TE Vfgh Erkenntnis 2005/11/28 B817/05

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Veröffentlicht am 28.11.2005
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Index

L7 Wirtschaftsrecht
L7200 Beschaffung, Vergabe

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Legitimation
EMRK Art6 Abs1 / Verfahrensgarantien
Tir VergabenachprüfungsG 2002 §13 Abs5

Leitsatz

Verletzung im Recht auf ein faires Verfahren durch Abweisung des Antrags auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung in einem Nachprüfungsverfahren betreffend die Vergabe eines öffentlichen Auftrages zur Lieferung von Auftausalz für den Winterdienst; keine Beschwer mehr hinsichtlich einer bereits außer Kraft getretenen einstweiligen Verfügung

Spruch

1. Die Beschwerde wird, insoweit die Aufhebung des Spruchpunktes 2 des Bescheides begehrt wird, zurückgewiesen.

2. Die Beschwerdeführerin ist durch Spruchpunkt 1 des Bescheides im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein faires Verfahren nach Art6 EMRK verletzt worden.

Spruchpunkt 1 des Bescheides wird aufgehoben.

3. Das Land Tirol ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.340,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Stadt Innsbruck schrieb im offenen Verfahren die Lieferung von Auftausalz für den Winterdienst aus. Die Anbotsfrist lief am 4. Juni 2005 ab. Bereits am 15. Juni 2005 langten beim Unabhängigen Verwaltungssenat in Tirol (im Folgenden: UVS) Anträge der beschwerdeführenden Gesellschaft auf Nichtigerklärung der Ausschreibung und Erlassung einer einstweiligen Verfügung ein. Ferner beantragte die beschwerdeführende Gesellschaft die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung.

Unter anderem wird im Antrag behauptet, dass die Ausschreibung bei der Festlegungen der Qualitätsmerkmale von einem veralteten Standard ausgehe, der es unmöglich mache, das technisch und wirtschaftlich günstigste Angebot zu ermitteln. Es seien Merkmale, wie der Sulfat-, Feuchtigkeits-, Magnesiumgehalt und Reinheitsgrad vorgeschrieben worden, die sich für die beschwerdeführende Gesellschaft diskriminierend auswirken.

Über Aufforderung des UVS in Tirol gab die Stadt Innsbruck eine Stellungnahme ab.

Am 21. Juni 2005 erließ der UVS eine einstweilige Verfügung, mit welcher der Stadt Innsbruck für die Dauer von einem Monat die Zuschlagserteilung untersagt wurde.

Am 28. Juni 2005 legte die Stadt Innsbruck Urkunden vor.

Mit Schriftsatz vom 29. Juni 2005 nahm die beschwerdeführende Gesellschaft zu den Ausführungen der Stadt Innsbruck Stellung und legte eine gutachtliche Stellungnahme vor. Auf diesen Schriftsatz erwiderte die Stadt Innsbruck mit Schriftsatz vom 7. Juli 2005, mit dem sie Urkunden vorlegte, die als Beilagen 7 bis 10 zum Akt genommen wurden. Dieser Schriftsatz ging beim UVS am 8. Juli 2005 ein.

Der angefochtene Bescheid stammt vom 8. Juli 2005.

2. Zur behaupteten Rechtswidrigkeit der Ausschreibung führt die belangte Behörde im Bescheid unter anderem aus:

"Eine nunmehr im Nachhinein seitens der Antragstellerin gewünschte andere Gestaltung der Ausschreibung würde zu anderen Angeboten und in der Folge zu einem anderen Ausgang des Vergabeverfahrens führen.

Ein potenzieller Bieter hat grundsätzlich von der Ausschreibung in der Form auszugehen, in der sie vorliegt. Die Bindung der für eine Zuschlagserteilung in Frage kommenden Angebote an die Ausschreibung ist für die Gleichbehandlung der Bieter entscheidend, da eine Abweichung von in der Ausschreibung festgelegten Bestimmungen eine Verletzung wesentlicher Grundsätze des Vergabeverfahrens darstellen würde.

Ganz abgesehen davon käme es nunmehr einem Widerruf der Ausschreibung gleich, insoferne während einem laufenden Verfahren die seitens der Antragstellerin gewünschten Artikel und somit [die] seitens des Auftraggebers gewünschte Leistung schlichtweg ausgetauscht werden würde."

Die Nichtabhaltung einer mündlichen Verhandlung begründet der UVS in Tirol im Bescheid wie folgt:

"Von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte abgesehen werden, zumal - wie bereits vorab ausgeführt - der gesamte entscheidungswesentliche Sachverhalt aufgrund der vorliegenden Urkunden außer Zweifel steht. Es ist nicht ersichtlich, welche neuen entscheidungswesentlichen Erkenntnisse die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung hätten erbringen können. Der entscheidungswesentliche Sachverhalt ist restlos geklärt. Die Lösung der gegenständlichen Angelegenheit stellt eine reine Rechtsfrage dar, deren Beurteilung der erkennenden Behörde vor[b]ehalten bleiben muss."

3. In der gegen den Bescheid des UVS in Tirol vom 8. Juli 2005 erhobenen Beschwerde macht die beschwerdeführende Gesellschaft die Verletzung des Grundrechtes auf ein faires Verfahren und die Verletzung des Grundrechtes auf Gleichheit vor dem Gesetz geltend und begründet dies damit, dass der UVS entgegen ihrem Antrag keine mündliche Verhandlung abgehalten habe. Auch sei ihr die Stellungnahme der Stadt Innsbruck vom 7. Juli 2005 nicht zugestellt worden. Die Begründung des angefochtenen Bescheides, dass eine mündliche Verhandlung ohnehin keine neuen Aspekte hervorgebracht habe, sei eine vorgreifende Beweiswürdigung, zumal die belangte Behörde nicht wissen konnte, welche Aspekte die beschwerdeführende Gesellschaft in der mündlichen Verhandlung vorgebracht hätte, insbesondere auch in Hinblick auf die Stellungnahme der Stadt Innsbruck vom 7. Juli 2005.

Das Argument der belangten Behörde, dass eine andere Gestaltung der Ausschreibung zu einer Änderung der Ausschreibung führen würde, eine Abweichung von in der Ausschreibung festgelegten Bestimmungen aber eine Verletzung wesentlicher Grundsätze des Vergabeverfahrens darstellen würde, führe die Anfechtung einer Ausschreibung ad absurdum, da jeder - im Gesetz vorgesehene - Antrag auf Nichtigerklärung einer Ausschreibung bei Erfolg notwendigerweise zu einer Änderung der Ausschreibungsbedingungen führen müsse.

4. Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in der sie auf die Rechtsprechung des EGMR (EGMR 19.2.1998, ÖJZ 1998, 935 - Allan Jacobsson gegen Schweden; 22.1.2004 - Alge gegen Österreich, ÖJZ 2004, 477) verweist, wonach besondere Umstände ein Absehen von einer mündlichen Verhandlung rechtfertigen könnten. Sie meint dann, dass der entscheidungswesentliche Sachverhalt auf Grund der vorliegenden Urkunden geklärt gewesen sei und die Lösung des Falles eine reine Rechtsfrage gewesen sei. Auf das Vorbringen der Stadt Innsbruck vom 7. Juli 2005 sei sie in der Begründung ohnehin nicht mehr eingegangen, da aus dieser keine neuen Erkenntnisse für die belangte Behörde herauszulesen gewesen sei.

5. Die Stadt Innsbruck meint in ihrer Gegenäußerung zum Vorwurf der Verletzung des Art6 EMRK:

"Dazu ist zunächst festzustellen, dass sich die belangte Behörde mit allen Sach- und Rechtsfragen ausführlich auseinander gesetzt hat. Daher konnte die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung unterbleiben.

Die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung hätte keinesfalls Neues hervorgebracht, zumal die belangte Behörde aufgrund der unbedenklichen vorliegenden Urkunden den maßgebenden bzw. entscheidungsrelevanten Sachverhalt feststellen konnte. Überdies sind die Ausführungen der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid schlüssig und nachvollziehbar und hätte zweifelsohne die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung keine andere Entscheidung hervorgebracht, als die gegenständliche.

Darüber hinaus wurde von der belangten Behörde das Parteiengehör gewahrt. Dies trifft auch auf die Behauptung der Beschwerdeführerin zu, wonach die Gegenäußerung der mitbeteiligten Partei vom 8.7.2005 der Beschwerdeführerin zu einer weiteren Stellungnahme übermittelt werden hätte sollen. Aufgrund geklärter Rechts- und Sachlage konnte die Übermittlung dieser Gegenäußerung unterbleiben. Wie aufgezeigt hat die belangte Behörde den entscheidungsrelevanten Sachverhalt nachvollziehbar und schlüssig festgestellt."

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs betreffen Entscheidungen in Vergabeverfahren und dementsprechend auch Entscheidungen der Vergabekontrollinstanzen in der Regel "civil rights" im Sinne des Art6 EMRK. (VfGH 23.6.2005, B840/03 und die dort genannten weiteren Entscheidungen). Dies bedeutet, dass in Vergabekontrollverfahren grundsätzlich mündliche Verhandlungen abzuhalten sind. Nach der Rechtsprechung des EGMR kann, sofern - wie hier - ein Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt wird, von einer solchen nur in Ausnahmefällen abgesehen werden, so etwa wenn der Sachverhalt unbestritten feststeht oder bloß einfache Rechtsfragen zu klären sind.

2. Dass ein solcher Ausnahmefall vorliegt, hat die belangte Behörde nicht dargetan:

Dass sie - wie sie meint - den Bescheid schlüssig begründet hat, ist kein Argument gegen die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung, die ja dazu dienen soll, den Prozessstoff sowohl hinsichtlich des Sachverhalts als auch der Rechtsfragen zu sammeln und mit den Parteien zu erörtern, um dann die Entscheidung schlüssig begründen zu können.

Dass von einer Verhandlung abgesehen werden konnte, da der entscheidungswesentliche Sachverhalt aus den vorgelegten Urkunden außer Zweifel steht, nimmt das Ergebnis einer möglichen Erörterung des Schriftsatzes der Stadt Innsbruck vom 7. Juli 2005 vorweg. Auch ist die Behauptung in der Gegenschrift der belangten Behörde unrichtig, dass sie ihre Entscheidung ohnehin nicht auf die Stellungnahme der Stadt Innsbruck vom 7. Juli 2005 gestützt habe. Die Stellungnahme, mit der die Urkunden 7 bis 10 vorgelegt wurden, wird im Bescheid vollinhaltlich wiedergegeben. Dann heißt es im Bescheid (Seite 25):

"Beweis wurde aufgenommen durch die Einsichtnahme in den gesamten Akt und in die in diesem Verfahren gelegten Urkunden Beilagen ./A bis ./C und Beilagen ./1 bis ./10."

Die belangte Behörde gibt damit selbst zu erkennen, dass alle vorgelegten Urkunden, also auch die Beilagen 7 bis 10, die nicht mit der beschwerdeführende Gesellschaft erörtert wurden, für die Feststellung des Sachverhalts relevant waren. Allein aus diesem Grund kann nicht von einem geklärten Sachverhalt ausgegangen werden.

Demgemäß wurde die beschwerdeführende Partei durch Unterlassung einer mündlichen Verhandlung in ihrem Recht auf ein faires Verfahren nach Art6 EMRK verletzt.

3. Der Spruchpunkt 1 des angefochtenen Bescheides war daher aufzuheben. Da die einstweilige Verfügung auch ohne ausdrückliche Aufhebung gemäß §13 Abs5 Tiroler Vergabenachprüfungsgesetz außer Kraft getreten wäre, würde die Aufhebung des Spruchpunktes 2 zu keiner Änderung der Rechtslage für die beschwerdeführende Gesellschaft führen. Sie ist durch diesen Spruchpunkt nicht (mehr) beschwert, sodass die Beschwerde, insofern sie diesen Spruchpunkt betrifft, zurückzuweisen ist.

III. 1. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VfGG. Im zugesprochenen Betrag ist Umsatzsteuer in Höhe von € 360,-- enthalten.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Verfügung einstweilige, Vergabewesen, Öffentlichkeitsprinzip, Verwaltungsverfahren, Ermittlungsverfahren, Verhandlung mündliche, VfGH / Legitimation

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2005:B817.2005

Dokumentnummer

JFT_09948872_05B00817_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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