Index
32 SteuerrechtNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch die Nachforderung von Kapitalertragsteuer (KESt) wegen zu hoch ausgestellter Gutschriften, Depotentnahmen und Depotübertragungen nach dem Erwerb von Nullkuponanleihen durch Kunden eines Kreditinstitutes; keine Bedenken gegen die Heranziehung des zum Abzug der Steuer verpflichteten Kreditinstitutes zur Haftung; keine Willkür, keine Gesetzlosigkeit und keine Verletzung des Legalitätsprinzips durch Anwendung der finanzmathematischen Berechnungsmethode bei der Berechnung der Gutschriften; keine Verletzung des Vertrauensschutzes durch die Nichtanwendung der in Richtlinien des Finanzministeriums ebenfalls zugelassenen linearen BerechnungsmethodeRechtssatz
Anwendbarkeit des die Haftung für die Einbehaltung und Abfuhr der KESt regelnden §95 Abs2 EStG 1988.
Die Gutschrift von KESt wird vom Gesetzgeber als Gegenstück zu ihrer Einbehaltung und Abfuhr gesehen (vgl §95 Abs6 EStG 1988). Werden anlässlich einer Rückgängigmachung von Kapitalerträgen (die nach hA auch im Fall des Erwerbes von Nullkuponanleihen während der Laufzeit vorliegt) vom Abzugsverpflichteten - zu Lasten des Abgabengläubigers - zu Unrecht Gutschriften erteilt, dann hat er dem Abgabengläubiger ihm zustehende KESt-Beträge vorenthalten. Regelmäßig werden sich überhöhte Gutschriften dem Steuergläubiger gegenüber in einer zu niedrigen Abfuhr von KESt-Beträgen durch das haftungspflichtige Kreditinstitut niederschlagen (vgl auch §96 Abs1 Z3 EStG 1988). Es ist kein Grund zu sehen, warum in diesen Fällen nicht die Haftungsbestimmung des §95 Abs2 EStG 1988 - jedenfalls sinngemäß - anwendbar sein sollte.
Die Kunden mussten für die Anleihen (zunächst) bloß den um die KESt-Gutschrift verminderten Kaufpreis bezahlen (die bf Gesellschaft hat somit auf einen Teil des Kaufpreises verzichtet); im Fall einer überhöhten Gutschrift schulden die Kunden den entsprechenden Fehlbetrag als Kaufpreis, so dass dieser Differenzbetrag für eine Steuerabfuhr jedenfalls zur Verfügung stand.
Keine Unsachlichkeit der in §95 Abs2 EStG 1988 normierten Haftung.
Gegen die mit Abzugssteuern verbundene - verschuldensunabhängige - Haftung des Abfuhrverpflichteten bestehen keine grundsätzlichen Bedenken (vgl insbesondere VfSlg 11616/1988).
Anders als im Fall der Spekulationsertragsteuer (vgl VfSlg 15773/2000) geht es hier um eine Abzugs- und Abfuhrverpflichtung im Zusammenhang mit den Früchten einer Kapitalanlage, wobei sich die Bemessungsgrundlage aus den Wertpapierkonditionen und dem Zeitfaktor ergibt, und zwar im Zusammenhang mit einem klassischen Effektengeschäft, in das die Kreditinstitute typischerweise als Eigenhändler oder Kommissionäre eingeschaltet sind. Den ESt-RL 2000 (Rz 6186) ist zu entnehmen, dass für die Anwendung der bzw einer finanzmathematischen Methode keine anderen Daten erforderlich sind als für die Anwendung der linearen Methode (Ausgabepreis, Einlösewert, Gesamtlaufzeit). Dass den Kreditinstituten die hiefür erforderlichen Daten nicht bekannt waren, wurde nicht plausibel gemacht.
Im hier zu beurteilenden Fall war die bf Gesellschaft bei den erteilten KESt-Gutschriften nicht etwa mit Abzugspflichten belastet, sondern erteilte zu Lasten eines Dritten (des Abgabengläubigers) ihren Kunden Gutschriften, obwohl es - zumindest im Regelfall - weder in diesem noch in einem anderen Zeitpunkt zu einem (korrespondierenden) KESt-Abzug kam. Unter solchen Umständen sind Kreditinstitute aber verpflichtet (und ist es ihnen zumutbar), sich über die Höhe der Gutschrift Klarheit zu verschaffen bzw im Fall von Unklarheiten oder ungewöhnlichen Umständen entsprechende Schritte zur Aufklärung zu unternehmen.
Keine Bedenken gegen die Gleichstellung von Depotentnahmen und Veräußerungen nach §95 Abs4 Z3 EStG 1988.
Mit der Entnahme aus dem Depot verlässt das Wertpapier - unabhängig davon, ob es in das Ausland verbracht wird oder nicht - den "KESt-Kreislauf", womit aber die Realisierung der KESt-Pflicht im Zeitpunkt der Einlösung nicht mehr gesichert erscheint. Eine Abzugspflicht (Zuflussfiktion) im Zeitpunkt der Depotentnahme bildet daher ein logisches Gegenstück zur Gutschrift im Zeitpunkt des Erwerbes. Im Hinblick auf die erforderliche Abgrenzung zwischen KESt-Abzug und Veranlagung, aber auch im Hinblick auf die sonst gegebene Missbrauchsgefahr begegnete es daher keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn der Gesetzgeber (sofern gesichert ist, dass es im Fall späterer Veräußerungen oder Einlösungen nicht zu einer Doppelbesteuerung kommt) die Depotentnahme bei Nullkuponanleihen einer Veräußerung gleichstellen und als KESt-pflichtigen Tatbestand vorsehen würde. Dass der Wortlaut des §95 Abs4 Z3 EStG 1988 im Hinblick auf die gerade angestellten systematischen und teleologischen Erwägungen als Rechtsgrundlage für eine Zuflussfiktion bei Depotentnahmen von vornherein ungeeignet ist, kann der Gerichtshof nicht finden. Da die Depotentnahme auch nicht mit einer Aufgabe des österreichischen Besteuerungsrechtes oder mit einer Verbringung der Wertpapiere oder einem Wegzug des Steuerpflichtigen in das Ausland gleichzusetzen ist, könnte einer solchen Auslegung auch nicht der Vorwurf einer offenkundigen Gemeinschaftsrechtswidrigkeit gemacht werden.
Keine Bedenken ob der die Inanspruchnahme des Schuldners regelnden Vorschrift des §95 Abs5 EStG 1988.
Ist die Heranziehung der Schuldner der Kapitalerträge bzw der kuponauszahlenden Stellen zur Einbehaltung und Abfuhr der KESt dem Grunde nach nicht unsachlich, dann begegnet es auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn der Gesetzgeber die Heranziehung des Empfängers der Kapitalerträge (= des Schuldners der Kapitalertragsteuer) auf Ausnahmefälle reduziert und Ermessen hinsichtlich der Inanspruchnahme in der Regel ausschließt. Sollte die Vorschrift aber ohnehin die direkte Inanspruchnahme des Steuerschuldners erlauben, stünde seine Inanspruchnahme im Ermessen der Behörde.
Keine Gesetzlosigkeit durch Anwendung der finanzmathematischen Berechnungsmethode bei der Berechnung der KESt-Gutschriften.
Ist nach den gesetzlichen Vorgaben bei der Veräußerung einer Nullkuponanleihe während der Laufzeit für Zwecke der KESt die Ermittlung eines anteiligen Kapitalertrages erforderlich, ohne dass der Gesetzgeber ausdrückliche Berechnungsanordnungen trifft, dann ist der Kapitalertrag nach jener Methode zu berechnen, die den wirtschaftlichen Verhältnissen am nächsten kommt. Berücksichtigt man, dass der Ausgabepreis von Nullkuponanleihen und auch deren jeweiliger Zeitwert während der Laufzeit offenbar unter Anwendung der Zinseszinsmethode ermittelt wird, so liegt es nahe, auch zeitanteilige Kapitalerträge im Falle der Veräußerung und des Erwerbes während der Laufzeit unter Berücksichtigung von Zinseszinsen zu ermitteln. Hiebei mag es Auslegungsprobleme und Berechnungsspielräume geben; eine Unbestimmtheit der gesetzlichen Regelung, die sie unter dem Aspekt des Art18 B-VG bedenklich erscheinen ließe, liegt jedoch nicht vor. Erscheint die oder eine finanzmathematische Methode nach der Gesetzeslage als die allein zulässige, dann hat die Behörde im Hinblick auf Art18 B-VG die Verpflichtung, diese Auslegung durchzusetzen.
Was das Vertrauen in die Richtlinien des BM für Finanzen und die dort zugelassene lineare Berechnungsmethode betrifft, so folgt der Gerichtshof zwar nicht der Auffassung der belangten Behörde, §117 BAO (idF BGBl I 97/2002) sei für den vorliegenden Fall schon vom Inhalt her unbeachtlich. Die praktische Bedeutung dieser Vorschrift sollte offenbar gerade auch darin liegen, Rechtsauffassungen des BM für Finanzen, die in der Folge von den zuständigen Höchstgerichten oder vom BM für Finanzen selbst als unzutreffend erkannt werden, für die Vergangenheit mit Vertrauensschutz auszustatten.
Zu berücksichtigen ist aber, dass §117 BAO mit E v 02.12.04, G95/04 ua, als verfassungswidrig aufgehoben wurde, die Bestimmung nach dem dort getätigten Ausspruch nicht mehr anzuwenden ist und die hier zu beurteilende Beschwerde beim Gerichtshof vor dem Beginn der Beratungen zu G95/04 ua eingelangt ist. Die aufgehobene Vorschrift ist daher auch im vorliegenden Fall nicht mehr anzuwenden, so dass aus ihr auch keine Bindung an die in den KESt-RL 1993 für zulässig erachtete lineare Berechnungsmethode abgeleitet werden kann.
Der Grundsatz von Treu und Glauben schützt grundsätzlich nicht das Vertrauen des Steuerpflichtigen auf die Rechtsbeständigkeit von Rechtsauffassungen, die in Erlässen der Finanzverwaltung vertreten werden, wenn in diesen Erlässen - wie das auch bei den KESt-RL 1993 der Fall ist - darauf hingewiesen wird, dass über die gesetzlichen Bestimmungen hinausgehende Rechte und Pflichten dadurch nicht begründet werden.
Einem mit Wertpapiergeschäften vertrauten Kreditinstitut hätte die wirtschaftliche Widersinnigkeit einer linearen Berechnungsmethode von zeitanteiligen Kapitalerträgen auffallen müssen, wenn diese nicht nur im Einzelfall, sondern geradezu systematisch dazu führte, dass Steuerbeträge gutzuschreiben waren, die in einer unverhältnismäßigen Relation zum inneren Wert (= Kaufpreis) des Wertpapiers standen oder diesen in Einzelfällen sogar überschritten, wenn es zu einer korrespondierenden Besteuerung des vorhergehenden Veräußerungsvorganges nicht kam und wenn die Besteuerung am Laufzeitende durch Entnahmen systematisch verhindert wurde.
Schlagworte
Einkommensteuer, Kapitalertragsteuer, Finanzverfahren, Haftung, Legalitätsprinzip, Rechtsgrundsätze, Treu und Glauben, Vertrauensschutz, VfGH / Aufhebung Wirkung, Determinierungsgebot, EU-Recht, VfGH / AnlaßverfahrenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2004:B1575.2003Dokumentnummer
JFR_09958784_03B01575_2_01