RS Vfgh 2004/10/15 G49/04 ua - G58/05 ua

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 15.10.2004
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Index

37 Geld-, Währungs-und Kreditrecht
37/02 Kreditwesen

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs1 / Allg
B-VG Art140 Abs5 / Fristsetzung
BAO §184
EG Art56 ff
EWR-Abkommen Art40
InvestmentfondsG §40 Abs2, §42 Abs2

Leitsatz

Zulässigkeit des Verfahrens zur Prüfung von Bestimmungen des Investmentfondsgesetzes betreffend die steuerliche Behandlung ausschüttungsgleicher Erträge bestimmter ausländischer, sog. schwarzer Fonds; kein Anwendungsvorrang von Gemeinschaftsrecht; Verletzung des Gleichheitsrechtes durch Schätzung der Erträge thesaurierender und nicht-thesaurierender Fonds nach derselben Methode sowie durch die formal gleichartigen Nachweisanforderungen bei inländischen und ausländischen Fonds in Hinblick auf das Erfordernis der Bestellung eines inländischen Vertreters durch einen ausländischen Fonds

Rechtssatz

Zulässigkeit des Verfahrens zur Prüfung der beiden ersten Sätze des §40 Abs2 Z2 und des §42 Abs2 InvestmentfondsG idF BGBl I 41/1998.

Der Anwendung dieser Normen steht der Vorrang unmittelbar anwendbaren Gemeinschaftsrechts nicht offenkundig entgegen; dies ungeachtet des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 11.12.03, Zl 99/14/0081, da sich dieses Erkenntnis einerseits auf Art40 EWR-Abkommen (und nicht auf die differenzierter formulierten Art56 ff EG bezieht) und ihm andererseits eine andere Fassung des §42 InvestmentfondsG zugrundelag, sowie ungeachtet des zwischenzeitig ergangenen Urteils des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache Lenz (EuGH 15.07.04, Rs. C-315/02), da sich dieses Urteil mit der anders gelagerten Frage der gemeinschaftsrechtskonformen Besteuerung von Auslandsdividenden befaßt.

Aufhebung des §42 Abs2 InvestmentfondsG idF BGBl I 41/1998; keine Aufhebung der ersten beide Sätze des §40 Abs2 Z2 leg cit.

Es ist unsachlich, bei thesaurierenden wie bei nicht-thesaurierenden Fonds ausschüttungsgleiche Erträge nach derselben Methode zu schätzen, obwohl bei nicht-thesaurierenden Fonds bereits (bzw. zusätzlich) die tatsächlichen Ausschüttungen der Besteuerung zu unterwerfen sind.

Sicherheitszuschläge kommen dann zur Anwendung, wenn die Behörde bei der Schätzung von den vom Abgabepflichtigen ausgewiesenen Ergebnissen ausgeht, eben diese Ausgangswerte aber erwiesenermaßen nicht vollständig sind. Bei der Schätzung der ausschüttungsgleichen Erträge von ausländischen Fonds geht es aber nicht um unvollständige Angaben des Steuerpflichtigen oder des Fonds, sondern um Annahmen über die vermutliche Ertragskraft von Fonds.

Es ist evident, daß die tatsächliche Ertragskraft eines Fonds von einer Vielzahl von Faktoren, so vor allem von der jeweiligen Zusammensetzung des Fondsvermögens, der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und unternehmerischen Entscheidungen abhängt, die ihrerseits einer Durchschnittsbetrachtung offensichtlich nicht zugänglich sind. Entziehen sich die zu schätzenden Bemessungsgrundlagen aber einer Durchschnittsbetrachtung, dann darf der Gesetzgeber zwar zunächst von vermuteten Erträgen ausgehen, muß diese Vermutung aber widerlegbar gestalten, um eine Besteuerung nach der tatsächlichen Leistungsfähigkeit zu ermöglichen.

Wenn der Gesetzgeber die - an sich zulässigen - Nachweisanforderungen so gestaltet, daß der Nachweis (nur) durch einen steuerlichen Vertreter des Fonds erbracht werden kann, und als steuerliche Vertreter nur inländische Kreditinstitute oder inländische Wirtschaftstreuhänder zuläßt, dann liegt es auf der Hand, daß die - formal gleichartigen - Nachweisanforderungen bei inländischen und ausländischen Fonds inhaltlich ganz unterschiedliche Bedeutung haben:

Während bei inländischen oder bei im Inland zugelassenen ausländischen Fonds der Nachweis unschwer erbracht werden kann, weil diese Fonds ohnehin über einen steuerlichen Vertreter verfügen, stößt ein solcher Nachweis bei nicht im Inland verankerten Fonds offensichtlich auf größte praktische Schwierigkeiten. Daß ein inländischer Privatanleger einen (bisher) in Österreich nicht vertretenen ausländischen Investmentfonds im Zusammenhang mit dem Kauf von Anteilen dazu veranlassen oder gar zwingen kann, in Österreich einen steuerlichen Vertreter zu bestellen, ist unrealistisch. Insofern ist die Situation mit jener beim Vorsteuerabzug nicht vergleichbar.

Gegen die ersten beiden Sätze des §40 Abs2 Z2 leg cit bestehen nach Aufhebung des §42 Abs2 keine verfassungsrechtlichen Bedenken mehr. Diese Sätze sind so zu verstehen, daß dann, wenn der Nachweis der ausschüttungsgleichen Erträge durch einen steuerlichen Vertreter nicht geführt wird, diese nach allgemeinen Grundsätzen zu schätzen sind. Das würde nach Aufhebung des §42 Abs2 für inländische und ausländische Kapitalanlagefonds gleichermaßen gelten.

Der Gerichtshof sah sich nicht veranlaßt, dem Antrag der Bundesregierung auf Fristsetzung zu folgen. Er geht davon aus, daß nach Aufhebung des §42 Abs2 InvestmentfondsG die steuerpflichtigen Erträge aus den ausländischen Fonds, für die kein steuerlicher Vertreter im Inland bestellt ist, vom Steuerpflichtigen offenzulegen oder von der Finanzbehörde nach den allgemeinen Grundsätzen zu schätzen sind und damit die Gleichbehandlung der Erträge von inländischen und ausländischen Fonds auch schon vor einer allfälligen gesetzlichen Neuordnung erreichbar ist.

Anlaßfall B539/03 ua, E v 16.10.04, Aufhebung der angefochtenen Bescheide; Quasi-Anlaßfall B508/04, E v 15.10.04.

Siehe auch G58/05 ua, E v 26.09.05: Aufhebung des §42 Abs2 Z4 bis Z6 InvestmentfondsG idF BGBl 818/1993 unter Hinweis auf die Entscheidungsgründe im Erkenntnis zu G49/04 ua; Anlassfälle B863/04, E v 26.09.05, B1025/04 ua, E v 14.12.05.

Entscheidungstexte

  • G 49/04 ua
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 15.10.2004 G 49/04 ua
  • G 58/05 ua
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 26.09.2005 G 58/05 ua

Schlagworte

EU-Recht, EWR, Finanzverfahren, Schätzung, Geldwesen, VfGH / Fristsetzung, VfGH / Verwerfungsumfang, VfGH / Aufhebung Wirkung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2004:G49.2004

Dokumentnummer

JFR_09958985_04G00049_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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