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L8 Boden- und VerkehrsrechtNorm
EMRK Art6 Abs1 / civil rightsLeitsatz
Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Tribunal durch die Entscheidung der - als Kollegialorgan mit richterlichem Einschlag eingerichteten - Umlegungsoberbehörde in einem - zivilrechtliche Ansprüche betreffenden - Baulandumlegungsverfahren nach dem Tiroler Raumordnungsgesetz 2001; Erweckung von Zweifeln an der Unbefangenheit und Unparteilichkeit dieser Mitglieder in Folge Erstattung von Gutachten durch zwei sachkundige stimmführende Mitglieder als AmtssachverständigeRechtssatz
§89 Abs1 Tir RaumOG 2001 sieht ausdrücklich die Mitwirkung von zwei Bediensteten des Amtes der Tiroler Landesregierung vor, von denen jeweils einer über besondere Kenntnisse und Erfahrungen auf den Gebieten der Raumordnung und der Baulandumlegung verfügt. Dieser besondere Sachverstand bewirkt jedoch nicht, dass sie dadurch im Kollegialorgan als Sachverständige iSd §52 AVG tätig werden.
Bei der von den beiden Mitgliedern der Umlegungsoberbehörde am 01.06.04 erstatteten schriftlichen "fachtechnische Stellungnahme zur Berufung" handelt es sich nicht nur um eine fachkundige, schriftlich niedergelegte Meinung, sondern um die Aufnahme eines Beweises durch Sachverständige iSd §52 Abs1 AVG, also um ein Gutachten zweier Sachverständiger.
Die Behauptung der Behörde, bei den Fragen, ob die Voraussetzungen für eine Befreiung von der Verpflichtung zur Grundaufbringung gemäß §77 Abs4 Tir RaumOG 2001 erfüllt sind und ob die in Rede stehende Verkehrsfläche ausschließlich der inneren Erschließung diene, sei die technische Stellungnahme nicht von Bedeutung gewesen, ist unzutreffend, weil sich die Behörde in wesentlichen Punkten auch auf die im Gutachten getroffenen Feststellungen gestützt hat.
Das Verfahren über die Baulandumlegung betrifft civil rights iSd Art6
EMRK.
Der Umstand, dass zwei sachkundige stimmführende Mitglieder der Umlegungsoberbehörde im Verfahren ein Gutachten in ihrer Eigenschaft als Sachverständige (iSd §52 AVG) erstattet haben, ist jedenfalls geeignet, einerseits an der Neutralität dieser Mitglieder als Sachverständige, andererseits an ihrer Unbefangenheit als Entscheidungsträger - zu deren Aufgaben es unter anderem gehört, die Schlüssigkeit der eingeholten Sachverständigengutachten zu beurteilen - Zweifel aufkommen zu lassen, aber auch an der Unbefangenheit der übrigen Mitglieder der Umlegungsoberbehörde, die ihre Entscheidung auf das Gutachten zweier Mitglieder gestützt haben (mit Judikaturhinweisen).
Schlagworte
Baurecht, Raumordnung, Baulandumlegung, civil rights, Kollegialbehörde, Verwaltungsverfahren, SachverständigeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2005:B1136.2004Dokumentnummer
JFR_09949394_04B01136_01