RS Vfgh 2004/10/1 G171/02 ua

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Veröffentlicht am 01.10.2004
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20 Privatrecht allgemein
20/05 Wohn- und Mietrecht

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
StGG Art5
MietrechtsG §16 Abs8 idF 3. WohnrechtsänderungsG, BGBl I 800/1993
MietrechtsG §44 idF Wohnrechtsnovelle 1999, BGBl I 147/1999
MietrechtsG §49c Abs8 idF Wohnrechtsnovelle 2000, BGBl I 36/2000

Leitsatz

Keine Verfassungswidrigkeit von Übergangsbestimmungen im Mietrechtsgesetz betreffend die Anwendbarkeit der Präklusionsfrist für die Geltendmachung der Unwirksamkeit von Mietzinsvereinbarungen auf Altverträge; keine Überschreitung des rechtspolitischen Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers bei grundlegender Systemumstellung vom Kategoriesystem auf das Richtwertsystem; zulässige rechtspolitische (insbesondere sozialpolitische) Zielsetzung hinsichtlich der Geltendmachung von gesetzwidrigen Mietzinsvereinbarungen zum Nachteil des Mieters über die dreijährige Präklusionsfrist hinaus; geeignetes Mittel zur Erreichung dieses Ziels; keine Unverhältnismäßigkeit; keine Verletzung des Vertrauensschutzes

Rechtssatz

Keine Verfassungswidrigkeit des §44 MietrechtsG idF Wohnrechtsnovelle 1999, BGBl I 147/1999, und des §49c Abs8 MietrechtsG idF Wohnrechtsnovelle 2000, BGBl I 36/2000, wonach die durch das

3. WohnrechtsänderungsG, BGBl I 800/1993, in §16 Abs8 MietrechtsG eingeführte Präklusionsfrist nicht für vor dem 01.03.94 geschlossene Mietzinsvereinbarungen gilt.

Einführung des Richtwertsystems statt des Kategoriesystems durch das

3. WohnrechtsänderungsG; grundlegende Systemumstellung. Keine Überschreitung des rechtspolitischen Gestaltungsspielraums.

Dem Gesetzgeber steht es bei einer Systemumstellung jedenfalls frei, die Anwendung der neu geschaffenen Präklusionsfrist zur Geltendmachung der Unwirksamkeit einer Mietzinsvereinbarung auf das neue System zu beschränken.

Der Verfassungsgerichtshof erblickt keine unsachliche Differenzierung zwischen solchen Vermietern, deren Mieter noch durch rechtzeitige Antragstellung in den Genuss des §44 MietrechtsG idF Wohnrechtsnovelle 1999 zu gelangen trachteten und jenen, denen auf Grund des §49c Abs8 MietrechtsG idF Wohnrechtsnovelle 2000 die Anwendbarkeit des §44 MietrechtsG idF Wohnrechtsnovelle 1999 erspart blieb. Es lag nämlich ausschließlich in der Disposition der Mieter, ob sie während der Geltung des §44 MietrechtsG idF Wohnrechtsnovelle 1999 von der für sie günstigeren alten Rechtslage noch Gebrauch machten oder, aus welchen Gründen auch immer, dies unterließen. Den angefochtenen Normen kann aus diesem Grund keine unsachliche Differenzierung von Vermietern angelastet werden.

Der Verfassungsgerichtshof bezweifelt nicht, dass eine Norm, die eine mittlerweile verjährte privatrechtliche Forderung dadurch wieder aufleben lässt, dass sie die (kurze) dreijährige Verjährungsfrist beseitigt, in das Eigentumsrecht des (von der Verjährung begünstigten) Verpflichteten eingreift und daher im Sinne der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes nur dann verfassungskonform ist, wenn sie einem im öffentlichen Interesse gelegenen zulässigen rechtspolitischen Ziel dient, geeignet ist, dieses Ziel zu erreichen und auch sonst sachlich, insbesondere nicht unverhältnismäßig ist.

Hier: Zulässige rechtspolitische (insbesondere sozialpolitische) Zielsetzung (Zulässigkeit der Geltendmachung von gesetzwidrigen Mietzinsvereinbarungen zum Nachteil des Mieters über die dreijährige Präklusionsfrist hinaus), geeignetes Mittel zur Erreichung dieses Ziels; keine Unverhältnismäßigkeit. Keine Verletzung des Vertrauensschutzes durch rückwirkende Reaktion auf eine Entscheidung eines (obersten) Gerichtes.

Ein (verfassungsrechtlich geschütztes) Vertrauen auf einen bestimmten Inhalt eines Gesetzes kann auch durch die Auslegung entstehen, die ein Gesetz durch die Rechtsprechung erfährt. Selbst die Rechtsprechung eines Höchstgerichtes kann aber als Entscheidung nur von Einzelfällen nicht sofort Vertrauensschutz in demselben Ausmaß beanspruchen, wie eine Maßnahme des Gesetzgebers. An der grundsätzlichen Befugnis des Gesetzgebers, im Rahmen der Verfassung rechtspolitisch unerwünschten Konsequenzen der Rechtsprechung mit einem Gesetzgebungsakt entgegenzutreten, kann nicht gezweifelt werden.

Der Verfassungsgerichtshof hat mit Rückwirkung ausgestattete Maßnahmen des Gesetzgebers schon wiederholt auch unter Vertrauensschutzgesichtspunkten dann als verfassungskonform beurteilt, wenn aus der Judikatur eines (Höchst)Gerichtes eine Vertrauenslage abgeleitet wird, und der Eingriff des Gesetzgebers entsprechend rasch erfolgt.

Letzteres ist hier (gemessen an dem in den Erkenntnissen VfSlg 15231/1998 und 15319/1998 entwickelten Maßstab) der Fall. Der Gesetzgeber hat auf das Judikat des Obersten Gerichtshofes vom 21.04.98 bereits mit der am 13.08.99 ausgegebenen Wohnrechtsnovelle 1999, BGBl I 147 (welche den angefochtenen §44 MietrechtsG enthält) und daher aus vertrauensschutzrechtlicher Sicht jedenfalls rechtzeitig reagiert.

Keine Klarstellung der Frage des Entstehens verfassungsrechtlich geschützten Vertrauens der Vermieter in die Präklusion der Geltendmachung der Unwirksamkeit von Mietzinsvereinbarungen bei Altverträgen in der Entscheidung des OGH vom 21.04.98, 5 Ob 94/98d; vorher Verneinung der Anwendung der Präklusionsfrist auf Altmietzinsvereinbarungen (siehe zB OGH v 13.03.96, 5 Ob 6/96).

Angesichts dessen konnte auch unter dem Gesichtspunkt der Klarheit der Norm und ihrer Handhabung durch die Gerichte vor der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 21.04.98 kein verfassungsrechtlich zu schützendes Vertrauen der Vermieter in die Anwendung der Präklusionsfrist des §16 Abs8 MietrechtsG auch auf "Altverträge" entstanden sein.

Entscheidungstexte

  • G 171/02 ua
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 01.10.2004 G 171/02 ua

Schlagworte

Geltungsbereich (zeitlicher) eines Gesetzes, Übergangsbestimmung, Mietenrecht, Vertrauensschutz, Rückwirkung, Eigentumseingriff

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2004:G171.2002

Dokumentnummer

JFR_09958999_02G00171_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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