RS Vfgh 2004/10/5 B623/03 ua

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Veröffentlicht am 05.10.2004
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58 Berg- und Energierecht
58/02 Energierecht

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art7 Abs1 / Verordnung
B-VG Art18 Abs2
B-VG Art83 Abs2
ElWOG §69 idF BGBl I 121/2000
Energie-RegulierungsbehördenG §13, §16
JN §1
Richtlinie 96/92/EG vom 19.12.96 betreffend gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt
Verordnung des BMwA über die Aufbringung und Gewährung von Beihilfen zur Abdeckung von Erlösminderungen, die infolge der Marktöffnung entstanden sind und im Zusammenhang mit der Errichtung und dem Betrieb des Kraftwerkes Voitsberg 3 stehen, BGBl II 354/2001 - Stranded Costs-VO II

Leitsatz

Keine Bedenken gegen die Zuständigkeit der Energie-Control GmbH zur Einhebung der Beiträge iZm stranded costs und der Zuständigkeit der Energie-Control Kommission zur bescheidmäßigen Beitragsvorschreibung mangels zivilrechtlichen Charakters dieser Beiträge; keine Gesetzwidrigkeit der Stranded Costs-VO II hinsichtlich der Heranziehung aller Endverbraucher zur Beitragsleistung; Voraussetzungen für die Gewährung von Beihilfen iZm stranded costs ausreichend bestimmt; keine Unsachlichkeit des Anknüpfens der Beitragshöhe an den Verbundstrombezug der Netzbetreiber im Jahre 1997; Entscheidung für ein bestimmtes Regelungssystem im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers

Rechtssatz

Keine Bedenken gegen die Zuständigkeit der Energie-Control GmbH und der Energie-Control Kommission (siehe §13 und §16 Energie-RegulierungsbehördenG).

§69 Abs1 ElWOG regelt nicht die Rechtsbeziehungen zwischen beitragspflichtigen Kunden und Beitragsempfängern, sondern begründet nur eine öffentlichrechtliche (elektrizitätswirtschaftsrechtliche) Geldleistungsverpflichtung der Stromkunden besonderer Art.

Dass die für die begünstigten Unternehmen bestimmten Beiträge von der Energie-Control GmbH nur "treuhändig" verwaltet werden und nicht einer Gebietskörperschaft zufließen, macht sie nicht zu zivilrechtlichen Ansprüchen, sondern unterscheidet diese nur von den öffentlichrechtlichen Abgaben im Sinne der Finanzverfassung.

Zur Gemeinschaftsrechtskonformität sowie zur ausreichenden Determinierung von §69 ElWOG siehe E v 26.06.03, G240/02, V60/02.

Keine Gesetzwidrigkeit der Verordnung des BMwA über die Aufbringung und Gewährung von Beihilfen zur Abdeckung von Erlösminderungen, die infolge der Marktöffnung entstanden sind und im Zusammenhang mit der Errichtung und dem Betrieb des Kraftwerkes Voitsberg 3 stehen, BGBl II 354/2001, (Stranded Costs-VO II) in Hinblick auf §69 ElWOG.

Mit dem Inkrafttreten der Änderung des ElWOG idF BGBl I 121/2000 (Art7 des EnergieliberalisierungsG) am 01.10.01 setzte die Vollliberalisierung des Elektrizitätsmarktes ein und die Definition der zugelassenen Kunden im ElWOG idF BGBl I 143/1998 wurde aufgehoben. Seit 01.10.01 sind nunmehr alle Endverbraucher "zugelassene Kunden". Ein Widerspruch zwischen dem Wortlaut der Verordnung, die ebenfalls am 01.10.01 in Kraft getreten ist, und jenem des Gesetzes liegt daher nicht vor. Da mit der Marktöffnung alle Endverbraucher die Vorteile der freien Lieferantenwahl genießen, ist deren Beitragslast auch sachlich gerechtfertigt.

Die "Voraussetzungen", unter denen ein Ausgleich für Erlösminderungen für Investitionen und Rechtsgeschäfte, die durch die Marktöffnung unrentabel geworden sind, stattfindet, sind in der Verordnung in ausreichender Weise genannt. Die Voraussetzungen, ein bestimmtes begünstigtes Unternehmen zu sein (§2 Stranded Costs-VO II), dass bestimmte unrentable Rechtsgeschäfte und Investitionen (§3) vorliegen und ein Höchstbetrag nicht überschritten wird (§4), sind eindeutig bestimmt. Die Erfüllung und die Nachvollziehbarkeit dieser Voraussetzungen müssen sich aus dem Verfahren zur Erarbeitung der Grundlagen der Verordnung ergeben.

Keine Unsachlichkeit des Anknüpfens der Beitragshöhe an den Verbundstrombezug der Netzbetreiber im Jahre 1997; keine Verpflichtung des Gesetzgebers zur Berücksichtigung individueller vertraglicher Verpflichtungen bei der Beitragsregelung.

Das grundsätzliche Ziel, infolge der Strommarktliberalisierung verlorene Investitionsaufwendungen für der volkswirtschaftlichen Aufgabe der Versorgungssicherung dienende kalorische Kraftwerke durch Beiträge der am liberalisierten Strommarkt teilnehmenden Stromkunden wieder hereinzubringen, kann jedenfalls als im öffentlichen Interesse gelegen angesehen werden.

Wenn die Europäische Kommission die Ausgleichszahlungen für das Kraftwerk Voitsberg im Lichte von Art3 Abs2 und Art8 Abs4 der Richtlinie 96/92/EG als Ausgleich für eine Verpflichtung zu einer Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse im Rahmen der Versorgungssicherheit wertete, verbietet es der Gleichheitssatz nicht, dass der Aufbringungsmechanismus daran anknüpft, von wem der Strom letztlich - unabhängig von der Motivation der Netzbetreiber zum Verbundstrombezug - bezogen wurde. Voitsberg wird zwar grundsätzlich zur Versorgungssicherheit von ganz Österreich betrieben, jedoch haben nicht alle Elektrizitätsversorgungsunternehmen in gleicher Weise davon profitiert, weil sie in unterschiedlichem Ausmaß selbst durch Stromerzeugung aus eigenen Anlagen Vorsorge getroffen haben.

Es kann daher nicht als unsachlich angesehen werden, wenn die Kunden in jenem Maße Beiträge aufbringen, in dem das vorgelagerte Verteilerunternehmen Verbundstrom bezogen hat, da die unrentablen Investitionskosten der Verbundgesellschaft zumindest mittelbar von den Verbundstrom beziehenden Landesgesellschaften mit verursacht wurden.

Hat ein Elektrizitätsversorgungsunternehmen durch eigene Stromerzeugungsanlagen einen Beitrag zur Versorgungssicherheit geleistet, so ist es nicht unsachlich, den Kunden dieses Unternehmens nur einen Teil der Stranded Costs anzulasten.

Es macht auch die Beiträge nicht zu Gebühren, dass sie entsprechend dem Strombezug im Jahre 1997 von der Verbund-Gesellschaft bemessen werden.

Es spielt keine wesentliche Rolle, ob Elektrizitätsversorgungsunternehmen aufgrund einer vertraglichen Vereinbarung aus kalorischen oder Wasserkraftwerken erzeugten Strom vom Verbund beziehen.

Keine größeren Wettbewerbsnachteile durch die unterschiedliche Behandlung der Netzbetreiber in Folge der Vielzahl von Standortfaktoren.

Es ist nicht unsachlich, kurzfristige Änderungen des Strombezuges aufgrund von Bedarfsschwankungen nicht zu berücksichtigen, da insbesondere wetterbedingte Schwankungen alle Beitragspflichtigen im gleichen Maße treffen und das Verhältnis der Beitragslasten dadurch unverändert bleibt.

Der Verordnungsgeber musste nicht auf den saisonal schwankenden Nutzen abstellen, sondern durfte den Verbrauch im Kalenderjahr der Berechnung zugrunde legen.

Es liegt somit im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, sich für das durch §69 ElWOG und die Stranded Costs-VO II getroffene Regelungssystem, oder für jenes Regelungssystem, das den beschwerdeführenden Gesellschaften vorschwebt - in dem auch die Kriterien der Erleichterung der gesamtösterreichischen Versorgungssicherung durch hohen Verbundstrombezug, der Förderung eines strukturschwachen Gebietes sowie des begünstigten Strombezugs bestimmter Unternehmen in Krisenzeiten Berücksichtigung finden - , oder aber auch für ein anderes zu entscheiden.

Entscheidungstexte

  • B 623/03 ua
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 05.10.2004 B 623/03 ua

Schlagworte

Behördenzuständigkeit, Energierecht, Elektrizitätswesen, EU-Recht, Gericht Zuständigkeit - Abgrenzung von Verwaltung, Determinierungsgebot, Rechtspolitik

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2004:B623.2003

Dokumentnummer

JFR_09958995_03B00623_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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