen Verfahrensdauer geführt. Die Zahl der nach dem aufhebenden Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs zu lösenden Rechts- und Sachfragen war begrenzt und die Zusammenhänge den einschreitenden Behörden aus früheren Verfahrensgängen (seit der ersten Devolution auch dem OAS) bekannt. Unter solchen Bedingungen wiegen unnötige Verzögerungen schwerer und tritt auch die Komplexität eines Zusammenlegungsverfahrens in den Hintergrund. Nachdem das Verfahren bis zur Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs im Jahr 1995 bereits 23 Jahre gedauert hatte, ist es bis zur angefochtenen Entscheidung des OAS vom 04.12.02 innerhalb von acht Jahren zu Verfahrensverzögerungen gekommen, die das Urteil einer überlangen Verfahrensdauer unumgänglich machen.

Das verfassungsgerichtliche Verfahren ist als solches dem überprüften Verfahren, das dem Art6 EMRK entsprechen muss, nicht zuzurechnen. Was aber das Verfahren in der Sache betrifft, haben die Beschwerdeführer selbst dadurch, dass sie nicht Parallelbeschwerde beim Verwaltungsgerichtshof erhoben, sondern nur die verfassungsgerichtliche Beschwerde mit einem Abtretungsantrag verbunden haben, dazu beigetragen, dass eine Prüfung des angefochtenen Bescheides durch den Verwaltungsgerichtshof während dieser Zeit nicht stattfinden konnte.

Abweisung des Antrags auf Aufhebung des angefochtenen Bescheides in Folge einer Verschärfung der festgestellten Rechtsverletzung durch weitere Verfahrensverzögerung bei Bescheidaufhebung.

An der Möglichkeit (der bloßen Feststellung einer Rechtsverletzung) hat auch die Neuformulierung des §87 Abs1 VfGG durch das KundmachungsreformG 2004, BGBl I 100/2003, mangels einer darauf hinweisenden Absicht des Gesetzgebers im Lichte des Rechtes auf eine wirksame Beschwerde (Art13 EMRK) nichts geändert.

Im Übrigen Ablehnung der Beschwerde.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Agrarbehörden, Agrarverfahren, Landesagrarsenat, Oberster Agrarsenat, VfGH / Prüfungsmaßstab, Entscheidung in angemessener Zeit, Verfahrensdauer überlange

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2004:B239.2003

Dokumentnummer

JFR_09959070_03B00239_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten