RS Vfgh 2004/10/1 G1/04 - B417/03

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Veröffentlicht am 01.10.2004
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
StGG Art6 Abs1 / Erwerbsausübung
EMRK Art7
EuRAG 2000 §9 ff
RAO §21c
Richtlinie 98/5/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.02.98 zur Erleichterung der ständigen Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in einem anderen Mitgliedstaat Art11

Leitsatz

Keine Verletzung der Erwerbsausübungsfreiheit und keine Verletzung des Gleichheitssatzes durch das Verbot der sogenannten "Sternsozietät" in der Rechtsanwaltsordnung; öffentliches Interesse an der vorbeugenden Hintanhaltung von Interessenkonflikten sowie der Absicherung des Verbots der Doppelvertretung durch dieses für Anwälte geltende Verbot der Zugehörigkeit zu mehreren beruflichen Zusammenschlüssen; keine Inländerdiskriminierung; gleichheitskonforme Auslegung der Geltung der geprüften Bestimmung auch für grenzüberschreitende Zusammenschlüsse geboten

Rechtssatz

Keine Verfassungswidrigkeit des ersten und zweiten Satzes des §21c Z8 RAO idF BGBl I 27/2000.

Das Verbot, einem "weiteren Zusammenschluss" anzugehören, greift in die Erwerbsausübungsfreiheit ein. Wie sich im verfassungsgerichtlichen Verfahren ergeben hat, bezweckt die Regelung eine vorbeugende Hintanhaltung der Gefahr von Interessenkonflikten und die Absicherung des Verbots der Doppelvertretung, dessen Einhaltung für das Treueverhältnis zwischen Anwalt und Klient und für das Bild der Anwaltschaft im Allgemeinen für wesentlich erachtet wird (§10 Abs1 RAO; zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit des Doppelvertretungsverbots vgl VfSlg 13842/1994).

Dem Gesetzgeber kann aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht entgegengetreten werden, wenn er die Gewährleistung dieser Ziele als im öffentlichen Interesse gelegen ansieht.

Angesichts der grundsätzlichen Zulässigkeit der Berufsausübung im Rahmen von Rechtsanwalts-Gesellschaften und der Möglichkeit, die Rechtsanwaltstätigkeit zusätzlich (als einzelner Rechtsanwalt) auch außerhalb der Gesellschaft auszuüben, ist der mit §21c Z8 RAO verbundene Eingriff in die Erwerbsausübungsfreiheit noch als zulässig anzusehen. Der Gesetzgeber durfte in vertretbarer Weise davon ausgehen, dass das Verbot zum vorbeugenden Schutz vor Interessenkonflikten geeignet ist, weil es das - bei mehrfacher Gesellschaftszugehörigkeit steigende - Risiko von Kollisionen der Mandanteninteressen in Grenzen hält. Das Verbot ist auch erforderlich: Die Kollision von Mandanteninteressen bei miteinander "vernetzten" Gesellschaften durch "gesellschaftsübergreifende" Kontrollmechanismen ist wesentlich schwerer vermeidbar, weil eine solche Kontrolle mit Einschränkungen der anwaltlichen Verschwiegenheit verbunden wäre, deren Schutz der Gesetzgeber ebenso als im öffentlichen Interesse gelegen betrachtet. Insgesamt ist das Verbot angesichts der geringen Schwere des Eingriffs im Verhältnis zu den damit verfolgten Zielen auch nicht unangemessen.

Das Verbot, "keinem weiteren beruflichen Zusammenschluss in Österreich" anzugehören, ist - gleichheitskonform - so auszulegen, dass es sich auch auf grenzüberschreitende Zusammenschlüsse erstreckt: Es ist so zu interpretieren, dass sich ein Rechtsanwalt, wenn er bereits einem beruflichen Zusammenschluss - sei es im Inland oder im Ausland - angehört, für seine Tätigkeit in Österreich "keinem weiteren beruflichen Zusammenschluss in Österreich", dh. nicht einer anderen Gesellschaft, anschließen darf. Damit gilt für einen Rechtsanwalt, der in Österreich einer Rechtsanwalts-Gesellschaft angehört, dass er - will er einer anderen Gesellschaft (im Ausland) beitreten - aus der österreichischen Rechtsanwalts-Gesellschaft austreten muss, weil er sonst "einem weiteren Zusammenschluss in Österreich angehören würde". Bei dieser Auslegung ist einem in Österreich tätigen Rechtsanwalt die Zugehörigkeit zu einem zusätzlichen Zusammenschluss verboten, auch wenn nur einer der Zusammenschlüsse ein "Zusammenschluss in Österreich" ist. So bewirkt die Regelung keine gleichheitswidrige Diskriminierung, weil damit grenzüberschreitende "Sternsozietäten" gegenüber rein innerstaatlichen "Sternsozietäten" nicht unsachlich bevorzugt werden.

Schon angesichts des Zwecks der Regelung, nämlich des Schutzes der Klienten, besteht ein hinreichender Bezugspunkt zum Inland (Schutzprinzip). Im Übrigen haben sowohl österreichische als auch ausländische Rechtsanwälte, die gemäß §9 ff EuRAG bei einer österreichischen Rechtsanwaltskammer in die Liste der niedergelassenen europäischen Rechtsanwälte eingetragen sind, einen hinreichenden persönlichen Bezug zum österreichischen Recht. Zur Regelung der Zugehörigkeit solcher Rechtsanwälte zu einer zweiten Gesellschaft (im Inland und im Ausland) ist der österreichische Gesetzgeber daher nicht von vornherein unzuständig.

Auch die Richtlinie 98/5/EG zur Erleichterung der ständigen Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem die Qualifikation erworben wurde, ABl 1998 L 77, S 36, steht dieser gleichheitskonformen Auslegung nicht entgegen.

Siehe auch E v 01.10.04, B417/03, Abweisung der Beschwerde im Anlassfall aufgrund vertretbarer Annahme des Vorliegens eines Zusammenschlusses iSd §21c Z8 RAO; weiters ausreichende Konkretisierung des Sachverhalts im Einleitungsbeschluss, keine Verletzung des Klarheitsgebotes des Art7 EMRK.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Auslegung verfassungskonforme, Erwerbsausübungsfreiheit, EU-Recht, Rechtsanwälte, Berufsrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2004:G1.2004

Dokumentnummer

JFR_09958999_04G00001_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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