RS Vfgh 2005/6/22 G152/04 ua

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Veröffentlicht am 22.06.2005
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Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8200 Bauordnung

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsumfang
Oö BauO 1994 §31 Abs1, Abs4

Leitsatz

Gleichheitswidrigkeit der in der Oö Bauordnung 1994 normierten Einschränkung der Parteistellung von Nachbarn im Baubewilligungsverfahren für Wohngebäude auf Eigentümer unmittelbar angrenzender Grundstücke (Anrainer)

Rechtssatz

Zulässigkeit des zu G165/04 von Amts wegen eingeleiteten Prüfungsverfahrens; teils Zulässigkeit, teils Zurückweisung der Anträge des Verwaltungsgerichtshofes.

Der Verfassungsgerichtshof bleibt bei seiner im Einleitungsbeschluss vorläufig geäußerten Auffassung, dass angesichts der von ihm geäußerten Bedenken Sitz der allfälligen Verfassungswidrigkeit §31 Abs1 Z1 der Oö BauO 1994 ist und die zur Abgrenzung zur Z1 dienenden Worte "anderen" und "zusätzlich" in der Z2 dieser Bestimmung damit eine untrennbare Einheit bilden.

Eine weitergehende Aufhebung ist zur Beseitigung einer allfälligen Verfassungswidrigkeit der eingeschränkten Parteistellung nicht erforderlich.

Damit erweisen sich aber die vom Verwaltungsgerichtshof gestellten Anträge, denen dieselben Bedenken zugrunde liegen wie dem Gesetzesprüfungsbeschluss des Verfassungsgerichtshofes, auf Aufhebung des §31 Oö BauO 1994 bzw dessen Abs1 als zu weit.

§31 Abs1 Z1 sowie die Worte "anderen" und "zusätzlich" in §31 Abs1 Z2 der Oö BauO 1994 idF LGBl 70/1998 werden als verfassungswidrig aufgehoben.

§31 Abs1 Z1 Oö BauO 1994 verstößt gegen den Gleichheitssatz, weil durch diese Vorschrift in sachlich nicht gerechtfertigter Weise die Nachbar- und damit Parteistellung in Baubewilligungsverfahren für Wohngebäude jenen Grundstückseigentümern vorbehalten wird, deren Grundstücke "an das zu bebauende Grundstück unmittelbar angrenzen (Anrainer)". Die Regelung berücksichtigt nicht, dass sich - ausgehend von einer Durchschnittsbetrachtung - die Betroffenheit benachbarter Grundeigentümer durch baulich bedingte Immissionen einer bestimmten vom Gesetzgeber als Kriterium stillschweigend angenommenen Intensität nicht auf jene Fälle beschränkt, in denen das Grundstück eines Grundeigentümers an das zu bebauende Grundstück angrenzt.

Ein Wohngebäude kann auf einem großen Grundstück so errichtet werden, dass trotz der gemeinsamen Grundgrenze auf dem anrainenden Grundstück schon auf Grund seiner Entfernung vom Bauwerk keine Immissionen zu erwarten sind. Andererseits geht durch die (- womöglich zu diesem Zweck vorgenommene -) Abtrennung einer geringfügigen Liegenschaftsfläche, etwa für Verkehrszwecke, vom Baugrundstück die Anrainereigenschaft eines benachbarten Grundstücks - trotz gleich bleibender Immissionsbelastung - und damit die nachbarrechtliche Parteistellung des benachbarten Grundstückseigentümers verloren.

Gleichheitswidrig ist die Z1 des §31 Abs1 Oö BauO 1994 aber auch deswegen, weil dadurch der nicht anrainende Nachbar eines Bauvorhabens, das der Flächenwidmung oder dem Bebauungsplan widerspricht, um die rechtliche Möglichkeit gebracht wird, die "nicht nur den öffentlichen Interessen, sondern auch dem Interesse der Nachbarschaft dienen[den]" Festlegungen des Flächenwidmungs- oder Bebauungsplans in Gestalt von Einwendungen im Baubewilligungsverfahren geltend zu machen.

Es fehlt an einer sachlichen Rechtfertigung dafür, dass der Gesetzgeber zwar die dem Interesse der Nachbarschaft dienenden Vorschriften des Bau- und Raumordnungsrechts zum Gegenstand öffentlich-rechtlicher Einwendungen erklärt (vgl §31 Abs4 Oö BauO 1994), gleichzeitig aber den Kreis der einwendungsberechtigten Personen mit Hilfe eines im Hinblick auf die Betroffenheit ungenügenden Kriteriums, nämlich der gemeinsamen Grundgrenze von Bauwerber und Nachbar, entscheidend beschneidet.

Die Qualifikation als nachbarrechtsbegründendes Grundstück gemäß §31 Abs1 Z2 Oö BauO 1994 ist zusätzlich davon abhängig, dass die Eigentümer dieses innerhalb der 50 m-Zone liegenden (Nachbar-)Grundstückes "durch das Bauvorhaben voraussichtlich in ihren subjektiven Rechten beeinträchtigt werden können". Die Grundgrenze bildet sohin bei Bauvorhaben gemäß der Z2 des §31 Abs1 Oö BauO 1994 anders als bei der Abgrenzung der Nachbarparteien von Wohngebäuden kein absolutes und starres Kriterium.

Anlassfall: B1839/02, E v 22.06.05, Aufhebung des angefochtenen Bescheides.

Entscheidungstexte

  • G 152/04 ua
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 22.06.2005 G 152/04 ua

Schlagworte

Baurecht, Nachbarrechte, Baubewilligung, Parteistellung Baurecht, VfGH / Prüfungsumfang

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2005:G152.2004

Dokumentnummer

JFR_09949378_04G00152_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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